„Hitler – Wie konnte es geschehen?“: Berlin Story Bunker zeigt bislang umfassendste NS-Ausstellung

Eine Hitler-Ausstellung – muss das noch sein 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem elenden Tod des Räubers und Massenmörders? Ja, es muss, denn erstens hat es noch keine zusammenfassende Ausstellung zu diesem Thema gegeben, bestenfalls solche, die einzelne Abschnitte zeigten. Israel hat Yad Vashem, die USA haben das Washington Holocaust Museum. Das Land der Täter leistet sich nichts Vergleichbares, glaubt, mit Mahnmalen plus Info- und Doku-Teilen davonzukommen.

Zweitens gehen erschütternd viele Legenden und Verschwörungstheorien in der Welt um, so dass gar nicht genügend Wissen vermittelt werden kann. Eine davon lautet: Hitler habe sich gar nicht umgebracht, sondern konnte nach Argentinien entkommen. Diese Mär geistert verstärkt durch die Köpfe, seit eine aufwändig produzierte achtteilige Serie auf dem History Chanel lief, verkauft in 160 Länder.

„Wir machen das, was wir machen wollen“

Gegen solche Geschichtsverdrehungen wendet sich die Ausstellung „Hitler, wie konnte es geschehen?“ im Berlin Story Bunker am Anhalter Bahnhof. 2500 Quadratmeter, 330 Tafeln, mehr als 2300 Abbildungen, davon 800 bisher nicht veröffentlichte. Es geht in jedem Bild, in jedem Text – in Deutsch wie Englisch – um Wissen.

Schon allein dass sich die Initiatoren, allen voran Kurator Wieland Giebel und Enno Lenze, Betreiber des Story Bunkers, an das Thema Hitler gewagt haben, verdient Hochachtung. Das Deutsche Historische Museum fasst die NS-Frage minimalistisch an; das für Berlin zuständige Märkische Museum tat es jahrzehntelang gar nicht und macht erst jetzt die ersten Versuche.

Für die Macher der neuen Ausstellung steht fest: „Die drücken sich. Wir machen das, was wir machen wollen.“ Sie arbeiten ohne Geld vom Staat, müssen weder um ihre Jobs noch akademische Nachteile fürchten. Gleichwohl: Sie haben wissenschaftlich gearbeitet, erschlossen neue Quellen, gehen systematisch und gestalterisch geschickt vor.

Handarbeiten vom jungen Führer

Die Hauptqualität der neuen Präsentation liegt in dem klaren, unverklebten Blick auf die komplexe Sache. Wir sehen viele Details, die ein Bild formen: Hitler wurde nicht als Monster geboren, er konnte tatsächlich malen, (einige Gemälde zeigen das exemplarisch), seine Faszination für opernhafte Inszenierungen (Lichterdome!) gewann er offenbar als 16-jähriger in Wagner-Aufführungen (mit Vorliebe „Rienzi“).

Die folgenden Jahre wurden zu den entscheidenden, ein Raum widmet sich der Frage „Wie Hitler zum Nazi wurde“. Dies zu beschreiben ist ein kühnes Vorhaben – die gesellschaftlichen Umstände lassen sich zwar fassen, die innerliche Wende unvergleichlich schwieriger. Die Ausstellung stützt sich in diesem zentralen Punkt vor allem auf die Erkenntnisse des Historikers Thomas Weber von der Universität Aberdeen, der 2016 dazu eine anerkannte Monografie vorgelegt hat.

Die Hälfte der Ausstellung widmet sich der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust – wo sonst wären die Erklärungen dafür zu finden, wie es zur Katastrophe kam. Pickelhauben grüßen zu Beginn des Rundgangs von der Decke, hier entsteht der Zeitgeist des „Krieg heißt Sieg“, in den der spätere Führer hineinwuchs. Dass er mit der 1918 folgenden Niederlage nicht klarkam, schon gar nicht mit dem „Schandfrieden von Versailles“, wurde zu einem der Auslöser für den Wandel zum antisemitischen, militanten Nationalisten. Zu sehen sind handgezeichnete Entwürfe des Hakenkreuzsymbols, aber auch ein Artikel aus der New York Times vom 21. November 1922 mit der Überschrift „New popular Idol rises in Bavaria“ – derart hellsichtig, dass man heute glauben möchte: Man konnte wissen, was kommen würde.

Eine Tafel widerlegt die Legende, die aufsteigende NSDAP sei von der Industrie finanziert worden, das kam erst nach 1932. Zunächst lebte die Bewegung von den „Opfern“ ihrer Anhänger. Die durften bald die Gewissheit erlangen, es habe sich gelohnt. Nach wenigen Jahren Hitler zeigten sich die Freuden des nationalsozialistischen Wohlfahrtsstaates, der jedem, der mitmachte, Vorteile brachte.

Aufstieg der „Kaste der Primitiven“

Mehrfach beschrieben sind die Erfahrung der Nazis, dass sie ungestraft Regeln brechen, Verbrechen begehen und diese immer weiter eskalieren konnten: Nach der Machtergreifung 1933 richteten lokale NS-Größen wilde KZ ein – niemand ging dagegen vor; Leute schikanierten jüdische Nachbarn und blieben ungeschoren; deutsche Truppen marschierten 1936 vertragswidrig im entmilitarisierten Rheinland ein – ohne dass ein internationales Einschreiten folgte.

Als die USA 1939 ein Schiff mit 937 jüdischen Flüchtlingen, die „St. Louis“, abwiesen und sie nach Deutschland zurückkehren mussten, war für die Nazis bewiesen: Den Juden gibt keiner Schutz. Das war als stilles Hinnehmen der kommenden Vernichtung interpretierbar. So konnte es geschehen, dass sich eine „Kaste der Primitiven“ durchsetzte, wie Wieland Giebel formuliert.

Und der Historiker Sven-Felix Kellerhoff korrigiert ein beliebtes Verfahren der Wahrheitsverdrängung: die Abspaltung der Nazis von den Deutschen. Die Nazis waren Deutsche. Die Hitler-Regierung, das ganze System, fand weitreichende Akzeptanz bei den vielen, die auf den eigenen Vorteil hofften – ein zentraler Teil des Phänomens Hitler und Teil der Antwort auf die Frage: Wie konnte es geschehen.

Ist diese Frage, mit der der Ausstellungstitel lockt, nun beantwortet? Mitnichten! Das gibt Enno Lenze unumwunden zu, und Wieland Giebel erinnert an den großen deutschen Historiker Hans Mommsen, der kurz vor seinem Tode resümierte: „Da hast du die Nazizeit erklärt und erklärt – und am Schluss kannst du sie doch nicht erklären.“ Aber Annäherung, Aufhellung, Einsichten – das bringt die neue Ausstellung. Anschauen dringend empfohlen.