Görlitzer Park: Die Anwohner fordern ihren Park zurück
Berlin - Auf einem Weg mitten im Görlitzer Park in Kreuzberg stehen sich in der warmen Märzsonne vier Männer gegenüber. Es ist Donnerstagvormittag. Die Männer sprechen miteinander. Auf ein Kopfnicken hin, erhebt sich ein weiterer Mann von einer Bank in der Nähe. Er geht zu einem Gebüsch, stochert mit einem Stock ein wenig in der Erde herum und zieht ein weißes Tütchen hervor und bringt es der Gruppe. Das Tütchen wird übergeben. Die Gruppe trennt sich. Ganz offensichtlich haben an dieser Stelle gerade Drogen ihren Besitzer gewechselt. Die Männer haben nichts verheimlicht. Jeder Passant konnte zuschauen. Aber ist das jetzt schon eine Folge einer neuen liberaleren Drogenpolitik in Berlin?
Der Görlitzer Park hat eine jahrelange, heftige Drogenkarriere hinter sich. Seit etwa 30 Jahren werden in diesem Park verbotene Substanzen verkauft. Aber nie war es so schlimm wie in den vergangenen vier Jahren. In dieser Woche hat der Berliner Senat nun verkündet, dass in diesem Park Besitz und Konsum geringer Mengen von Cannabis künftig nicht mehr verfolgt werden. Im Görlitzer Park soll es wieder zugehen, wie sonst überall in Berlin.
Der Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis ist quasi straffrei. Damit beerdigt der rot-rot-grüne Senat ein Pilotprojekt, das die CDU-Senatoren Frank Henkel (Inneres) und Thomas Heilmann (Justiz) 2015 unter dem gewaltigen Titel „Null-Toleranz-Zone“ medial vermarktet hatten. Im Park, in dem sich damals mehr Dealer aufhielten, als irgendwo sonst in Berlin, sollte überhaupt kein Drogenverkauf mehr geduldet werden. Nun also eine Kehrtwende.
Legale Läden könnten etwas ändern
Ayse Gündar lacht laut auf, wenn man sie fragt, wie sich die verschiedenen Konzepte der Drogenpolitik in den vergangenen Jahren im Park ausgewirkt haben. „Hier hat sich gar nichts verändert. Es wird gedealt, und es wurde immer gedealt. Man kann nicht durch den Park gehen, ohne angesprochen zu werden. Nur wenn man sehr unfreundlich reagiert, sprechen die Dealer einen nicht mehr an“, sagt sie. Ayse Gündar wohnt in der Nähe des Parks. Die junge Frau macht eine Ausbildung zur Erzieherin. An diesem Vormittag ist sie mit einer Gruppe von Dreijährigen und einer weiteren Erzieherin im Park unterwegs.
Die Kinder werfen Steinchen in die Pfützen. Sie stoppen an jeder Bank und untersuchen jeden Müllcontainer. Die beiden Frauen haben viel zu tun, um die Kinder auf ihrem Weg quer durch den Park voran zu bringen. An einer Mauer lehnen drei Männer. Sie blicken herüber, aber sie sprechen die Gruppe nicht an. „Kinder lassen sie in Ruhe“, sagt Ayse Gündar. Alle anderen nicht. Und das stört sie. Es stört sie so sehr, dass ihr immer noch mehr dazu einfällt.
„Ich will nicht angequatscht werden. Ich will nichts kaufen. Sie verkaufen auch an Jugendliche. Das finde ich schlimm. Und sie belästigen Frauen“, sagt sie. Manchmal rufe einer „Sexy-Lady“. Ayse Gündar mag das nicht. „Ich fühle mich in diesem Park immer unsicher“, sagt sie. Sie will, dass sich das ändert. Vielleicht seien ja Coffee-Shops wie in Holland eine Lösung, sagt sie. „Wenn es Läden gibt, in denen die Menschen legal Cannabis kaufen können, brauchen sie nicht mehr hier her zu kommen.“
„Mit Razzien wird man der Situation nicht Herr“
Während des Gesprächs ist die Kindergruppe etwa 200 Meter voran gekommen. An drei Stellen an dieser Strecke warten Drogenhändler auf Kundschaft. Dealer stehen an allen Zugängen zum Park. Auf dem Mittelweg warten Männer auf Kunden. Mindestens 30 mutmaßliche Drogenhändler halten sich an diesem Vormittag im Park auf.
Es hat Zeiten gegeben, da waren es noch viel mehr, vor allem im Sommer. Die Berliner Zeitung hat oft über diesen Kreuzberger Park berichtet. 2014 etwa wurde bei einem Gang durch den Park für eine Reportage 146 Männer gezählt, die mutmaßlich am Drogenhandel beteiligt waren. Viele der Männer äußerten sich im Gespräch. Sie seien Einwanderer, manche ohne legalen Aufenthaltsstatus, sagten sie. Dann kam die Idee der Null-Toleranz-Zone. Die Polizei veranstaltete Razzien mit medialer Begleitung. Im Scheinwerferlicht und im Angesicht von Polizeihundertschaften waren kaum noch Dealer da. Aber am nächsten Tag standen sie wieder an den Parkeingängen und auf den Wegen.
Das sei genau das Problem an der Null-Toleranz-Politik gewesen, sagt Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). „Mit Razzien wird man der Situation nicht Herr“, sagt sie. Razzienpolitik sei ineffektiv. Die Dealer würden nur dem akuten Druck ausweichen vom Görli in die Seitenstraßen bis zum RAW-Gelände in Friedrichshain und wieder zurück. Dabei ist sie nicht generell dagegen, mehr Polizei an kriminalitätsbelasteten Orten wie dem Görlitzer Park einzusetzen, genauso wie sie mehr Polizei auch im Wrangelkiez und am Kottbusser Tor für nötig hält. Aber nicht mit großem Tam-Tam, gewaltigem Personaleinsatz, Flutlichtmasten und Drogenspürhunden für ein paar Stunden. „Die Polizisten hätten lieber als Zweier-Teams jeden Tag durch den Park laufen sollen“, sagt Monika Herrmann.
Es wird ein Ausprobieren bleiben
Offenbar ist sie da einer Meinung mit Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Im Abgeordnetenhaus verteidigt Geisel am Donnerstag die Entscheidung, die Null-Toleranz-Strategie zu beenden. „Wir können die Mitarbeiter der Polizei nicht auf diese Weise verheizen“, sagt er auf eine Frage des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner. „Es gab hier einen hohen Personaleinsatz, der aber nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat.“ Es werde auch weiterhin eine hohe Polizeipräsenz rund um den Görlitzer Park geben. Aber alleine damit lasse sich keine Sicherheit herstellen.
Veränderung soll ein anderes Konzept bringen. Am Kottbusser Tor wird bald eins ausprobiert. Dort soll es mobile Polizeiwachen geben. Schon jetzt sind dort permanent zehn Polizeibeamte im Einsatz. Wie auch am Görlitzer Park werde aber einige Zeit vergehen, ehe sich Erfolge einstellen, sagt Geisel.
Und es wird noch mehr probiert. Monika Herrmann beschäftigt im Görlitzer Park einen Parkmanager. Bald sollen Parkläufer dazu kommen. Sie sollen die Kunden der Dealer ansprechen. Viele sind Touristen. „Manchen ist gar nicht klar, dass der Drogenkauf auch in Kreuzberg illegal ist“, sagt sie. Sozialarbeiter sollen sich um die Dealer kümmern. „Wir müssen versuchen, sie von diesem Broterwerb weg zu bekommen“, so die Bürgermeisterin. Es wird ein Ausprobieren bleiben. Das der Görlitzer Park komplett drogenfrei wird, glaubt auch Monika Herrmann nicht.