Hans-Peter Wodarz im Porträt: Der Mann, der Lebenslust in die feine Küche brachte
Berlin - Der Feuilletonchef sitzt mit Kollegen um den Tisch herum und blickt freudlos in die Runde. In was für ein Etablissement ist er hier nur geraten? Schon dieses Personal, das ihn am Eingang mit mürrischen Bemerkungen traktierte und seinen Hut zurechtrücken wollte! Sollte lustig sein, soso. Dort drüben kostet gerade ein Kellner von der Suppe eines Gastes – dagegen würde er sich mit Muskelkraft wehren, murmelt der Chef.
Da hat er noch nicht beobachtet, wie Köche im Restaurant-Theater „Pomp Duck and Circumstance“ den Mann am Nebentisch laut zeternd in die Küche abführen, weil er den Fisch nicht aufessen will. Der Feuilletonist wälzt Fluchtgedanken. Nichts gegen das Menü oder die Akrobatik hier, aber dass sich im Zelt alles biegt vor Lachen angesichts dieser enthemmten clownesken Gastlichkeit, irritiert ihn doch sehr. Zumal es sich um Kollegen handelt. Von denen hatte er doch eine gewisse Geschmacksicherheit erwartet.
Klamaukresistente Gäste gab es immer
Die Welt war voller Rätsel. Damals in den Neunzigerjahren, als sich Hans-Peter Wodarz, genannt HPW, mit „Pomp Duck and Circumstance“ auf einem der Siedepunkte seiner Karriere befand.
Klar, klamaukresistente Gäste gab es immer mal, sagt er heute. Wir sitzen in der Paris Bar, seinem Stammlokal direkt unter dem eigenen Veranstaltungsbüro. Und er blickt ein bisschen zurück. In diesem März wird er 70. Er wiegt den Kopf über das, was sie sich so trauten bei „Pomp Duck“: „Wir sind mit Schüsseln angerückt, haben prominenten Friseuren die Haare gewaschen. Banden Gäste mit Klebeband am Stuhl fest. Da müsste man heute mit einer Anzeige rechnen. Aber das waren die Neunziger in Berlin, Grenzen hatten sich aufgelöst, alles war im Umbruch, ordnete sich neu. Wir trieben es auf die Spitze!“
Hans-Peter Wodarz feierte mit seiner Erlebnisgastronomie besinnungslose Erfolge. Und verlor alles. Fing neu an. Immer lagen die Dinge nah beieinander – das Alles und das Nichts, getrennt manchmal nur durch eine Nacht.
Das erste Trinkgeld als Page
Hans-Peter Wodarz, 1948 in Wiesbaden geboren, hatte kein heimeliges Zuhause. Die Mutter, aus Schlesien vertrieben, musste drei Kinder durchbringen. Der Vater bekam sein Leben nach der Kriegsgefangenschaft nicht mehr in den Griff. Nie war Geld da. Der Sohn ging mit 14 als Page ins Hotel „Rose“. Stand in Livree vor dem Spiegel und übte englische Grußformeln, als sein erster Gast eintraf. Eine Amerikanerin, der er die Koffer abnahm. Das Trinkgeld konnte er nicht gleich deuten – ein Schein. Aber holla, das waren 20 Dollar, mehr als 80 DM! HPW: „Dabei hatte das Hotel einen Fahrstuhl.“
So also ging es zu da drüben, auf der Sonnenseite des Lebens. Da wollte er bleiben. Er war beliebt. Widmete sich nicht nur dem Gepäck, sondern schrubbte auch alten Damen den Rücken, putzte Schuhe. Leistete sich alle Beatles-Platten. Die Ausbildung zum Koch – 65 DM Lehrlingsgeld im Monat – hatte die Mutter verfügt: Hast du immer zu essen.
Da war HPW schon aufgefallen, wie ungerecht sich der Glanz verteilte. Die Kellner stolzierten wie Stars über das Parkett, die Köche schwitzten hinten im Dampf. Später spielte das noch eine Rolle, doch erst mal gab er alles am Herd, schloss als bester Lehrling Hessens ab. Ging nach England, wollte die Beatles treffen, heuerte bei Eckart Witzigmann an und eröffnete 1975 sein eigenes Restaurant, die „Ente im Lehel“ in München, 1979 in Wiesbaden.
Erfolge in der Küche reichten nicht
Mit dem ersten Michelin-Stern rückte er auf in die Garde der großen Köche. Kreierte die Crossover-Küche, bevor es den Begriff gab, wurde berühmt mit dem „Dialog der Früchte“ – Pürees in den Farben von Andy Warhol, vom Künstler selbst mit Stäbchen verschliert, millionenfach imitiert. Zählte zu den Vätern der neuen deutschen Küche, die Mehlschwitze durch Crème fraîche ersetzten, geschmuggelt aus Frankreich. Sah sich an asiatischen Töpfen um und verunsicherte Kollegen mit der Nachricht: „Glaubt es oder nicht, in Japan essen sie rohen Fisch!“ Oh, wirklich? HPWs Erzählungen vom dortigen Run auf getragene Mädchenslips mussten doch auch komplett erfunden sein.
Die Erfolge in der Küche reichten HPW nicht. „Es ging so absolut spaßfrei zu, das hat man heute vergessen. Kritiker predigten, dass in ,Gourmet-Tempeln‘ Gerichte zum ,Anbeten‘ und ,Niederknien‘ serviert würden. Und so hockte alles ehrfürchtig vor den Tellern, ernst und schweigsam. In Italien und Frankreich fehlte nie die Lust am Essen, in Deutschland regierte freudlose Steifheit, furchtbar!“ Der Koch, längst ein genusssüchtiger Lebenskünstler, borgte sich eines Tages vom Staatstheater einen Schauspieler und eine Sängerin aus. „Die zwei retteten die Stimmung. Endlich lachten die Gäste und amüsierten sich.“
Die Mutter der Erlebnisgastronomie
Das war der Anfang. Er nahm Formen an. Seine Restaurants, immer voll, zogen Künstler an und Prominente. Bis HPW seinen Beruf aufgab. Er war immer Liebhaber, nie Analyst von gutem Essen und Trinken. „Ich habe Wein für bestimmt drei Einfamilienhäuser ausgetrunken und leiste mir jährlich einen Jahrhundertjahrgang Mouton-Rothschild. Aber ich hasse das Rumgemache damit. Nein – Flasche öffnen, schlabber-schlabber und genießen.“ Hans-Peter Wodarz kostet von dem Muscadet in der Paris Bar und strahlt: auch gut!
Als er einst erfuhr, dass das Theater seiner Chance auf einen zweiten Michelin-Stern im Weg steht, tauschte er tollkühn sein feines Restaurant gegen einen ungewissen Zirkus. Er kreierte 1990 mit „Roncalli“-Chef Bernhard Paul die Show „Panem et Circenses“, kurz danach seine Dinner-Show „Pomp Duck and Circumstance“, Mutter jeder Erlebnisgastronomie im Spiegelzelt.
Der Hitze der Töpfe entkommen, stand er nun als Impresario in roter Livree vor seinem Publikum. Dirigierte 80 Schauspieler, Musiker, Artisten, Köche und Spaß-Kellner, um Gäste anzuflegeln, zu amüsieren und Ente zu servieren: zart und knusprig als Hauptgang. 400 Entenbrüste in 18 Minuten blieben eine unfassbare Logistikleistung. Der Spiegel erkannte eine „Wende in der Gastro-Geschichte: Erstmals kippt Spott auf den Starkult um Köche und das modische Gourmetgetue.“
Leitungswasser statt teurer Weine
Wodarz rauschte mit seinem Zelt durch ganz Deutschland, bis Paris und Barcelona, konnte sein Glück kaum fassen. So hätte es weitergehen können. Da tauchte Horst-Dieter Esch auf, ein Bauunternehmer mit Knast-Vergangenheit und neuen US-Geschäften. Er kam mit acht Models, das Zelt war voller Amerikaner, alles tobte. Esch witterte das nächste große Ding. Im Magazin Focus verkündete er, mit „Pomp Duck“ in New York aufzuschlagen und zehn Jahre in Las Vegas bei MGM zu bleiben.
HPW überhörte alle Alarmglocken, zu sehr lockte die weite Welt. Und trug nicht Esch als Veranstalter die Kosten? Na also. Aber man schickt nicht ungestraft eine große Show ins Epizentrum des Entertainments, jedenfalls nicht als Deutscher. Das Scheitern wurde eine Inszenierung für sich. Falscher Standort, zugeschneite Straßen, zu lange Abende für eilige New Yorker. Gäste tranken Leitungswasser statt teurer Weine.
HPW: „Also, gut besucht war es schon, die Stars kamen, Diana Ross, Liza Minnelli, Dennis Hopper, aber dort nahm ja kaum einer Notiz davon. Nur bei einem sprang alles auf und applaudierte – bei Trump. Und dann erschien die Gastro-Kritikerin der New York Times. Sie schrieb: Gehen Sie bloß nicht zu diesen Teutonen! Die Suppe ist noch schlechter als aus der Dose.“ Da verlangten die Leute ihr Geld zurück.“
Zurück in Deutschland
Ein Gastspiel zu Olympia in Atlanta 1996 sollte die Wende einleiten, aber da zog MGM die Finanzierung zurück. Aus der Traum. Wodarz war mit 45 Seecontainern und 83 Mitarbeitern aufgebrochen und reiste nun allein mit zwei Koffern heim. Sein Privatvermögen steckte in dem Unternehmen – Küche, Zelt, Toiletten, alles neu, nun Konkursmasse. HPW: „Ich saß auf dem Flughafen mit schlimmen Gedanken. Da landeten die deutschen Athleten zu den Paralympics, teils schwerst Behinderte. Sie tanzten ausgelassen und vorfreudig vor mir herum. Der Anblick änderte tatsächlich meine Perspektive auf den Verlust, gesund wie ich war.“
Die 2,8 Millionen, die Esch ihm schuldete, sah Wodarz nie wieder. Er hatte nicht nur einem windigen Partner vertraut, sondern auch noch einem korrupten Anwalt. Er ist ein Menschenfreund, ein Menschenkenner eher nicht.
Zu Hause ereilte den Verlierer nicht Häme, sondern Unterstützung. Der „Cirque du Soleil“ stieg mit hohen Investitionen in die Marke „Pomp Duck“ ein, Banken boten Darlehen an, die alte Crew meldete sich zurück. Es ging wieder los mit dem Entenzelt, größer, pompöser, erfolgreicher denn je. Eine Prominenten-Dichte wie zu „Pomp Duck“-Premieren erreichte sonst nur die Berlinale. Undenkbar, dass HPW seine Dinner-Show je aufgeben könnte.
Unverwüstlicher Darling der Dinner-Shows
Leider bekam er auch das hin. Irgendwann rappelte es ihn, der Entrepreneur und Erfinder wollte wieder Neues, nie Dagewesenes in die Welt bringen. Dieses Mal das erste salonfähige Erotiktheater, „Belle et fou“ 2006 am Potsdamer Platz mit Kaviar und Champagner. Versprochen war „Knistern auf höchstem Niveau“. Doch die Idee implodierte zur Premiere. Es knisterten nicht mal die Scheine, die die Spielbank mit dieser Investition verbrannte. Blöd für Wodarz vor allem, dass derweil „Pomp Duck“ von seinem Kompagnon übernommen und zügig ruiniert wurde.
Und nun? Noch ein Wunder: Hans-Peter Wodarz blieb der unverwüstliche Darling der Dinner-Shows in Berlin. Die nächste heißt „Palazzo“. Und wer erinnert sich schon, dass die einst als Konkurrenz von „Pomp Duck“ antrat, als Kopie? Kein Geringerer als der große Witzigmann hatte sich damit 2003 auf den Leipziger Platz gepflanzt. Doch die Berliner hielten ihrem Wodarz am Gleisdreieck die Treue. Der Neue musste sein Zelt vorzeitig abbrechen.
Wodarz führte nie eine Zensur ein
Mit der Zeit entwickelte sich das Hamburger Unternehmen „Palazzo“ zu einer Marke an sechs Standorten. In Berlin wird die Show – die nächste heißt passend „Glücksjäger“ – seit Jahren von Hans-Peter Wodarz und Kolja Kleeberg präsentiert. Sie geriet nie so frech und anarchisch wie das Original, triumphiert aber mit Spitzenmenüs und großer Akrobatik. Wodarz: „Verändert haben sich ja auch die Gäste. Früher wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Heute bieten wir Veggie-Varianten an, trotzdem arbeitet die Küche täglich seitenlange Listen mit Unverträglichkeiten und Allergien ab.“
Ach ja, Vegetarier. Dem ersten begegnete HPW 1975 in Gestalt von George Harrison. Da kannte der Koch nicht mal den Begriff und begann bestürzt zu improvisieren. Die meisten Erlebnisse mit Prominenten beschweigt der Gastgeber diskret, alle nicht.
Einmal kam Klaus Kinski ohne Reservierung in die „Ente“, fand seinen Lieblingsplatz von Heinz Rühmann besetzt, entdeckte Leni Riefenstahl in der Ecke, schwieg. Nach dem Hauptgang stand er auf, riss den Tisch um und schrie: „Was ist denn das für ein Nazi-Schuppen hier!“ Die „Ente“ verlor drei Stammgäste. Wodarz führte nie eine Zensur ein, begrüßte auch Ex-Häftlinge, die mit ihrem Gefängnisdirektor dinierten.
Genusssucht und Familie
Völlig untypisch für die Zunft rüder Köche hat er sich sein sonniges Wesen bewahrt, auch als heutiger Impresario und großer Organisator von Gastro-Events. Noch immer bringt er zusammen, was nicht zusammengehört – feines Essen und Comedy sowieso, auch Welt und Halbwelt, Politik und Schickimicki, Kunst und Gewerbe.
Michael Kunze, der Musical-Autor, Schriftsteller und Schlagertexter, sagt über seinen Freund: „Er gehört zu den höchst seltenen Menschen, die schöpferisch die Welt verändern. Für ihn ist es sicher bitter zu sehen, wie viele geschäftstüchtige Leute von seinen Ideen profitieren. Aber er ist nun einmal kein Geschäftsmann. Zu ihm würde das gar nicht passen. Seine Großzügigkeit, seine Offenheit, sein blindes Vertrauen in Menschen, seine Gutmütigkeit – all das macht ihn mir lieb und wert. Menschen wie er sind rar und vom Aussterben bedroht.“
Schaut er heute auf sein Leben, fallen ihm nicht zuerst seine Erfindungen ein oder die vielen Auszeichnungen, immerhin zählt ihn der „Feinschmecker“ zu den 30 kulinarischen Lichtgestalten Deutschlands, sondern seine Familie. Schon der Gedanke an seine Tochter, sechs, hellt seine Züge auf: „Sie ist das Beste, das mir je passiert ist.“ Hat das Leben aus dem Genusssüchtigen noch einen Familienvater gemacht, einen glücklichen? Passt er nun besser auf sein Geld auf? Ja, doch, sinniert er. „Gut, vielleicht hätte ich ein paar meiner 100 handsignierten Warhol-Grafiken behalten sollen, wertvoll, wie sie sind. Aber es gab auch immer Anlässe, die zu stiften oder zu verschenken.“