Historiale Berlin: Per Casting in die Geschichte schlüpfen

Berlin - Die Temperaturen sind schweißtreibend, doch Rosemarie Scholz steckt in einer weißen Rüschenbluse und einem schwarzen Blazer, ihren Kopf ziert ein schwarzer Hut mit Feder. „Ich bin Madame Du Titre“, sagt die 62-Jährige nicht ohne Stolz. Madame wer? Resolut greift Rosemarie Scholz nach einem Stift und schreibt den Namen. „Die war ganz bekannt und hat von 1748 bis 1827 gelebt“, sagt sie mit Nachdruck. Warum die bekannt war? Jetzt guckt Frau Scholz fast ein wenig streng. „Die war gut verheiratet.“

Stilecht in Kostümen

Keine Frage, Rosemarie Scholz kennt sich aus mit Prominenz. Deshalb ist sie auch völlig richtig an diesem Nachmittag: Hier, im schattigen Hinterhof des Hauses Unter den Linden 40, hat der Verein Historiale zu einem Casting geladen. Gesucht werden Menschen, die im August beim Geschichtsfestival historische Persönlichkeiten und Personen verkörpern wollen – stilecht in Kostümen, versteht sich.

„Ich wäre sehr froh, wenn ich das machen könnte“, sagt Rosemarie Scholz. Sie interessiere sich für Geschichte, erzählt die frühere Bibliothekarin, sie arbeite als Komparsin für die Komische Oper und ehrenamtlich in einer Bibliothek. Im August habe sie Zeit. Sie habe auch schon nachgedacht über einen möglichen Auftritt: „Ich würde da so rumlaufen, kleine Sketche erzählen und Berliner Lieder singen.“

Bewerber quer Beet

Ob die Rentnerin aus Lichtenberg bei der Historiale dabei sein wird, entscheidet Projektleiter Norman Kirsten. Mehr als 90 Leute haben sich bereits beworben, nun ist das dritte Casting an der Reihe. Alle, die Interesse haben, müssen Namen und Konfektionsgröße sowie Kopfumfang, Taille und Kragengröße aufschreiben, dann werden sie fotografiert und müssen einen Zettel vor die Brust halten, auf dem ihr Name steht. Etwa 25 Menschen sind an diesem Nachmittag zu Norman Kirsten und seiner Mitarbeiterin gekommen. „Die Bewerber sind quer Beet“, sagt der Projektleiter, die jüngste sei 13 gewesen. „Unsere älteste Teilnehmerin war 81 Jahre.“

Die 75 Komparsen, die bei der diesjährigen Historiale auftreten sollen, müssen gut zu Fuß und in der Lage sein, den Festbesuchern für Fotos und Gespräche zur Verfügung zu stehen. Und alle werden an dem Wochenende auf vier Paraden durch das Nikolaiviertel stolzieren.

Angabe der Taillenweite

Wer dafür ausgesucht wird, bekommt ein Kostüm aus dem Fundus des Filmpark Babelsbergs und hundert Euro Aufwandsentschädigung für die drei Tage. „Jeder wird natürlich informiert, welche Rolle er spielt“, sagt Kirsten, auch Improvisationsvermögen sei gefragt. „Aber meist läuft das gut, wer sich einmal im Kostüm vor dem Spiegel gesehen hat, ist drin in der Rolle.“

Doch um ein Kostüm zu tragen, ist die Angabe der Taillenweite unerlässlich. Doch nicht jeder, der sich an diesem Nachmittag bewirbt, kennt seine Maße. Ein älterer Mann kommt deshalb noch einmal zurück. „Ich war extra in einem Laden für Reizwäsche“, berichtet er atemlos. Er habe dort nach einem Maßband gefragt. „Das war gar kein Problem.“