Hitze in Berlin: Darum sollten Kinder besonders vorsichtig sein
Ozon, Feinstaub, Pollen – die Belastung nimmt zu. Gefahren lauern nicht nur in der überhitzten Berliner City. Auch der grüne Stadtrand kann zur Falle werden.

Es wird heiß in Berlin. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal in diesem Jahr. Vor allem Kinder leiden darunter. Ihre Gesundheit gerät durch die extremen Sommer hierzulande immer stärker in Gefahr. Prognosen zufolge macht die Generation von 2020 in ihrem Leben 6,8-mal häufiger Hitzewellen durch als die 1960 Geborenen. Sie ist also deutlich öfter Perioden von mehr als drei Tagen mit Temperaturen jenseits der 30 Grad ausgesetzt. Berlin erwartet in dieser Woche wieder eine solche Welle.
Vertraute Bilder sind dann im Strandbad Wannsee zu sehen, wo Menschen am Einlass Schlange stehen. Vertraute Bilder auch am Strandbad Müggelsee, wo in Ufernähe kaum ein freier Platz im Wasser zu finden sein dürfte. Die Berliner flüchten ins Grüne, auf der Suche nach Erfrischung. Gut möglich, dass sie in eine Falle tappen.
„Die Situation erscheint paradox“, sagt Kinderarzt Thomas Lob-Corzilius. Und dann erzählt er von Ozon, den Tücken dieses Klimagases und davon, was es in einem heranwachsenden Organismus anrichten kann. Denn Lob-Corzilius arbeitet bei der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPAU). Er hat sich intensiv mit den gesundheitlichen Folgen erhöhter Ozonwerte in der Atemluft befasst, einem Überfluss an O₃, des radikalen Bestandteils von Sauerstoff. Ein Überfluss, wie er an heißen Tagen am Berliner Stadtrand herrscht.
Dass viel Grün nicht automatisch mit viel frischer Luft gleichzusetzen ist, belegen Zahlen. Laut Umweltbundesamt lag der Ozonwert 2020 im Jahresmittel auf dem Land bei 60 Mikrogramm pro Kubikmeter, fiel in Städten dagegen mit 49 Mikrogramm deutlich niedriger aus. Dafür sind nicht die Temperaturen verantwortlich. „Nicht die Hitze selbst setzt O₃ frei, es ist die Sonneneinstrahlung, das ultraviolette Licht UVA und UVB“, erläutert Lob-Corzilius.
Trifft das Licht in Bodennähe auf Stickstoffdioxid, NO₂, kommt es zu einer chemischen Reaktion. „Dabei spaltet sich NO₂ auf in NO und ein O-Radikal. Das verbindet sich schnell mit O₂, also Sauerstoff, und wird zu O₃, Ozon.“ NO₂ erzeugen fossile Brennstoffe, der Straßenverkehr ist ein Hauptlieferant.
Am Stadtrand steigt der Ozon-Pegel am Nachmittag
Die Thermik transportiert das Ozon schließlich von der Hitzeinsel Berlin hinaus an den Stadtrand. Dort steigt die Konzentration am Nachmittag und erreicht abends ihren Höchststand. Die grüne Lunge der Stadt hört unterdessen auf, zu atmen. Zwar könnten die Pflanzen Ozon aufnehmen, doch die extremen Temperaturen hindern sie daran. „Sie schließen ihre Blätterporen, um Wasser zu sparen“, erklärt Lob-Corzilius.
Energiesparen ist dann auch eine geeignete Strategie für Menschen, um mit dem Ozon fertigzuwerden. Für Kinder bedeutet das: „Schwimmen ist unproblematisch.“ Gemäßigte Bewegung sei ebenfalls unbedenklich, doch empfehle er, es insgesamt ruhig anzugehen, sagt der Arzt. „Intensiv herumtollende Kinder haben ungefähr den Atemumsatz eines Joggers“, sagt Lob-Corzilius. „Sie inhalieren dadurch mehr Ozon.“ Es reizt die Atemwege und verursacht in der Lunge kleinste Entzündungen.
„Oxidativer Stress“, so nennt das der Osnabrücker Mediziner: „Er führt zu Symptomen, die wir vom Asthma kennen.“ Und tatsächlich kann O₃ Asthma auslösen und verstärken, unabhängig vom Alter der Heranwachsenden. „Das zeigen inzwischen etliche Studien weltweit“, sagt Lob-Corzilius. Sind Kinder und Jugendliche über einen langen Zeitraum hohen Konzentrationen ausgesetzt, können Funktion und Wachstum der Lunge beeinträchtigt sein. „Chronische Leiden sind bei lang anhaltender Exposition möglich, selbst wenn die Belastung unter 120 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt.“
Das ist in der Europäischen Union der sogenannte Zielwert für Ozon. Die 120 Mikrogramm sollten nicht öfter als 25-mal pro Kalenderjahr überschritten werden. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist dieser Wert aber noch zu hoch angesetzt. Im September 2021 empfahl sie deshalb, die Schwelle für eine gesundheitlich unbedenkliche Konzentration auf 100 Mikrogramm zu senken. Die WHO stützte sich dabei auf mehrere internationale Studien.
In Berlin erfassen 15 Messstationen die Belastung der Luft mit Schadstoffen. Das Umweltbundesamt macht die Daten über eine App zugänglich. „Damit hat jeder die Möglichkeit, sich über die aktuelle Lage zu informieren und entsprechend zu verhalten“, sagt Lob-Corzilius. Nachzulesen sind die Werte außerdem im Internet, zum Beispiel unter www.luft.jetzt/Berlin.de.
Feinstaub durch Waldbrände macht krank
Ozon ist nicht die einzige Gefahrenquelle. Die 15 Stationen messen auch die Konzentration von Feinstaub. „Die ist im ganzen Jahr ein Problem“, sagt Lob-Corzilius. Allerdings kann sie sich im Sommer weiter verstärken, ebenfalls als Folge des Klimawandels – durch Waldbrände. Davon wird die Generation 2000 ebenfalls stärker betroffen sein als jene von 1960, laut Prognose doppelt so oft.
In Berlin ist dieser Trend bereits zu spüren. Zuletzt brannten im Umland drei größere Forsten, in den Landkreisen Teltow-Fläming und Potsdam-Mittelmark. Nirgendwo sonst gehen Wälder derart oft in Flammen auf wie in Brandenburg, mehrere hundertmal pro Jahr. Das Feuer hat auf dem ausgedörrten Boden leichtes Spiel. Seine Rückstände transportiert der Wind auch nach Berlin, abhängig natürlich von der Luftströmung. Eine Studie der Senatsumweltverwaltung zeigte vor einigen Jahren, dass zwei Drittel des Feinstaubs in der Hauptstadt aus anderen Regionen stammen. Ostwind zum Beispiel bringt die Ausdünstungen polnischer Kohlekraftwerke heran.
Eine Studie aus den USA wiederum deutet darauf hin, dass Feinstaub, durch Waldbrände freigesetzt, das Risiko erhöht, als Patient wegen Herz-Kreislauf-Problemen oder Atembeschwerden in einer Notaufnahme zu landen. Es steigt mit zunehmendem Alter und je nach Symptom um bis zu 25 Prozent. Schon wer nur wenige Tage dem Rauch ausgesetzt ist, kann sich eine Bronchitis zuziehen, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleiden, bilanzierten die Wissenschaftler der Environmental Protection Agency (EPA).
Und noch ein gesundheitliches Risiko birgt der Klimawandel. Durch steigende Temperaturen beginnt der Pollenflug früher und endet später. „Wir haben es in Deutschland je nach Region inzwischen von Januar bis November mit Pollen zu tun, es droht ein ganzjähriger Pollenflug“, sagt Lob-Corzilius. Pollen enthalten spezifische Eiweiße, die das menschliche Immunsystem als fremd erkennt und bekämpft. „Nach einer Phase der Empfindlichkeit kann daraus eine allergische Reaktion entstehen.“
Die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) wertete Patientendaten aus, die sie zwischen 2010 und 2020 erhoben hatte. Ein Ergebnis: In Berlin nahm durch Pollen ausgelöster allergischer Schnupfen um 11,6 Prozent zu. Damit lag die Metropole deutlich über dem durchschnittlichen Anstieg über alle Bundesländer hinweg von 8,7 Prozent. Immer mehr Kinder sind betroffen.
Jeder Dritte entwickelt in seinem Leben eine Allergie, fast 90 Prozent aufgrund von Pollen. Die werden aggressiver, was auch daran liegt, dass sie auf ihrer Oberfläche oft Feinstaub transportieren. Der Feinstaub entzieht den Pollen Eiweiße, es entsteht eine mikroskopisch winzige Mischung mit explosiver Wirkung; denn diese kann tiefer in die kleinen Bronchien vordringen, das menschliche Immunsystems wird leichter sensibilisiert.
Das sind schlechte Nachrichten für die bevorstehenden heißen Tage. Doch steckt auch eine Botschaft für den kommenden Herbst und Winter darin. Gaskrise und Inflation lassen viele Menschen hierzulande nach alternativen Methoden suchen, ihr Heim zu beheizen. Die Nachfrage nach Kohle und Brennholz wächst. Werden sie verfeuert, steigt die Belastung durch Feinstaub, die Belastung für die Schwächsten – die Kinder.