Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen? Bei Behinderten funktioniert das nicht
In Berlin nimmt die Impf-Kampagne für die Schwächsten der Gesellschaft endlich Fahrt auf. Das Problem aber bleibt: Wer keine Lobby hat, fällt durchs Raster.

Berlin- Die geistig und körperlich behinderten Menschen in Berlin werden von jetzt an verstärkt gegen Corona geimpft. Endlich scheint sich für sie etwas zu bewegen. Nur zwei mobile Impfteams waren bisher in der Stadt unterwegs, pro Tag verabreichten sie 150 Dosen. Zwischenzeitlich wurde die Kampagne sogar wegen Unsicherheiten um das Vakzin Astrazeneca gestoppt. Allein 23.000 geistig behinderte Menschen leben in Berlin, bei diesem Tempo hätten sie ewig auf ihre zwei Dosen warten müssen.
Ein Skandal hat sich da abgespielt, weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit. Er verdeutlicht ein generelles gesellschaftliches Problem: Wer hierzulande über keine Lobby verfügt, finanzkräftig oder einfach nur laut ist, der hat Pech. Obwohl Behinderte zu jenen gehören, die den größten Schutz benötigen, weil das Virus ihre Gesundheit, ihr Leben mit am stärksten bedroht, fielen sie durchs Raster. Während die Politik über die Rechte von Geimpften debattierte, blieben die Verletzlichsten außen vor.
Hilf dir selbst, dann wird dir geholfen – dies ist die politische, eine stillschweigend anerkannte Maxime. Es ist ein Prinzip, das nur bei denen funktioniert, die zur Selbsthilfe in der Lage sind. Es ist nicht für eine Pandemie gemacht, die individuelle Krisenfälle in Serie produziert. Es passt nicht zu einer Gesellschaft, die eine Teilhabe für alle anstrebt. Immerhin: Durch den Druck der Wohlfahrtsverbände ist für die Behinderten jetzt Besserung in Sicht. Beim Impfen. Aber sonst?
Es heißt, die Pandemie richte sich wie eine Lupe über gesellschaftliche Schieflagen. Das stimmt. Es stimmt aber auch: Verschwindet die Lupe, wird das Problem wieder unsichtbar.