Hotel andel’s Lichtenberg: Ein Stern für Omas Milchreis

Berlin - Die Kreuzung Landsberger Allee/Ecke Storkower Straße gehört nicht unbedingt zu den sehenswerten Orten der Stadt. Dort treffen Lichtenberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg aufeinander. Es gibt ein Burger-Lokal, ein kleines Einkaufscenter, das Landsberger Forum, das seine besten Zeiten schon hinter sich hat. Es gibt acht-bis zehngeschossige Wohnhäuser und tausende Autos, die jeden Tag den sechsspurigen Verkehrsknotenpunkt überqueren und Straßenbahnen, die vom Alexanderplatz in Mitte die Landsberger Allee hinauf fahren und dann in Richtung Hohenschönhausen und Marzahn abbiegen.

Klobiger Bau

An der Kreuzung steht auch ein Hotel, das andel’s Hotel Berlin. Mit seinen 14 Etagen überragt der klobige Bau die etwas triste Gegend. In dem Hotel befindet sich ein Restaurant – das a.choice. Der Koch Alexander Koppe und dessen Team haben am 6. November dieses Jahres für internationale Schlagzeilen gesorgt. Sie sind an diesem Tag mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet worden. In der Begründung hieß es: In einem ganz auf Tagungen und Events ausgerichteten großen Hotel wie diesem würde man „solch eine finessenreiche Küche eher nicht vermuten“. Die Auswahl der Speisen reicht in diesen Tagen von Müritzer Spitzkopfaal, Kaninchen aus Beelitz, Omas Milchreis bis zu Dorsch aus der Ostsee.

Der Stern wurde während einer Feier in der Bötzowbrauerei vergeben. „Schade, dass wir nicht eingeladen wurden. Ich wäre gern dabei gewesen“, sagt Koch Koppe. Er und seine Mannschaft haben an diesem Tag lange gefeiert.

Der 33-Jährige Koppe ist im Ostteil der Stadt geboren. Er hat dort sein Handwerk gelernt und Erfahrungen im Adlon gesammelt. Als der Chef in das andel’s Hotel Berlin wechselte, ging er mit. Der Chef zog weiter, Koppe blieb und übernahm das Restaurant a.choice. Im Dezember zieht die Kochmannschaft in die 12. Etage. Die Umbauten sind noch in vollem Gange. „Damit wird das Lokal wegen der Aussicht noch attraktiver“, sagt der Sterne-Mann. „Der Umbau war, unabhängig vom Stern, seit längerem geplant. Es ist ein glücklicher Zufall“, so Alexander Koppe, der Königsberger Klopse und Senfeier am liebsten isst.

Allein an zwei Tischen mit einem Acht-Gänge-Menü

Einer der Tester des Michelin Reiseführers hatte sich im April ins Lokal gesetzt und ein Acht-Gänge-Menü bestellt, sagt die Sprecherin des Hotel, Anita Diedrigkeit. „Der Restaurantleiterin fiel der Mann sofort auf.“ Ein allein sitzender, französisch sprechender Mann in einem Lokal, in dem lediglich zwei Tische besetzt sind, bestellt acht Gänge, redet nicht und genießt nur: das kann nur ein Mann sein, der das Essen inspiziert. Und die Gastronomin hatte recht. Es war ein Tester. Als er das Lokal verließ, gab er sich zu erkennen. Er zahlte mit einer Kreditkarte, die nur die Michelin-Tester haben. Was er zu sich nahm, wissen die Mitarbeiter nicht mehr.

Das andel’s wird trotz der Lage gern gebucht, sagen Tourismusexperten. Es ist mit seinen 557 Zimmern nach dem Estrel das zweitgrößte Tagungshotel Berlins. Dort finden regelmäßig Kongresse und Symposien statt. Erst vor einigen Tagen diskutierten deutschlandweit bekannte Urologen über Prostatakrebs oder die Technologien bei Harnleiteroperationen, die dorthin live übertragen wurden. Die Ausstattung ist zudem ideal für Messen. In dem Gebäude befinden sich zwei Lastenaufzüge, mit denen Lkw direkt zum Entladen auf die Veranstaltungsfläche im Untergeschoss gebracht werden können.

„Das mit den Aufzügen habe ich gewusst, das aber jetzt eine Sternekoch an den Töpfen steht, wusste ich nicht“, sagt Rosel Haren. Die 65 Jahre alte Frau wohnt seit mehr als 25 Jahren an der Kreuzung Landsberger Allee/Ecke Storkower Straße in einem der achtgeschossigen Wohnhäuser. Die Gebäude wurden in den 70er-Jahren errichtet und waren wegen ihrer damaligen modernen Ausstattung sehr begehrt. Sie störe die Umgebung nicht, sagt Rosel Haren. „Ich habe mich daran gewöhnt.“

Vom Sternekoch Alexander Koppe wisse sie nichts, erzählt die Frau, die zu DDR-Zeiten ihr Geld im VEB Elektrokohle in Lichtenberg verdiente. „Aber der Stern hat mich neugierig gemacht.“ Sie habe schon immer mal im Hotel essen wollen, sagt sie. „Ich dachte aber, es ist zu teuer für mich und war ganz überrascht, als ich dieser Tage gelesen habe, dass ein Drei-Gänge-Menü schon für 48 Euro zu haben ist.“ Ihr Mann liebe derbe deutsche Küche, sagt sie. „Den krieg ich da nicht rein.“ Sie will nun eine Freundin überzeugen, mit ihr dorthin zu gehen. Oder vielleicht ihre Tochter. Die wohnt aber außerhalb.

Nudeln für 2,50 Euro

Rosel Haren hat sich im Landsberger Forum für 2,50 Euro beim Chinesen gebratene Nudeln gekauft. „Mit viel Sojasoße und gerösteten Zwiebeln, schmecken sie “, sagt die Anwohnerin. Sie schaut aus dem Fenster. „Immer wenn ich hier im Forum bin und aus dem Fenster auf das Hotel schaue, denke ich an früher. Sie erinnert sich daran, wie zur Grundsteinlegung des Hotels, dessen Eigentümer Österreicher sind, Harald Juhnke sang und eine Band Blasmusik spielte.

Nachdem der Grundstein gelegt und die ersten Etagen im Rohbau fertig waren, blieb es Jahre lange ruhig auf dem Areal gegenüber des ehemaligen Schlachthofes. Investoren versuchten abwechselnd ein Gebäude hinzubekommen mit Hotel, Wohnungen, Büros und Geschäften. Daraus ist nichts geworden. Mal bot der Rohbau Obdachlosen Schutz vor Regen, mal spielten Jugendliche Gotcha. Und manchmal war die Polizei da, weil ein Mensch sich das Leben genommen hatte. An ein Sterne-Restaurant, von dem man einen weiten Blick über die Stadt hat, hätte sie im Traum nie gedacht. „Jetzt freue ich mich darüber“, sagt sie.

Nach dem Mittagessen kehrt Rosel Haren ganz gerne zum Kaffee für 3,80 Euro im Hotel ein. Es sei die entspannte Atmosphäre und die Ruhe, die sie sich ab und zu gönnt, sagt sie. Dabei schaut sie aus dem Fenster und sieht den vorbeihetzenden Leuten zu. Ihre Freundin war nur einmal mit. Ihr sei es zu teuer, sagt sie.