Gesichtserkennung am Südkreuz: Datenschützer fordern Abbruch des Versuchs
Von „intelligenter Videoüberwachung“ ist im Zusammenhang mit dem Pilotprojekt zur Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz oft die Rede. Seit Anfang August erproben Bundespolizei, Bahn und Innenministerium dort neue Software mit Hilfe freiwilliger Testpersonen. Wenn die Technik eines Tages zuverlässig funktioniert, könnte damit im öffentlichen Raum nach Straftätern gefahndet werden – oder auch nach anderen Personen, für die sich irgendwer aus irgendwelchen Gründen interessiert.
Ein ziemlich dummer Fehler bringt das Projekt jedoch jetzt in Misskredit und könnte zum Abbruch führen. Wie der Bürgerrechtsverein Digitalcourage festgestellt hat, halten sich die Sicherheitsbehörden nicht an die Datenschutzvereinbarungen, die sie mit den freiwilligen Probanden getroffen haben. Diese haben sich verpflichtet, einen Transponder in der Tasche zu tragen.
„Es wurde nicht sorgfältig gearbeitet“
Mithilfe der kleinen Döschen namens iBeacons – Durchmesser 25 Millimeter – soll registriert werden, wenn sich die Testpersonen einer der Testkameras nähern. Diese Information ist wichtig für den Versuch – denn nur wenn die Projektleiter wissen, wie oft die Probanden tatsächlich an den Kameras vorbeigelaufen sind, können sie die Erfolgsquote der Kameras einschätzen.
Doch die iBeacons erfassen noch viel mehr Daten. Sie zeichnen Temperatur, Neigung des Körpers und Beschleunigung auf. Das klingt undramatisch, ermöglicht es aber, ein recht detailliertes Bewegungsprofil zu erstellen. „Das ist ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz und gegen den Vertrag mit den Freiwilligen“, sagte der Netzaktivist namens padeluun am Montag der Berliner Zeitung. „Ich gehe davon aus, dass der Versuch eingestellt wird.“
Nach Einschätzung von padeluun – der Endfünfziger trägt diesen Künstlernamen seit 1976 und gehörte vor dreißig Jahren zu den Gründern von Digitalcourage – ist der Einsatz der neugierigen Technik auf schlechte Vorbereitung zurückzuführen. „Es wurde nicht sorgfältig gearbeitet.“
Daten ließen sich auslesen
Ursprünglich sei vorgesehen gewesen, dass die Teilnehmer sogenannten RFID-Chips bei sich tragen. Diese Technik wird bereits an vielen Stellen eingesetzt. Der Einzelhandel versieht beispielsweise höherwertige Artikel damit, um Diebstähle zu verhindern. Allerdings funktioniert die Technik nur, wenn der Chip in einer Entfernung von höchstens einem halben Meter an einem Sensor vorbeigeführt wird. Im Kassenbereichs eines Supermarkts ist das praktikabel – aber nicht in einem großen Bahnhof, den täglich tausende Menschen benutzen.
Offenbar recht kurzfristig entschieden sich die Versuchsleiter darum für die iBeacon-Technologie. Die Transponder sind besser geeignet für ein Umfeld wie einem Bahnhof, sie haben eine Reichweite von etwa zwanzig Metern.
Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilte, wurden jene Sensoren, die Beschleunigung und Neigung messen, vor dem Versuch deaktiviert. Die Aktivisten vom Verein Digitalcourage widersprechen aber. Am Gerät von padeluun hätten sie die entsprechenden Daten mittels einer frei verfügbaren App auslesen können.
„Wenn es zutrifft, dann bin ich nicht schockiert“
Was man aus den Daten erfahren kann, erklärt padeluun so: „Das iBeacon registriert mittels der Beschleunigungswerte, ob ich mich schnell oder langsam bewege. An der Neigung lässt sich erkennen, ob die Versuchsperson länger gesessen hat, zum Beispiel in einem Zug. Die Temperatur verrät, ob die Person in geschlossenen Räumen oder draußen unterwegs war.“
Dass die Sicherheitsbehörden an diesen Daten tatsächlich interessiert sind, bezweifelt padeluun. „Es gibt den alten Grundsatz: Erkläre nichts mit Bosheit, was sich mit Dummheit erklären lässt.“ Er vermute, dass es den Verantwortlichen an Sensibilität und Sachkenntnis fehle. Digitalcourage habe die Bundesdatenschutzbeauftragte über den Verstoß gegen die Teilnahmevereinbarung informiert und werde rechtliche Schritte prüfen, wenn keine Maßnahmen ergriffen würden.
Ein anderer Teilnehmer an dem Versuch reagierte nüchtern auf die Enthüllung von Digitalcourage. „Wenn es zutrifft, dann bin ich nicht schockiert“, sagte Reiner Diehm, der kürzlich in der Berliner Zeitung darüber berichtet hatte, warum er sich als Freiwilliger beim Projekt Gesichtserkennung gemeldet habe. „Mein Smartphone zeichnet sehr viel mehr Daten auf und erstellt ein detailliertes Bewegungsprofil.“