Homophobie in sozialen Netzwerken: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“

Diese Woche berichtete die Berliner Zeitung über die Geschichte von Nasser: Er ist schwul, stammt aus einer libanesischen Großfamilie und soll zwangsverheiratet werden. Jetzt klagt er gegen seine Familie. Auf Facebook wurde der Artikel dutzendfach geteilt und kommentiert. Erschreckend viele Kommentare waren rassistisch und homophob, drohten Nasser mit Gewalt und sogar Mord. Alfonso Pantisano, Sprecher der Anti-Homophobie-Initiative „Enough is Enough! Open Your Mouth!“, über Hass im Netz.

Woher kommen diese Kommentare?

Das hat mit der Anonymität des Internets zu tun: Ich verstecke mich hinter meinem Bildschirm und tippe, um einen anderen zu verletzen – aber auch, um das eigene Ego zu füttern, indem mein Kommentar am Ende geteilt, zurück kommentiert oder gelikt wird. Viele der Kommentarschreiber würden sich im wahren Leben nie trauen, Nasser so etwas ins Gesicht zu sagen, dazu sind sie viel zu feige. Würden sie es dennoch tun, würden man sie anzeigen. Die Leute glauben, sie haben im Internet einen rechtsfreien Raum. Ist aber nicht so. Die Kommentare müssen geahndet werden. Homophobie ist keine Meinung, sondern strafbar.

Ist die rechtliche Handhabe dafür ausreichend?

Diese Kommentare sind definitiv justiziabel. Wir als Bürger müssen dagegen vorgehen, genauso die Medien, auf deren Seite diese Kommentare gepostet werden, in diesem Fall die Berliner Zeitung. Wenn ich jemandes Hauswand beschmieren würde, dann würde der Besitzer es doch auch anzeigen.

Könnte man solche Kommentare nicht stehen lassen, um zu zeigen, welche Ressentiments es noch immer gibt? Oder doch besser löschen?

Löschen. Und zur Anzeige bringen. Denn Morddrohungen haben mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Für mich hat Homophobie, genau wie Rassismus und Antisemitismus den gleichen Kern: Hass. Wir aber müssen die Würde aller Menschen schützen.

Viele Kommentare kamen dem Namen nach von türkisch- oder arabischstämmigen Jugendlichen.

Homophobie hat nichts mit einem Migrationshintergrund zu tun. Vielleicht gab es in diesem Fall viele Kommentare aus der Community, weil es eben um einen libanesischen jungen Mann ging, der sich an die Ehre der Eltern heranwagt. Es gibt aber genauso viele deutsche Jugendliche, die sich dem Thema Homosexualität genauso stur und blind entgegenstellen. In Italien, wo ich herkomme, haben Sie die gleiche Homophobie, genauso in Frankreich, in den USA – weltweit. Das zieht sich auch quer durch alle Religionen und gilt nicht nur für den Islam. Homophobie ist überall. Das hat mit purer Dummheit zu tun. Und Erziehung. Da sind die Eltern gefragt, aus ihren Kindern liberale und offene Menschen zu machen. Wir haben auf unserer Seite übrigens sehr viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich gegen Homophobie wehren. Einer davon ist Nasser.

Nasser ruft nun dazu auf, ihm Screenshots der Kommentare zu schicken, er wolle selbst Anzeige erstatten. Wie wichtig ist so etwas für ihn?

Nasser ist ein Angegriffener, kein Opfer. Jetzt wehrt er sich, er hat so die Macht, selbst zu bestimmen, wie er leben möchte. Wie es ihm dabei geht, kann ich Ihnen nicht sagen. Mich persönlich hat es sehr wütend gemacht und viel Angst hochkommen lassen. In was für einer Welt leben wir? Ich mache mir Sorgen um meine Zukunft und um die eines Nassers. Wie soll ein junger Mensch ohne Familie in einer Gesellschaft zurechtkommen, die nicht in der Lage ist, ihn zu schützen? Daran müssen wir arbeiten. Ich bin homosexuell, das ist eine Tatsache. Keiner hat das Recht, mir zu sagen, wie ich zu leben habe. Im Jahr 2015 sollten die Menschen endlich akzeptieren, dass wir alle sind, wie wir sind.

Interview: Anne Lena Mösken

Anmerkung der Redaktion: In den Kommentaren soll jeder frei seine Meinung äußern dürfen. Doch es gibt Grenzen, deren Überschreitung wir nicht dulden. Dazu gehören alle rassistischen, rechts- und linksradikalen, homophoben oder sexistischen Bemerkungen. Auch die Diffamierung von Minderheiten, Randgruppen oder Menschen mit Behinderung akzeptieren wir nicht. Zudem darf kein Artikelautor oder anderer Kommentator persönlich beleidigt oder bloßgestellt werden. Bitte bedenken Sie, dass Beleidigungen und Tatsachenbehauptungen auch justiziabel sein können. Sollten sich Kommentatoren nicht daran halten, sammeln wir Screenshots der Bemerkungen und leiten diese an unsere Rechtsabteilung weiter, die gegebenenfalls juristische Schritte prüft.