ICE zum BER: So viele Fernzüge sollten zum neuen Berliner Flughafen fahren
Planer und Politiker fordern, dass der Schönefelder Airport per Bahn besser erreichbar ist. Jetzt wurde bekannt, welches Zugangebot die DB einst plante.

Es ist eine Liste, die überrascht. ICE und andere Fernzüge sollten unter anderem von Köln, Amsterdam, Hannover, Hamburg und Krakau direkt zum Flughafen BER fahren. So steht es in Reiseplänen und anderen Unterlagen der Deutschen Bahn (DB), die der Hamburger Bahnexperte Marcus Grahnert in seinem Archiv hat. „Das damals geplante Fernzugprogramm war schon ungewöhnlich“, sagte Grahnert der Berliner Zeitung. Doch die Wirklichkeit in der Station unter dem neuen Hauptstadt-Airport sieht anders aus. Warum verschwanden die Pläne in der Schublade? Werden jemals ICE-Züge zum BER fahren? Wäre das überhaupt sinnvoll? Ein aktueller Überblick.
Bahn-Manager kennen das Lamento schon. In ganz Deutschland fordern Airport-Chefs, Flughäfen ans Fernverkehrsnetz anzuschließen – zuletzt hat sich München zu Wort gemeldet. In Berlin und Brandenburg ist das nichts anders. Dabei halten außer S-Bahnen und Regionalzügen auch Intercitys in der Station unter BER-Terminal 1. Doch mit der Linie 17 führt derzeit nur eine einzige Fernzuglinie zum Schönefelder Flughafen, und mit Zielen wie Rostock, Dresden oder Chemnitz deckt sie nur einen kleinen Teil Deutschlands ab. Mit den Träumen mancher Planer hat das wenig zu tun. Sie wünschen sich, dass Fluggäste aus möglichst vielen Städten per Zug zum BER anreisen können.
Die Fahrpläne, die dem Fernverkehrsexperten Marcus Grahnert vorliegen, wären ganz nach ihrem Geschmack. Sie stammen aus dem Jahr 2012. Damals sollte der BER am 3. Juni eröffnet werden. Die in Grahnerts DB-Unterlagen verzeichneten Züge sollten vom 10. Juni 2012 an verkehren, bis zum Ende der damaligen Fahrplanperiode im Dezember.
Mit dem Fernzug in rund 50 Minuten vom Hauptbahnhof zum BER
Als erster Fernzug des Tages sollte der ICE 942/952 um 9.12 Uhr den Flughafenbahnhof verlassen. Der aus zwei Teilen bestehende Zug sollte nach Köln/Bonn-Flughafen sowie zum Kölner Hauptbahnhof fahren. Um 10 Uhr wäre der Intercity (IC) 146 nach Amsterdam gefolgt. Auch seine Endstation wäre ein Flughafenbahnhof gewesen: Schiphol. Der nächste internationale Zug stand für 10.12 Uhr auf dem Plan: Eurocity 249 aus Hamburg nach Wrocław (Breslau) und Kraków (Krakau) in Polen. Um 18.03 Uhr wäre IC 2242 nach Münster in Westfalen gefahren, um 20.31 Uhr ICE 540 nach Köln/Bonn-Flughafen.

Mit Ausnahme des Zuges aus Polen hätte es auch in der Gegenrichtung durchgehende Züge gegeben. Dazu zählt mit ICE 949 ein Nacht-ICE, der um kurz vor 2 Uhr morgens in Köln gestartet und um kurz vor 8.30 Uhr unter dem BER eingetroffen wäre. Ob die Fahrgäste im Vergleich zu einer Umsteigeverbindung viel Zeit eingespart hätten, ist fraglich. Denn für den Abschnitt zwischen Berlin und dem neuen Flughafen hat die Bahn damals viel Zeit eingeplant. So sollte der ICE 951 aus Köln um 18.11 Uhr am Berliner Hauptbahnhof eintreffen – die Ankunft am Airport war erst für 19.05 Uhr geplant.
Pleiten, Pech und Pannen am neuen Hauptstadt-Airport in Schönefeld
Es kam alles anders, wie man weiß. Weil das Flughafenbauprojekt in Verzug geraten war, mussten der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) am 8. Mai 2012 die Eröffnung im Juni absagen. Nach weiteren Terminverschiebungen, Pleiten, Pech und Pannen konnte der Betrieb am Flughafen BER erst am 31. Oktober 2020 starten. Die Fernzugpläne waren in der Zwischenzeit im Abfall gelandet – und das war vielen Bahnleuten nicht unlieb.
Ingulf Leuschel, der frühere Konzernbevollmächtigte der DB für Berlin, erinnerte sich. Die Bahn habe die Wünsche und Forderungen der Flughafengesellschaft, den neuen Hauptstadt-Airport ans ICE-Netz anzuschließen, immer skeptisch bewertet – aus wirtschaftlichen Gründen. „Aus unserer Sicht liegt der BER in einer Randlage“, bekräftigte Leuschel. Um Fernverkehrslinien dorthin zu führen, wären lange Zuführungsfahrten oder Umwege erforderlich – und damit auch mehr Züge und mehr Personal. Allein um die ICE-Linie 10 aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet zu verlängern, wären vier zusätzliche ICE-Fahrzeuge nötig gewesen, erklärte er.
Die Zahl der ICE-Fahrgäste zum Flughafen wäre gering gewesen
Die erwarteten Fahrgastzahlen hätten den Aufwand kaum gerechtfertigt. Die Zahl der Menschen, die weite Zugfahrten in Kauf genommen hätten, um am BER ins Flugzeug steigen zu können, hätte sich im Rahmen gehalten. „Welche Intention sollten Menschen aus Nordrhein-Westfalen haben, extra zum Abflug ins entfernte Berlin zu reisen?“, fragt Marcus Grahnert. Dort gebe es mehrere große Flughäfen. Der BER ist längst nicht der einzige Luftfahrtstandort in Deutschland, der überregional um Passagiere wirbt – bisher mit begrenztem Erfolg. Im Gegensatz zu anderen Airports leidet der Flughafen Berlin Brandenburg aber darunter, dass nur wenige Langstreckenverbindungen hier beginnen.
Trotzdem sah sich die Deutsche Bahn vor der für 2012 angekündigten Flughafeneröffnung unter Druck. Als die S-Bahn-Krise 2009 und 2010 ihre Höhepunkte erlebte, litten viele Berliner und Brandenburger unter Zugausfällen und Überfüllung. „Klaus Wowereit war der Meinung, dass wir etwas gutzumachen haben“, berichtete ein Eisenbahner. Seinen Wunsch, jeden Berlin-Warschau-Express über den BER zu leiten, konnten die Bahnplaner zwar abwehren. „Die Umwegfahrten hätten die Fahrzeit um eine Stunde verlängert“, so der DB-Mann. Doch die Bahn musste dem Senat zumindest etwas entgegenkommen. So entstand die Liste mit Einzelfahrten, die Grahnert vorliegt.
Mehdorn wünschte sich schon vor der BER-Eröffnung Züge zum Flughafen
Beobachter bezweifeln, ob so viele Fernzüge tatsächlich gefahren wären. Doch der Fernverkehrsexperte ist sich sicher. „Die Planung der Fernzüge 2012 von/nach BER inklusive der ICE von und nach Rhein/Ruhr war abgeschlossen“, berichtete er. „Bei den Reiseplanscans handelt es sich nicht um mögliche Probeexemplare, interne Planspiele oder Ähnliches, sondern um real im Zug ausgelegte Fahrpläne.“ Einige dieser gedruckten Faltblätter habe er selbst mitgenommen. Dass die Züge statt am BER am Ostbahnhof endeten, konnte in dieser Auflage nachträglich nicht berücksichtigt werden. „Beim Fernverkehr war bezüglich ICE vom und zum BER die komplette Maschinerie in Gang gesetzt.“ Niemand hätte Fahrzeuge eingeplant, wenn ihr Betrieb nicht vorgesehen gewesen wäre.
Es gab andere Potemkinsche Dörfer. So setzte sich Hartmut Mehdorn, von 2013 bis 2015 Chef der Berliner Flughäfen, für eine vorzeitige Inbetriebnahme der Bahnstrecken zum Flughafen ein. Auch wenn die Terminals noch nicht fertig waren und die Eröffnung des BER immer wieder verschoben werden musste: Zumindest der Bahnverkehr sollte schon pulsieren, forderte Mehdorn. Doch außer Bauarbeitern wäre kaum jemand mitgefahren.
Wie geht es nun weiter? „Der Flughafen BER ist seit dem ersten Tag mit der zweistündlichen IC-Linie Warnemünde–Rostock–Berlin–Dresden direkt an den Fernverkehr der DB angebunden“, bekräftigte ein Bahnsprecher. „Ein ICE-Halt ist hier aktuell nicht geplant.“ Der BER sei sehr gut anders erreichbar – auf zwei S-Bahn-Linien oder mit dem Flughafenexpress und anderen Zügen des Regionalverkehrs. Wenn voraussichtlich Ende 2025 die Dresdner Bahn im Süden von Berlin nach dem Neubau wieder in Betrieb gehe, schrumpfe die Fahrzeit zum Hauptbahnhof von heute rund 30 auf 20 Minuten. Immerhin, etwas ändert sich im Bahnhof Flughafen BER Terminal 1–2: Wie berichtet, heißt die Station ab Dezember 2023 nur noch Flughafen BER.
Franziska Giffey (SPD) und andere Politiker wünschen sich auch noch einen U-Bahn-Anschluss mit der U7. Dabei sei der BER fast schon zu gut angebunden, entgegnete ein Beobachter. „Die S-Bahn würde eigentlich ausreichen – wie in München.“