Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ich nach 20 Jahren ein weiteres Mal den Aufzug des Berliner Fernsehturms besteigen würde. Damals war ich mit einem Freund oben, den ich an der Hand über die Schwelle des Aufzuges führen musste. Der Schwindel und die Furcht ließen ihn ganz fahl aussehen, doch er hat es geschafft. In winzigen Schritten näherte er sich den schrägen Fenster und ließ sich zögernd überwältigen.
Seit ich Kinder habe, leide auch ich unter Höhenangst. So sehr, dass ich fernbleiben muss, wenn sie in Italien Burgen besteigen. Ich sehe sie immerzu fallen, auch manchmal im Traum. Doch nicht nur in der Realität krampft mein Magen, wenn ich mich zu weit vom Erdboden entferne, rast das Herz und wird die Kehle eng. Wenn in einem Trickfilm Figuren an einem Abgrund entlanghüpfen, schlage ich die Hände vor die Augen. Ich kann nicht Riesenrad fahren und Partys auf Dachterrassen nur sehr eingeschränkt genießen. Immerzu wispert der Abgrund.
Nun also ein Ausflug auf den Turm. Unten stehend, die Kugel im Nebel betrachtend, würde ich am liebsten fliehen. Doch die Anwesenheit eines Freundes und zappelige Vorfreude des Kindes erzeugen den nötigen Rückenwind. Außerdem möchte ich die Bilder sehen, die Gemälde des Freundes, die in der Rotunde, oben im Rund und im Restaurant hängen. „Zwischen den Wolken“ lautet der Titel der Ausstellung, und dorthin auf den Weg machen wir uns auch. Die Decke des Aufzuges ist durchsichtig, man kann die Geschwindigkeit förmlich sehen und mein Magen findet das nicht gut. Einatmen, ausatmen. Den Freund ansehen, das Kind. Nicht nachdenken.
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Oben sitzend, an Tisch 27, träge kreisend über der Stadt, ist Höhe plötzlich ein sehr abstrakter Begriff. Freundlich und hell räkelt sie sich im Winterhellgrau. So freundlich und hell, dass ich denke: Wozu noch Luftschlösser bauen? Die Stadt ist ein Königreich, ein Reich ohne Herrscher, denn die Königin ist sie selbst. Das Kind hat einen Becher Fürst Pückler vor sich, doch nicht einmal Eis kann es vom Häusermeer ablenken, das sich unter ihm erstreckt und in den Horizont und darüber hinaus. Es wird nicht fallen, nicht von diesem Turm und auch nicht von einer Burg oder einen Abgrund hinab, das weiß ich plötzlich. Und wenn, würden ihm Flügel wachsen oder ein Fallschirm täte sich auf für eine sanfte Landung an Berlins großer freundlicher Brust. Ich will das glauben und hier oben ist es plötzlich ganz leicht.