Immer weniger Freiwillige: Die Helfer brauchen Hilfe

Immer weniger ehrenamtliche Helfer empfangen Geflüchtete aus der Ukraine im Willkommenszelt am Hauptbahnhof. Dadurch steigt der Stress in den Schichten.

Helfer Alexander im Willkommenszelt am Hauptbahnhof.
Helfer Alexander im Willkommenszelt am Hauptbahnhof.Benjamin Pritzkuleit

Alexander Neuwald erinnert sich an seinen 54. Geburtstag Ende März. Der Berliner verbrachte den Tag mit seiner Familie und Freunden. Er hätte sich abends in seiner Wohnung vor Glück selbst umarmen können. „Mir war bewusst, wie gut ich es in meinem Leben habe“, sagt der Berliner. Die Welt um ihn herum war am 24. Februar allerdings aus den Fugen geraten. Der Flugbegleiter hätte am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine nach Tokio fliegen sollen. Sein Flug wurde gestrichen. Neuwald strandete in Warschau. Er sah am Hauptbahnhof der polnischen Hauptstadt Massen von Menschen, die vor dem Krieg in Richtung Westen flohen.

Neuwald wischt sich drei Monate später im Willkommenszelt vor dem Berliner Hauptbahnhof den Schweiß von der Stirn. Er begann unter dem Eindruck seiner Erlebnisse in Polen dort am 1. April seine erste Schicht als Helfer an der Essensausgabe. Das Zelt ist zwar kühl im Vergleich zur brüllenden Hitze vor dem Eingang. Aber Neuwald ist beim Schöpfen und Austeilen ständig in Bewegung.

Es gibt immer weniger Freiwillige

Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer, die unter den Zeltplanen Ukrainer mit Essen, Getränken oder Hygieneartikeln nach der langen Reise aus dem Kriegsland versorgen, habe spürbar abgenommen, meint der Freiwillige. Er bemerkt das an der Essensausgabe. „Es gab schon Schichten, da waren wir nur vier Leute, obwohl zwölf eingeteilt waren“, sagt er. Danach sei der Muskelkater in den Armen zu spüren, meint der Helfer.

Der Helfer wirkt erholt, obwohl er einen Tag zuvor einen Flug aus den USA nach Deutschland mit betreut hat. „Ich habe nach Langstreckenflügen vier Tage frei.“ Er kann an freien Tagen seine Zeit einteilen, wie er möchte. „Ich versuche, zweimal in der Woche hier zu sein“, sagt er.

Barbara Breuer von der Stadtmission ist sich bewusst, dass nicht alle Ehrenamtlichen so flexibel sein können wie der Flugbegleiter. Einigen ist die Zeit inzwischen offenbar zu knapp geworden, um regelmäßig im Zelt auszuhelfen. 500 Berliner haben sich nach Beginn des Krieges für die freiwillige Unterstützung der Ankommenden aus der Ukraine registriert, erzählt Breuer. Drei Monate später falle es schwer, viele Schichten zu besetzen, weil Helfer nicht mehr auftauchen. „Unsere Freiwilligen machen manchmal Doppelschichten, weil es zu wenig Leute sind“, sagt sie.

Es gibt eine Früh-, Spät- und Nachtschicht im Willkommenszelt. Besonders für Nacht- und Frühschichten sei es schwierig, Freiwillige zu finden, erzählt Breuer.

Berliner Stadtmission: 40 Mitarbeiter sind vor Ort

Die Berliner Stadtmission betreibt das Zelt im Auftrag der Stadt. Der selbstständige Verein unter dem Dach der Evangelischen Kirche hat 40 fest angestellte Helfer für das Willkommenszelt bereitgestellt. Sie tragen blaue Westen. Freiwillige tragen grüne Westen. Ehrenamtliche Sprachvermittler mit Russisch- oder Ukrainisch-Kenntnissen tragen orangefarbene Streifen auf ihren grünen Westen.

Breuer hat auf ihrem Smartphone aktuelle Zahlen über die Frequenz im Willkommenszelt gespeichert. 2000 bis 3000 Menschen aus der Ukraine besuchen der Statistik zufolge derzeit das Zelt pro Tag. 7000 waren es im März an manchen Tagen. Zwar kommen deutlich weniger Menschen aus der Ukraine neu in Berlin an. Aber das Zelt ist für Ukrainer, die schon länger in Berlin sind, ein Treffpunkt geworden. „Sie kommen hierher, um Fragen zu stellen oder weil sie irgendwo untergebracht sind, wo es kein Essen gibt“, sagt Breuer. Die Arbeitsbelastung sei nicht gesunken mit dem Rückgang der Neuankommenden, meint die Sprecherin. Nun fehlen freiwillige Helfer an allen Ecken und Enden. Die Rechnung geht nicht mehr auf.

100 Freiwillige seien nötig, um das Willkommenszelt angemessen zu betreiben, erklärt die Sprecherin. Sie erinnert daran, was das Zelt für die Geflüchteten sein will. „Wir wollten einen hellen und warmen Ort schaffen, in dem die Menschen erst einmal verschnaufen können“, sagt sie. Der Betrieb könne mit der geschrumpften Mannschaft zwar aufrechterhalten werden. „Es soll aber nicht irgendwie laufen, sondern gut“, findet Breuer.

Die Sprecherin der Stadtmission zeigt auf den Ausgang des Zeltes. Busse stehen dahinter auf einen Parkplatz bereit. Sie fahren zum Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel. „Am Ausgang sollte jetzt eigentlich jemand stehen, falls es Fragen gibt“, sagt die Sprecherin. Ihr Blick schweift durch das Zelt und bleibt an der Kinderecke mit Spielsachen hängen. „Normalerweise sollte auch dort jemand sein“, meint sie. Die anwesenden Ehrenamtlichen haben aber schon alle Hände voll zu tun.

Helferin Hannah
Helferin HannahBenjamin Pritzkuleit

Der Krieg ist Normalität geworden

Breuer erstaunt es nicht, dass die Bereitschaft zur freiwilligen Hilfe für Geflüchtete nachgelassen hat. Drei Monate nach dem russischen Angriff haben sich die Menschen an den Krieg in der Ukraine gewöhnt, meint sie. Der Schock des 24. Februar sei vielen Menschen in die Knochen gefahren. Er habe viele bis zur Erschöpfung angetrieben, etwas für die Kriegsopfer zu tun. „Manche von den Freiwilligen aus den ersten Tagen am Hauptbahnhof können jetzt nicht mehr“, meint die Sprecherin der Stadtmission.

Hannah Rex kümmert sich im Willkommenszelt darum, dass Freiwillige wie Alexander Neumann nicht ausbrennen. Sie ist Ehrenamtskoordinatorin der Stadtmission. Rex weist Ehrenamtliche ein und steht bei Fragen und Problemen zur Verfügung. Auch die Koordinatorin beobachtet eine zunehmende Belastung der freiwilligen Helfer, weil immer weniger Hände mit anpacken. „Ich höre von Stress. Es macht schon einen Unterschied, ob drei oder sechs Leute an der Essensausgabe stehen“, sagt Rex.

Viele Freiwillige kommen bei den Schichten nicht mehr zu der Arbeit, die sie sich eigentlich vorgenommen haben. „Ich sage ihnen dann, dass es wichtig ist, da anzupacken, wo Hilfe gerade gebraucht wird“, sagt Rex. Den festen Kreis an Ehrenamtlichen, die regelmäßig Schichten im Zelt übernehmen, beschreibt sie als „tolle Leute“. Ginge es nach ihr, könnten es wohl gerne ein paar mehr sein.

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