Hongkonger Unternehmen möchte Berliner S-Bahnlinien betreiben

Die größte Ausschreibung der Berliner Verkehrsgeschichte hat begonnen. Zu den Teilnehmern gehört auch ein alter Bekannter.

Eine S-Bahn im Berliner Hauptbahnhof. Auch die Linien auf der Ost-West-Strecke, die durch den Bahnhof verläuft, werden ausgeschrieben.
Eine S-Bahn im Berliner Hauptbahnhof. Auch die Linien auf der Ost-West-Strecke, die durch den Bahnhof verläuft, werden ausgeschrieben.

Berlin-Es ist eine Ausschreibung der Superlative. Und es ist gut möglich, dass sie den S-Bahn-Fahrgästen Änderungen bescheren wird. Gesucht werden Unternehmen, die künftig neue Züge bereitstellen und betreiben. Damit droht der S-Bahn Berlin GmbH, die derzeit noch für den gesamten Verkehr zuständig ist, Konkurrenz. Bis zum vergangenen Donnerstag nahm der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) Teilnahmeanträge entgegen. Zu den Absendern gehört nach Informationen der Berliner Zeitung das Unternehmen MTR, dessen Hauptsitz sich in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong befindet. Der Bahn- und Busbetreiber Transdev ist ebenfalls unter den Antragstellern. Dessen Deutschland-Chef ist in Berlin kein Unbekannter: Tobias Heinemann leitete die Berliner S-Bahn - bis er 2009 abgesetzt wurde. „Es wird ein Elefantenrennen zwischen zwei bestimmten Teams“, heißt es in Branchenkreisen.

„Der Aufruf zum Teilnahmewettbewerb für die Vergabe der S-Bahn-Leistungen ist auf ein positives Echo gestoßen“, freute sich Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne). Es geht um nicht weniger als elf S-Bahn-Linien. Für die Nord-Süd- und Ost-West-Strecken, rund zwei Drittel des Netzes, werden mindestens 1308 und bis zu 2160 Wagen benötigt. Die neuen Fahrzeuge, deren Lieferung zwischen 2027 und 2034 ansteht, gehen in das Eigentum des Landes Berlin über. Ein weiteres Novum: Interessenten können sich entscheiden, ob sie sich nur für den Bau der übernächsten S-Bahn-Generation oder nur für deren Betrieb bewerben – oder für beides. 

„Wenn viele qualifizierte Unternehmen dabei sind, ist dies eine gute Voraussetzung, um ein hochwertiges Verkehrsangebot zu erhalten“, so die Verkehrssenatorin. Allerdings bewerteten Beobachter die Zahl der Fahrzeughersteller, die bis zum 11. Februar tatsächlich Teilnahmeanträge eingereicht haben, als „sehr überschaubar“. Vor anderthalb Jahren hatten, wie berichtet, noch weitere Produzenten Interesse gezeigt – die Rede war von Hitachi aus Japan, Škoda aus Tschechien und CAF aus Spanien. Dagegen werden jetzt, in der ersten Stufe des Verfahrens, nur noch drei Namen genannt.

Zum einen handelt es sich um Siemens und Stadler. Das Konsortium baut derzeit die nächste S-Bahn-Generation, die auf dem Ring und im Südosten Berlin eingesetzt werden soll. Die ersten Züge, die bisher gute Noten bekommen haben, sind seit Jahresbeginn auf der Linie S47 zwischen Spindlersfeld und Hermannstraße unterwegs. Stadler betreibt in Pankow ein großes Werk, das immer weiter wächst.

SPD, Linke und Gewerkschafter fürchten Zerschlagung der S-Bahn

Zum anderen hat Bombardier Transportation bei dem größten Vergabeverfahren der Berliner Verkehrsgeschichte den Hut in den Ring geworfen. Von dem Unternehmen, das in Hennigsdorf einen Standort hat, stammt der größte Teil der jetzigen S-Bahn-Flotte. Inzwischen gehört Bombardier dem französischen Hersteller Alstom. Der zuständige Alstom-Vorstand ist Müslüm Yakisan, der bei Siemens als Leiter des Regionalzuggeschäfts für die neuen S-Bahnen für den Ring zuständig war.

Die Namen aus der Industrie tauchen übrigens zweimal in den Auswertungen auf. Einerseits bewerben sich die Hersteller dafür, die künftigen S-Bahnen zu bauen und instand zu halten. Andererseits haben sie sich mit Zugbetreibern zusammengeschlossen, für Gesamtangebote aus einer Hand. Siemens und Stadler reichten zusammen mit der S-Bahn Berlin GmbH einen Antrag ein. Das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn betreibt bislang alle S-Bahnen in der Hauptstadt-Region.

Bombardier kooperiert mit Transdev Regio Ost. Das Unternehmen, das einst Connex und dann Veolia hieß, gehört der französischen Caisse des Dépôts sowie der deutschen Rethmann-Gruppe. Tobias Heinemann ist seit 2018 Sprecher der Geschäftsführung von Transdev Deutschland. Er war Chef der S-Bahn Berlin, als die damalige Krise des Bundesunternehmens ihre Höhepunkte erlebte - zum Ärger zahlreicher Fahrgäste. Als immer mehr Züge wegen Wartungsmängeln ausfielen, wurde der Jurist im Sommer 2009 schließlich abberufen. Peter Buchner nahm seinen Posten ein, und sitzt dort bis heute.

Heinemann musste damals Entscheidungen umsetzen, die im DB-Konzern gefällt wurden, hieß es in Branchenkreisen. Für die Technik war ein anderer Geschäftsführer verantwortlich. „Die S-Bahn-Krise hatte mehrere Gründe“ - und viele Beteiligte. Darum wäre es falsch, Heinemann als Sündenbock darzustellen. Transdev sei sehr erfolgreich.

Auf der Liste der Unternehmen, die jetzt Teilnahmeanträge für die bisher größte Ausschreibung der S-Bahn-Geschichte eingereicht haben, taucht auch Transdev Regio Ost zweimal auf. Denn es gibt noch eine Aufstellung für Firmen, die sich separat nur für den Betrieb der übernächsten S-Bahn-Generation auf beiden Teilnetzen  interessieren. Außer Transdev findet man dort außerdem die „Die Länderbahn“ (DLB). Sie gehört der Netinera, die wiederum eine Tochter der italienischen Staatsbahn FS ist.

Ein weiterer Neuling in Berlin ist Mass Transit Railway, kurz MTR. In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong betreibt das Unternehmen fast den gesamten Schienenverkehr. Über den Ableger MTR Nordic ist es auch in Europa aktiv. Dieser ist für U-Bahnen und Regionalzüge in der Hauptstadt-Region Stockholm verantwortlich. Fernzüge zwischen Stockholm und Göteborg gehören ebenfalls zum Angebot.

Der VBB äußerte sich nicht. Die Teilnahmeanträge werden nun geprüft, hieß es. Weitere Verfahrensschritte folgen. Mitte Oktober 2022 soll klar sein, wer die übernächste S-Bahn-Generation baut und betreibt. Wettbewerb erhöhe die Qualität und senke die Kosten, sagen Verfechter. Dagegen gibt es bei der SPD, den Linken und der Gewerkschaft EVG weiterhin Kritik an der drohenden „Zerschlagung der S-Bahn“. „Durch die derzeitige Ausschreibung in Betrieb in Teilnetzen, Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten und der Fahrgäste ausgetragen wird“, so die Linke in einem Beschluss.

Elefantenrennen in Sicht

Nachdem nun die Teilnahmeanträge eingegangen sind, rechnen Beobachter aber nicht damit, dass die Befürchtung in dieser Form eintreten wird. Der Wettbewerb halte sich im Rahmen, die Zahl der Interessenten sei überschaubar, hieß es. Kein Unternehmen wolle sich nur für ein einziges Teilnetz bewerben, stets beziehen sich die Anträge sowohl auf die Nord-Süd- als auch auf die Stadtbahnlinien. Außerdem gebe es mit S-Bahn Berlin GmbH/ Siemens/ Stadler sowie Bombardier/ Transdev zwei Konsortien, die sämtliche Leistungen aus einer Hand anbieten wollen. Am Ende werden die beiden Firmengruppen die Angelegenheit bei einem „Elefantenrennen“ unter sich ausmachen, ist eine Vermutung, die am Montag in Branchenkreisen geäußert wurden.

So, wie es derzeit aussieht, werde sich die  Fragmentierung der Berliner S-Bahn in Grenzen halten - oder gar nicht stattfinden.