Berliner Zeitung zieht zurück an den Alexanderplatz: Wohin sonst?

Mittendrin, wo es rau, windig und alles bewegt ist: Das ist der richtige Ort für neue journalistische Power. Ein Blick auf die Geschichte und in die Zukunft.

Das Verlagshaus der Berliner Zeitung im Jahr 2008: die DDR-Fassadengestaltung amputiert, aber mit starkem Zeitungsauftritt.
Das Verlagshaus der Berliner Zeitung im Jahr 2008: die DDR-Fassadengestaltung amputiert, aber mit starkem Zeitungsauftritt.Arno Burgi/dpa

Jeder Umweg erweitert die Ortskenntnis. Aber es ist doch beglückend, nach einigem Umherirren dort anzukommen, wo man hingehört. Da mag der Weg noch so lehr- und abwechslungsreich gewesen sein. Nach sechs Jahren zieht die Berliner Zeitung aus einem an stiller Ecke gelegenen Neubau zurück in die Mitte des Ostens, an den wildesten, rauesten Platz Berlins, wo Berlin ganz bei sich ist, immer unruhig, immer in Bewegung: Berlin-Alexanderplatz.

Alfred Döblin, der den Ort verstand wie kein anderer, schrieb: „Wind gibt es massenhaft am Alex (…) man muss lustig sein bei dem Wetter.“ Genau dorthin gehört die Zeitung mit dem besten Titel, dort kann auch die Berliner Zeitung wieder ganz bei sich sein, ebenso der Kurier, den älteren Berlinern als BZ am Abend bekannt. Wir freuen uns. Und Sie, die Leserinnen und Leser, die Hauptpersonen, denen alle Mühe gilt, dürfen die Rückkehr als Versprechen verstehen, dass dort Journalismus aus dem Herzen Berlins gemacht wird.

Es schließt sich ein Kreis. Es fühlt sich folgerichtig an. Selbstverständlich ist es nicht. Wie der halbe Osten stand ja auch das Haus des Berliner Verlages Mitte der 1990er-Jahre auf der Abrissliste, gewissermaßen neben dem Palast der Republik, dem Ahornblatt, dem DDR-Außenministerium … Es sollte dem Manhattan-Projekt des Senats, „Masterplan Alexanderplatz“ genannt, weichen. Die Entwürfe des Architekten Hans Kollhoff sahen rund um den Alex eine „Stadtkrone“ aus Wolkenkratzern vor. Reihenweise sollten Bauten der Ost-Moderne fallen.

Die Realitäten bremsten das Großkotzprojekt. Das Pressehaus wurde instandgesetzt, bekam neue Heizungen und Rohre. Bei der Gelegenheit verschwanden auch die originalen Metall-Fassadenelemente. Man hielt eine versimpelte Konstruktion für ausreichend. Weil die Herrschaft „Ostiges“ gar nicht ertrug, verschwand auch das farbig-strahlende Bilderband um das links aus dem Verlagsgebäude herausragende Pressecafé, ein Kunstwerk von Willi Neubert aus Emaille mit dem Titel „Die Presse als Organisator“.

Immerhin fiel der künstlerische Lobpreis des sozialistischen Agitierens, Propagierens und Organisierens nicht dem Bildersturm des Zeitgeistes zum Opfer, sondern wartete hinter riesigen Werbetafeln eines Steakhauses auf seinen Moment. Im einst eleganten Inneren des Pressecafés erschreckte nun abscheuliches Grillhausdesign. Fast 30 Jahre hat es gedauert, bis die stilisierten Zeitungsleser und -macher wieder vom Pressecafé-Stirnband auf die Karl-Liebknecht-Straße herabblicken dürfen. Mit der Nachricht von der Heimkehr der „Berliner“ erscheint die Enthüllung des Frieses Ende 2021 geradezu prophetisch. Aber bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen.

Der Berliner Verlag am Alexanderplatz
Der Berliner Verlag am AlexanderplatzHans Richard Edinger

Die Idee zum Bau eines modernen Bürohochhauses an dieser Stelle entstand bereits 1964. Es sollte ein zentrales Element des neuen Alexanderplatzes werden, den sich die Staats- und Parteiführung als Prachtstück neuer Architektur vorstellte. Die eigene Bevölkerung sollte beeindruckt werden, der Westen erst recht. Zu jener Zeit baute der Springer-Konzern an der Kochstraße, gleich hinter der Mauer, ein weithin sichtbares Pressehochhaus. Das brauchte eine architektonische und politische Entgegnung. Die eine kam mit der Hochhäuserreihe an der Leipziger Straße, die den Springer-Klotz verdeckte.

Walter Ulbrichts Wunsch nach Licht

Die andere kam vom Alex. 1970 startete das Bauvorhaben Pressehaus als Jugendobjekt. Im Mai 1973 zogen die Redaktionen von fast einem Dutzend Zeitschriften und Zeitungen ohne großes Brimborium ein. Stadtplanerisch richtig schlau klingt eine Idee des damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht. Der habe sich für diesen zentralen Ort ein rund um die Uhr genutztes Haus vorgestellt, dessen Fenster bis tief in die Nacht hell erleuchtet von unermüdlicher Arbeit kündeten. Jedenfalls kein Bürogebäude, das die Angestellten nach 17 Uhr als leblose Hülle hinterlassen. So jedenfalls hat es der gerade verstorbene Hans Modrow berichtet, damals Abteilungsleiter für Agitation im SED-Zentralkomitee.

Ein Architektenkollektiv entwarf eine ganze Reihe von Alex-Bauten: das Interhotel Stadt Berlin, das Haus der Elektroindustrie, das Haus der Statistik, das Haus des Reisens, das Haus des Lehrers. Letztere erhielten große, von Walter Womacka gestaltete Wandfriese. Korrespondierend zu diesen Wandbildern „Der Mensch überwindet Zeit und Raum“ sowie „Unser Leben“ mit klaren Verweisen auf die jeweilige Gebäudenutzung entstand am Verlagshaus Neubers Pressefries. Die städtebauliche Anordnung der Friese zueinander sollte eine „komplexe Vorstellung des Sozialismus“ abbilden.

Sozialistische Kunst am Bau: Das Fries am einstigen Pressecafé wurde nach der Sanierung 2021 wieder sichtbar. Dem Motto „Die Presse als Organisator“ gemäß wird gezeigt, was zu organisieren sei: Sport, Vergnügen, Bildung.
Sozialistische Kunst am Bau: Das Fries am einstigen Pressecafé wurde nach der Sanierung 2021 wieder sichtbar. Dem Motto „Die Presse als Organisator“ gemäß wird gezeigt, was zu organisieren sei: Sport, Vergnügen, Bildung.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Stahlskelett für alle Zwecke

Der moderne Stahlskelettbau für die Redaktionen ermöglichte im Inneren alles: riesige Räume genauso wie Bürowaben. Die niedrige Raumhöhe spricht für Flächeneffektivität. Von 60 Millionen DDR-Mark Baukosten war die Rede. Etwa 1000 Menschen konnten darin arbeiten.

Im Januar 1973 hievte ein Interflug-Hubschrauber das 2,8 Tonnen schwere, runde Dachemblem mit acht Metern Durchmesser auf seinen Platz. Beim zweiten Anflug schwebten 2,2 Tonnen Einzelteile für die Leuchtwerbung vom VEB Neontechnik nach oben. Die Stadt staunte.

Und der Westen ätzte gegen das neue Zentrum Ost und seinen Moderne-Anspruch so wie der Spiegel im April 1973 mit dem Titel: „Wellkemm tu se käpitell“. Als hätten sie das Englisch von EU-Kommissar Günther Oettinger vorwegnehmen wollen. Davon unbeeindruckt feierten mehr als Hunderttausend Jugendliche im August 1973 in neuer Kulisse das Festival der Jugend und Studenten mit vielfältigen menschlichen, lustvollen Kontakten.

Als die Großfantasien West Ende der 1990er geplatzt waren, meldeten sich erste Stimmen, die den Erhalt der Ost-Moderne am Alex als Teil der deutschen und Berliner Geschichte erhalten wollten. Seit 2015 steht das Pressehaus unter Denkmalschutz. In einer Pressemitteilung des Senats aus jenem Jahr heißt es, die denkmalgeschützten Gebäude rund um den Alexanderplatz seien „Zeugnisse von städtebaulicher, künstlerischer und historisch überragender Bedeutung“. Na so was.

Im Haus selber war immer was los. Zum Beispiel im Festsaal, genannt „Große Halle des Volkes“, einem flachen Anbau auf der Hofseite, der bis zu 800 Menschen fasste. Dort flogen bei heißen Wendedebatten im Herbst 1989 die Fetzen. Dort verlangte 1992 ein Pressefürst aus Hamburg (der neue Eigentümer vom fremden, aktuell implodierenden Planeten Gruner + Jahr) mehr Berichterstattung über Kleinflugplätze im Berliner Umland für Privatmaschinen.

Ein Rat von Schäuble, ein Wort von Wowereit

1994 riet Wolfgang Schäuble, damals Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 500 erregten Leserinnen und Lesern der Berliner Zeitung: „Wenn Sie Ihr Fernglas putzen, werden Sie die blühenden Landschaften bald sehen können.“ Und wenige Tage vor der Berlin-Wahl im September 2011 erklärte der Sozialdemokrat Klaus Wowereit den fast 400 Anwesenden, warum er die A100 wolle und der Senat all die vielen Wohnungen aus kommunalem Besitz an Wohnkonzerne verkaufen müsse. Der Stadt drohe die Pleite.

Trotz alledem: Die Zeitung feierte vor und hinter dem Haus herrliche Leserfeste mit Tausenden Fans. Das Dach mit der markanten Schrift, Auge in Auge mit dem Fernsehturm, wurde zur internationalen Filmlocation, im Fahrstuhl reiste man gelegentlich mit Hollywoodgrößen.

Dem Auszug der Berliner Zeitung 2017 folgte der Verkauf des Pressehauses an den New Yorker Immobilienentwickler Tishman Speyer, der das Gebäude denkmalgerecht generalsanierte und auch die originale Metallkonstruktion wieder vor die Fassade setzte. Ein Online-Möbelhändler und ein südafrikanischer Medienkonzern zogen ein. Unsere künftigen Nachbarn.

Fehlt nur noch ein Verleger, der sich zwei Jahrzehnte Zeit und Geld nimmt, um die Berliner Zeitung zu einem der dafür wichtigen Kristallisationskerne auszubauen.

Götz Aly, 2005

Unter der Überschrift „Der liebe Osten – oder die Befreiung Westberlins“ hat Götz Aly, langjähriger Mitarbeiter und Kolumnist, 2005 in der Jubiläumsbeilage zum 60. Jubiläum der „Berliner“ geschrieben: „Es geht noch immer darum, aus der Ost- und Westhälfte heraus das städtische, dem Gemeinwesen verpflichtete Bürgertum neu zu erfinden, das von 1933 und bis 1989 fortgesetzt zerstört wurde. Fehlt nur noch ein Verleger, der sich zwei Jahrzehnte Zeit und Geld nimmt, um die Berliner Zeitung zu einem der dafür wichtigen Kristallisationskerne auszubauen.“ So der Historiker über die langen Linien.

Was war das für ein Theater, als 2019 tatsächlich zwei Willige (obendrein Ostdeutsche!) auftauchten, um solch ein „zivilgesellschaftliches Engagement“ zu wagen – risikovergessen (oder -versessen?) genug für den wilden Ritt mitten hinein in die vollständig westdominierte Zeitungsverlegerwelt. Allen Ernstes.

Die Krone des Gebäudes als Schlusspunkt über dem eleganten Außentreppenhaus: Das Dach des Berliner Verlages in der Karl-Liebknecht-Straße wurde zur beliebten Filmlocation.
Die Krone des Gebäudes als Schlusspunkt über dem eleganten Außentreppenhaus: Das Dach des Berliner Verlages in der Karl-Liebknecht-Straße wurde zur beliebten Filmlocation.Berliner Zeitung

Am Ernst dürfte nach mehr als drei Jahren mit Silke und Holger Friedrich kaum einer mehr zweifeln. Schon seit längerem hat die West-Medienmacherblase das Blöken vom Untergang der „Berliner“ durch die Schuld der vermeintlich ahnungslosen Eindringlinge eingestellt.

Eine deutlich verjüngte Redaktion arbeitet inzwischen in flachen Hierarchien und so bunter Mischung, dass der Orden „Stern der Völkerfreundschaft“ überfällig ist. Erwünscht ist journalistisches Arbeiten in Widersprüchen statt in starren Weltbildern. Die Wände des „Meinungskorridors“ sind so weit auseinandergerückt, dass sehr viele Ansichten hindurch passen und auch schräge Vögel darlegen können, warum sie so schräge Gedanken hegen. Widerspruch von der Konkurrenz beweist nur: Dieses Verfahren versteht nicht jeder auf Anhieb. Und ja: Es gibt Kollisionen und Ausrutscher.

Schwarze Zahlen und gute Aussichten

Seit zwei Jahren meldet die Geschäftsführung schwarze Zahlen. Die Verleger investieren jeden Euro Gewinn umgehend in die Zeitung, in journalistische Power. Wie schön wäre es, die markante Rotunde, die Alex-Krone wieder rotieren, ihre Schrift „Berliner Verlag“ wieder leuchten zu lassen.

Doch das ist teuer, anderes vorläufig wichtiger. Immerhin haben die Verleger die mächtigen Buchstaben, die seit 1973 weithin sichtbar verkündeten, wo die Berliner Zeitung lebt, im Jahr 2019 vor dem Verschwinden gerettet. Wer weiß, eines Tages, kommen sie wieder aufs Dach. Man wird ja träumen dürfen.

Von der 13. Etage des Pressehauses am Alexanderplatz, unserem neuen und alten Ansitz, schaut man Richtung Westen über die urbane Dachlandschaft der Gründerzeitviertel des Prenzlauer Bergs, auf Kirchturmspitzen, die Volksbühne, die goldene Kuppel der Synagoge. Als die deutschen Fußballweltmeister am 15. Juli 2014 aus Brasilien heimkamen, flog der Siegerflieger der Lufthansa über den Alex in großer Kurve zur Landung in Tegel. Die Redaktionskonferenz pausierte, alle hingen am Fenster.

Berlin im März 1971: Das „Haus des Berliner Verlages“ wird errichtet.
Berlin im März 1971: Das „Haus des Berliner Verlages“ wird errichtet.Manfred Uhlenhut/dpa

Weiter Westen, weiter Osten

Gen Osten dehnt sich eine gänzlich andere Stadt: Aus der Höhe wird der Gestaltungswillen der DDR-Architekten erst richtig erkennbar, bis hin zu den Großsiedlungen am nordöstlichen Stadtrand. An der Karl-Marx-Allee beginnt der Weg über Warschau und Moskau nach Sibirien. Aus dieser Richtung kam 1945 auf der Straße der Befreiung die Rote Armee.

Auf dem Platz vor der Haustür handelten die Mittelalter-Berliner Ochsen und Wolle, stand das Arbeitshaus, exerzierten preußischen Soldaten. Auf jenem Paradefeld verlieh König Friedrich Wilhelm III. am 25. Oktober 1805 dem Platz den Namen seines anwesenden Freundes Zar Alexander.

An der Alten Jakobstraße schaute man vom Schreibtisch aus Krähen im Baumwipfel beim Brüten zu. Seltsam, welche Orte sich die Geschichte manchmal aussucht. Jetzt erobern wir „unser“ Haus zurück – einer von vielen Schritten nach ganz vorn. Ganz bestimmt nicht der letzte.

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