Hingestellt wie bei einem Rockkonzert
Michael Heinisch klingt ernüchtert. Wenn er über die Notunterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen spricht, fallen Worte wie „große Käfighaltung“ und „Lager mit Bewachung“. Heinischs Stiftung Sozdia betreibt zwei Flüchtlingsunterkünfte in Lichtenberg, in einer von ihnen gab es Ende vergangener Woche eine heftige Auseinandersetzung zwischen Security und Heimbewohnern. In deren Verlauf sollen Sicherheitsmitarbeiter den Heimleiter schwer im Gesicht verletzt haben. Mehrere Anzeigen wurden erstattet. Heinisch hat derzeit viele Fragen – auch grundsätzlicher Art. „Flüchtlingsheime sind keine starren Gebilde. Wenn sie sich verändern, müssten sich auch die Strukturen verändern“, sagt er. Doch das sei derzeit nicht möglich, alles sei vorgeschrieben.
Nicht vorbereitet
Sechs Mitarbeiter, so will es das Lageso, managen derzeit den Betrieb der Turnhalle an der Treskowallee 8, in der nun 200 Männer leben. In drei Schichten passen zudem je sechs Brandwachen auf und je zwei Sicherheitsleute. Speziell vorbereitet auf die Tätigkeit im Heim, sagt Heinisch, sei keiner von den Sicherheitsleuten gewesen. „Die wurden da hingestellt wie bei einem Rockkonzert.“ Ihm, Heinisch, sei wichtig, dass die Flüchtlinge in die Organisation des Alltags einbezogen werden. Doch je selbstbewusster sie wurden und je mehr Aufgaben sie im Heim übernahmen, desto überflüssiger sei der Sicherheitsdienst geworden. „Wir hätten Aufgaben neu verteilen oder umschichten müssen, aber das ging nicht.“ Vermutlich habe das zu Frust vornehmlich unter den Mitarbeitern der Nachtschicht geführt, die meist allein mit den Flüchtlingen waren. Am Tag der Auseinandersetzung, sagt Heinisch, seien sogar mehr Wachschützer dagewesen als in der Schicht vorgeschrieben.
Der Vorfall ist nicht der einzige seiner Art. Am Lageso schlugen Security-Mitarbeiter auf Flüchtlinge ein, in Unterkünften für Geflüchtete in Sachsen arbeiteten Rechtsradikale beim Wachschutz. In einem Kölner Heim gab es Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe auf Frauen. In der Notunterkunft im Flughafen Tempelhof warfen christliche Bewohner dem Wachschutz vor, sie nicht vor Übergriffen muslimischer Bewohner zu schützen. Es stellt sich die Frage, ob der Wachschutz nicht mehr Konflikte in solche Heime bringt, als er verhindert.
1 500 bis 2 000 Wachschützer sichern in Berlin die 151 Flüchtlingsheime, schätzt der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW). Die Wachleute passen auf, dass kein Unbefugter hereinkommt. Sie sind für den Brandschutz zuständig, passen auf, dass nicht gezündelt wird, das Rauchverbot eingehalten wird und Herdplatten wieder abgeschaltet werden. In manchen Unterkünften geben sie das Essen aus. Und nicht zuletzt fungieren sie als Streitschlichter. Weil das pädagogische Personal werktags meist nur zwischen 9 und 18 Uhr anwesend ist, sind die Sicherheitsleute abends und am Wochenende mit den Bewohnern allein. Wer welches Heim bewacht, ist in Berlin Sache der Betreiber. Während in manchen Bundesländern die Kommunen die Verträge mit den Sicherheitsunternehmen abschließen, regelt Berlin nur die Rahmenbedingungen. „Mit Wachschutzaufgaben dürfen nur Unternehmen beauftragt werden, die beziehungsweise deren Beschäftigte über eine Sachkundeprüfung gemäß § 34a Gewerbeordnung verfügen“, heißt es in den Qualitätsanforderungen für Heimbetreiber des Lageso. Um einen Sicherheitsdienst zum Gewerbe anzumelden, reicht ein zweiwöchiger Crash-Kurs bei der IHK. Für die Beschäftigten ist eine einwöchige Unterrichtung vorgeschrieben.
Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Sicherheits-Bundesverbandes, hält den Dienst in Flüchtlingsheimen dennoch für wichtig. „Ja, man braucht sie in den Heimen.“ Unzufrieden ist er mit der Auftragsvergabe. Der Staat müsse die Sicherheitsunternehmen selbst engagieren und so dafür sorgen, dass Standards eingehalten werden und nicht beim Dienstleister gespart werde. Sicherheitsleute müssten besser geschult werden. „Deeskalationstechniken sollten nicht nur vorgetragen, sondern in Rollenspielen eingeübt werden“, sagt Olschok. Es sei unrealistisch, das in einer Woche zu erlernen. Der BDSW hält es außerdem für notwendig, dass die Beschäftigten interkulturelle Kompetenzen erwerben: Wissen über Religionen, Fluchtgründe, Stammeskulturen, Umgang mit traumatisierten Menschen.