Hans-Christian Ströbele: "So lange ich krauchen kann"
Berlin - Sein Gesicht ist schmal geworden, beim Stehen stützt er sich gern auf. Aber wenn Hans-Christian Ströbele über den Geheimdienst oder die Bankenkrise redet, ist ihm kaum anzumerken, dass er eine schwere Krebserkrankung überwinden musste. Soeben teilte er mit, dass er zum fünften Mal für den Bundestag kandidieren will.
Herr Ströbele, wie geht es Ihnen? Sie sehen ein bisschen blass aus.
Das liegt sicher daran, dass ich im vergangenen Jahr fast keinen Urlaub gemacht habe.
Sondern eine Krebstherapie.
Ja, mein Arzt hatte im Sommer 2012 bei einer Vorsorgeuntersuchung ein Prostatakarzinom festgestellt. Bestimmte Werte waren erhöht, eine Untersuchung brachte Gewissheit. Ich habe dann eine Therapie gemacht.
Mit welchem Ergebnis?
Sie ist offenbar erfolgreich verlaufen. Die medizinischen Werte für die Prostata sind unauffällig.
Aber?
Die Therapie war belastender, als ich gedacht hatte.
Eine Operation, Bestrahlung?
Bestrahlung. Sie bekämpft den Tumor, war aber eine erhebliche Belastung für die Gesundheit, auch ohne operative Entfernung des Tumors.
Wie lange ging das?
Über Monate, jeden Werktag. Früh am Morgen oder spätabends, weil ich nebenbei den vollen Job des Abgeordneten gemacht habe.
Bestrahlung klingt harmloser als Skalpell. Welche Folgen hat sie?
Die Ärzte hatten gesagt: Das merken Sie kaum. Was auch stimmt. Aber die Nebenwirkungen für die bestrahlte Körperregion sind sehr belastend. Organe funktionieren nicht mehr richtig, man hat Schmerzen und fühlt sich total schwach.
Haben Sie mit ihrer Umgebung darüber gleich gesprochen?
Erst nicht. Aber man sah mir das wohl an und es häuften sich die Fragen, ob ich krank sei. Ich wollte dann nicht mehr drum herum reden oder die Unwahrheit sagen und habe Ende August 2012 meine Bezirksgruppe Friedrichshain-Kreuzberg und meine Kollegen unterrichtet. Ich habe auch gesagt, dass ich nur dann erneut für den Bundestag kandidiere, wenn ich von dem Krebs geheilt bin. Das wurde akzeptiert.
Welche Reaktionen gab es?
Ich erinnere mich insgesamt an viel Verständnis, an Unterstützung, es gab viele gute Wünsche und Ratschläge, das hat mir auch geholfen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand meine Situation politisch für sich nutzen wollte.
In der Politik geht es auch um Sieg oder Niederlage, Stärke oder Schwäche. Sie sind jetzt nicht mehr nur der Grüne, der die Regierung im NSU-Ausschuss attackiert, sondern auch der Abgeordnete, der Krebs hat.
Ja, das merke ich auch im Bundestag bei den anderen Fraktionen. Man ist mir da auch mit viel Wohlwollen begegnet, aber ich bemerke doch, dass der eine oder andere irritiert guckt, wenn ich in den Raum komme. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich nehme das so wahr. In der Zeit der Therapie sah ich natürlich noch weniger erholt aus als jetzt, und da wurde ich schon nach Befinden und Gesundheit gefragt oder es hieß, wenn eine Sitzung des Untersuchungsausschusses bis Mitternacht dauern sollte: Herr Ströbele, Sie sehen aber erschöpft aus.
Sie hätten sich krankmelden, ausruhen können. Aber Arbeit ist für Sie offenbar Teil der Krebstherapie?
Ja, ganz eindeutig. Arbeit lenkt davon ab, ständig an die Krankheit zu denken und sich von ihr dominieren zu lassen. Ein Professor hat mir auch empfohlen, mich nicht in die Krankheit fallen zu lassen, sondern mein Leben möglichst normal weiterzuleben. Das habe ich getan und ich habe keinen Tag im Bundestag gefehlt.
Wer von Krebs oder ähnlichen Erkrankungen betroffen ist, empfindet das oft als ungerecht, als eine Art Demütigung, stellt sich die Frage: warum ich? Was haben Sie gedacht?
Die Reaktion hängt wohl vom Alter ab. Wenn man mit 50 krank wird, ist es wohl anders als mit 73 Jahren. Mir haben die Ärzte gesagt: Prostatakrebs hat fast jeder zweite Mann in meinem Alter, viele merken davon nie etwas. Mit der Frage nach dem Tod wurde ich immer wieder mal konfrontiert, wenn ich Freunde oder Verwandte mit zu Grabe getragen habe, mit denen ich über lange Jahre zusammen war oder Politik gemacht habe. Da stand ich dann am Grab oder in der Kirche und habe die Abschiedsrede gehalten.
Sind Sie religiös?
Nein. Mit der katholischen Kirche bin ich aufgewachsen. Das war’s dann. Aber ich bin Religionen gegenüber sehr tolerant. Vor allem finde ich, dass alle gleich behandelt werden sollten.
Wie war der Kontakt mit dem Gesundheitssystem?
Ich bin AOK-versichert, also Kassenpatient. Sicher habe ich wegen meiner Bekanntheit manchmal Vorteile. Meine Ärzte, die mich jetzt wegen der Erkrankung behandelt haben, waren übrigens prima. Aber ich weiß, wie es ist, wenn man etwa wegen Schmerzen eine Magenuntersuchung braucht. Und dann gesagt bekommt: Sie sind Kassenpatient? Da haben wir leider erst in drei Monaten einen Termin für Sie. Solche Erfahrungen habe ich bei den Ärzten dann thematisiert und kritisiert. Aber leider nicht immer, wenn ich schon bei der Anmeldung gescheitert war.
Haben wir den künftigen gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion vor uns?
Nein, ich bleibe bei meinen Themen. Ich kandidiere ja nicht, weil ich irgendetwas im Bundestag machen, sondern mich in den Politikfeldern einmischen will, in denen ich mich auskenne: Kriegseinsätze im Ausland, Geheimdienste oder jetzt auch die Konsequenzen aus der Bankenkrise und die EU-Finanzordnung. Und die Schlussfolgerungen aus dem Versagen bei der Aufklärung des Nazi-Untergrunds natürlich.
Unsere Diagnose ist: Sie sind ein Politik-Junkie, der es nicht lassen kann.
Manche sehen das so. Richtig ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, mich nur mit dem nächsten Ferienziel zu befassen. Solange ich krauchen kann, will ich in meinem Leben dazu beitragen, dass die notwendigen Veränderungen in der Gesellschaft stattfinden. Auch wenn ich dabei oft gescheitert bin.
Sie blockieren mit 73 Jahren den Platz für grünen Nachwuchs.
Das Problem sehe ich und unterstütze, dass Jüngere in der Partei zum Zuge kommen. Für einen Listenplatz habe ich nach 2002 nicht wieder kandidiert. Das würde ich auch jetzt nicht. Aber mit dem Direktmandat ist es etwas anderes. Das kann man nicht einfach einer oder einem anderen überlassen. Das bezieht sich doch häufig auf eine konkrete Person, der die Wählerinnen und Wähler vertrauen. Gerade auch bei mir scheint das doch so zu sein. Ich wurde nicht nur im Szene-Stadtteil Kreuzberg SO 36 oder in 61 gewählt – was mich immer wieder gefreut und gestärkt hat - sondern auch in den Plattenbausiedlungen in Friedrichshain und in Prenzlauer Berg-Ost jenseits des S-Bahnrings. Andernfalls käme ich nicht auf eine Zustimmung von nahezu 47 Prozent der Wähler. Das ist schon eine besondere Situation, die aber nicht ewig andauern kann. Wir sind im Wahlkreis auf einem guten Weg. Bei der Abgeordnetenhauswahl haben unsere grünen Kandidaten fünf von sechs Direktmandaten gewonnen. So große Zustimmung wollen wir auch für die Bundestagswahl.
Man kann den Eindruck haben, dass Sie als linke Gallionsfigur nicht mehr für das stehen, was die Grünen heute mehrheitlich sind: eine bürgerliche Partei der linken Mitte. Die aber in Berlin gerade wieder heftige Ausschließeritis gegen Schwarz-Grün betreibt.
Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, dass es keine politischen Lager mehr gibt. Die Leute wollen eine gewisse Grundorientierung, selbst wenn sie mal eine andere Partei wählen. Nach meiner Überzeugung spielt diese Grundausrichtung eine wichtige Rolle und deswegen sollten die Grünen ihre Wähler nicht dadurch irritieren, dass der eine oder andere Funktionär Schwarz-Grün als eine Option ausruft und ein anderer das tags darauf als unmöglich darstellt. Solche Irritation hat uns im Wahlkampf in Berlin massiv geschadet. Jetzt droht wieder eine ähnliche Situation.
Ihr Rat?
Es kommt nicht gut an, wenn die Wähler unterschwellig das Gefühl bekommen, dass die Grünen zwar Rot-Grün im Bund propagieren, aber in den Hinterzimmern der Partei Pläne für Schwarz-Grün kursieren. Wenn man diese Option bei den Grünen will, dann muss das offen und ehrlich diskutiert werden und dann müssen die Grünen einen Beschluss ganz demokratisch dazu fassen. Die Wählerinnen und Wähler wollen wissen, was Sache ist.
Es kann sein, dass solche Fragen für Sie zweitrangig werden, wenn der Krebs zurückkehren sollte.
Der Prostatakrebs gilt als gut heilbar, wenn er rechtzeitig behandelt wird. Das ist bei mir glücklicherweise der Fall.
Leben Sie deshalb anders, bewusster, gelassener?
Das hat sich durch das Alter schon entwickelt. Die Zeit vergeht viel schneller, wenn man über 70 ist. Ruckzuck ist wieder ein Jahr vorbei. Die Krankheitserfahrung kommt dazu und ich nehme jetzt auch stärker wahr, wenn andere Menschen in meiner Umgebung schwere Krankheiten haben. Das war mir als jüngerer Mensch nicht so bewusst. Es ist wohl eine normale menschliche Eigenschaft, eine Abwehrhaltung gegenüber Schicksalsschlägen bei anderen einzunehmen, die einen auch selbst treffen könnten.
Wo stecken Sie zurück?
Ich konzentriere mich auf die parlamentarische Arbeit. Ich lese die Gesetze zum Thema Bankenkrise, das sind viele hundert Seiten. Das ist schon sehr mühsam. Ich beantworte auch die meisten der 50 bis 200 Mails, die ich täglich bekomme, aus Prinzip möglichst häufig persönlich. Ich werde von Bürgern und Initiativen um Rat gebeten und soll mich gegen irgendwelche politischen Schweinereien und Ungerechtigkeiten engagieren. Da kann ich häufiger einschränkend schreiben: Bei allem Verständnis, das wird mir zuviel, damit kann ich mich jetzt nicht auch noch beschäftigen.
Das Gespräch führte Thomas Rogalla.