Homophobie in Russland: Sieben Freunde gegen Putin

Eine Gruppe junger Männer steht am frühen Nachmittag auf der Wichertstraße in Prenzlauer Berg. Einer schwenkt eine große russische Fahne, zwei schwarze Bänder hängen von ihr herab. „Ob wir den Trauerflor annähen sollten?“, fragt er. Sie gehen zurück in das Büro im Erdgeschoss des Gebäudes.

Kisten mit Flyern liegen herum, ein Banner lehnt an der Wand, auf einem Sofa liegen weiße T-Shirts mit der Aufschrift „Enough is enough – Stop homophobia“: Genug ist genug, stoppt die Homophobie. Die Truppe, die die Demonstration gegen das im Juni in Russland erlassene Anti-Homosexuellen-Gesetz organisiert, hat hier ihr provisorisches Hauptquartier.

Sie sind zu siebt, sieben Freunde, alle homosexuell. Zwei Frauen, fünf Männer, der jüngste 23, der älteste 39 Jahre alt. Sechs von ihnen arbeiten in der Kreativbranche. Nur Marco Schenk, der draußen die Fahne geschwenkt hat, ist Flugbegleiter. Er hat seinen Jahresurlaub genommen, um jetzt mitzumachen.

Vor einem Monat hätten sie sich zu einem Spieleabend getroffen, erzählt Alfonso Pantisano. Sie seien auf eine Aktion der Berliner Drag Queen Barbie Breakout zu sprechen gekommen. Die hatte sich ein paar Tage zuvor aus Protest gegen die Verfolgung russischer Homosexueller den Mund zugenäht. Die Stimmung sei umgeschlagen. An diesem Abend sei die Idee entstanden, eine Demonstration zu organisieren. Von der Resonanz sind die Sieben überwältigt.

„Die T-Shirts sind jetzt alle weg“, meldet Sebastian Groß. Er ist Innenarchitekt, eigentlich ist hier sein Arbeitsplatz. Aber in diesen Tagen kommt er nicht dazu, sich um Wohnungseinrichtungen zu kümmern. Er und die anderen schauen sich ein Video an, das ein Ehepaar aus Kanada auf der Facebook-Seite gepostet hat, die sie für die Demonstration eingerichtet haben. „Unser Sohn ist schwul“, sagt die Frau. „Wir unterstützen Ihr Engagement.“

Fast 7000 Gefällt-mir-Einträge hat die Facebook-Seite bis Freitagnachmittag bekommen. Es gibt Spenden, Berliner Clubs haben ihren Flyerboys die Demonstrationsaufrufe mitgegeben, im Berghain hängen ihre Plakate. Jemand, an dessen Namen sie sich gerade nicht erinnern können, hat dafür gesorgt, dass der Werbespot, den sie selbst gedreht haben, kostenlos in Berliner Kinos läuft.

Die Petition, mit der sie auf der Online-Platform Change Außenminister Guido Westerwelle auffordern, auf der Demonstration zu sprechen, haben binnen zwei Tagen mehr als 13.000 Menschen unterzeichnet. Kommen wird Westerwelle trotzdem nicht. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat abgesagt. Am Freitag teilte er mit, er habe sich in einem Brief an seinen Moskauer Amtskollegen Sergej Sobjanin besorgt über das Gesetz geäußert.

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„Man unterstellt uns, dass wir nur feiern wollen“, erklärt Alfonso Pantisano. „Aber jetzt müssen wir auf die Straße gehen. Menschenrechte werden verletzt.“ Pantisano ist Event-Moderator, Schauspieler. Er sagt, dass sie eigentlich gar nicht wüssten, wie man eine Demonstration organisiert. Gerade hat er versucht, die Polizei zu erreichen. Er möchte fragen, ob sie eine Bühne aufbauen dürfen. Die Komische Oper würde das Material zur Verfügung stellen.

Dann spricht er mit einem Freund aus dem Politikbetrieb. Er soll erreichen, dass die Berliner öffentlichen Gebäude am Sonnabend die Regenbogenflagge hissen. „Was für ein Beflaggungsgesetz?“, ruft er in den Hörer. Mit der offiziellen Beflaggung scheint es nichts zu werden.

Auf der Straße kleben Helfer Plakate. „Ich bin eigentlich ein unpolitischer Mensch“, sagt ein 50-jähriger Mann. Er arbeitet in einem Club, normalerweise würde er um diese Zeit schlafen. „Aber jetzt müssen wir was tun. Man bekommt es ja mit der Angst zu tun.“ Er berichtet, dass Freunde aus Hamburg und Düsseldorf zur Demonstration anreisen werden.

Die Plakate richten sich an die Sponsoren der Olympischen Winterspiele Anfang 2014 im südrussischen Sotschi: Coca Cola, Visa, VW, McDonalds. Sie wirken professionell, als hätte eine Werbefirma die Ideen dafür entwickelt. Doch sie kommen von ihnen selbst. „Trink keine Coke mit Putin“, heißt es auf einem Plakat. Unter den Omega-Slogan: „Wenn sich etwas verbessern ließe, hätten wir es längst getan“, haben sie geschrieben: „Wirklich? Wir hätten da eine Idee für Russland.“

Es gehe nicht nur um Russland, sagt Alfonso Pantisano. Auch in Deutschland gebe es Probleme. Er zitiert das Grundgesetz: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. „Würde das stimmen, müsste man nicht darüber diskutieren, ob mein Partner und ich ein Kind adoptieren dürfen“, sagt er.

Der Schwulen- und Lesbenverband aus Russland hat ihnen die Datei für einen Flyer gemailt. „Eure Solidarität ist wichtig für uns“, steht darauf. Sie haben ihn 10 000 Mal drucken lassen. Wenn sie am Sonnabend vom Kurfürstendamm zum Brandenburger Tor ziehen, werden sie ihn verteilen.