6300 Polizisten: Berlin-Kreuzberg wird am 1. Mai zur Festung
Die 18-Uhr-Demo zieht wieder von Neukölln nach Kreuzberg. Interne Gefährdungseinschätzung: mit hoher Wahrscheinlichkeit Pyrotechnik- und Steinwürfe.

Die Berliner Polizei wird rund um den 1. Mai mit einem Großaufgebot im Einsatz sein. In der Walpurgisnacht am 30. April ist die Polizei mit rund 3400 Einsatzkräften in der Stadt präsent. Am 1. Mai werden es rund 6300 Kräfte sein. Diese Zahlen nannte Polizeisprecherin Anja Dierschke am Freitag der Berliner Zeitung.
Zahlreiche Bundesländer schicken Unterstützungseinheiten. Zu den 24 Einheiten, die die Berliner Polizei selbst aufstellt, kommen insgesamt 2500 auswärtige Beamte: aus Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Darunter ist auch die Bundespolizei, die 600 Beamte stellt. „Wir werden uns in der Stadt breit aufstellen und flexibel reagieren, wenn es nötig ist“, sagte Polizeisprecherin Dierschke. „Wir werden die Versammlungsfreiheit gewährleisten und Straftaten konsequent und zielgerichtet verfolgen.“
Die höchste Zahl an Einsatzkräften ist es in diesem Jahr nicht. Laut Dierschke waren es im Jahr 2019 rund 7000 und im Jahr 2016 waren es 6500 Beamte.
Als Schwerpunkt sieht die Polizei die für 18 Uhr angesetzte Demonstration durch Neukölln und Kreuzberg. Sie soll am U-Bahnhof Boddinstraße beginnen. Die angemeldete Route führt dann über Hermannstraße, Hermannplatz, Karl-Marx-, Reuterstraße, Sonnenallee, Friedel- und Sanderstraße, Kottbusser Damm, Kottbusser Tor, Adalbert- und Oranienstraße zum Oranienplatz.
Die Demo steht im Zeichen mehrerer brisanter Themen: etwa der neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor, an der der Aufzug entlangziehen soll. Außerdem soll gegen die neue schwarz-rote Stadtregierung Berlins protestiert werden, die aus Sicht der Linken eine Rückschrittsregierung ist.
Auch die Lage in Israel dürfte dieses Jahr mit einfließen und die Emotionen hochkochen lassen bei palästinensischen Gruppen und Anhängern der israelfeindlichen BDS-Bewegung, die schon in den vergangenen Jahren aus Kreisen der „Migrantifa“ sich an den Demos beteiligten. Die Klimapolitik und die bisherigen Klimaproteste spielen ebenfalls als unbekannte Größe in die Bewertung der Lage durch den polizeilichen Staatsschutz hinein, weshalb der Kräfteansatz für den 1. Mai nicht gerade gering ist.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch in diesem Jahr das „MyFest“ im Kreuzberger Kiez SO36 nicht stattfindet. Nachdem es bereits wegen der Pandemie ausgefallen war, konnten sich Bezirk und Organisatoren nicht darauf einigen, das Fest, das Zehntausende Besucher anzog und eine deeskalierende Wirkung hatte, wiederzubeleben.
Laut einer internen Gefährdungseinschätzung der Polizei ist bei der 18-Uhr-Demo „insbesondere aus dem ‚Anarchistischen Block‘ mit dem Verwenden von Flaschen, Pyrotechnik oder Steinen als Wurfgeschosse gegen eingesetzte Polizeikräfte und Einsatzfahrzeuge und/oder gegen unzureichend geschützte Reizobjekte von Firmen der „Gentrifizierung“ und des „Kapitalismus“ sowie Objekte, die der „Repression“ (u.a. „Kotti“-Wache) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen“.
Der Porsche sollte im Grunewald besser nicht auf der Straße parken
Bereits für den Nachmittag findet sich ein satirisch gemeinter Aufruf im Internet, das Villenviertel Grunewald abzubaggern. Fossiles Kapital müsse dringend abgetragen werden, heißt es unter anderem. Der Beginn der Demo, die mehrere Stunden dauern soll, ist für 12 Uhr am Johannaplatz angesetzt. Der Anmelder rechnet mit 2000 Teilnehmern. Zum fünften Mal soll diese Demo stattfinden. Seinen Porsche sollte man in dieser Zeit besser nicht auf der Straße stehen lassen. Denn „einzelne Sachbeschädigungen“ an Autos, die an der Wegstrecke parken, stuft die Polizei in ihrer Einschätzung als „im Bereich des Wahrscheinlichen“ ein. Geleitet wird die Aktion von der „RWE – Reichtum wird enteignet“.
Die Polizei muss noch viele andere Demonstrationen betreuen, etwa die Kundgebung des DGB, zu der mehrere zehntausend Teilnehmer erwartet werden. Die Demonstranten treffen sich um 10 Uhr am Platz der Vereinten Nationen und ziehen dann vor das Rote Rathaus, wo ab 12 Uhr die traditionelle Mai-Kundgebung stattfindet.
Es gebe Themen und Versammlungslagen, die über einen langen Zeitraum viele Kräfte binden werden, erklärte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Die Berliner Polizei aber ist einsatzerfahren genug und wird sich personell so aufstellen, dass man auch auf dynamische Einsatzlagen reagieren und die innere Sicherheit wahren kann“, sage GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Von den politisch Verantwortlichen, die jederzeit transparent über die Einsatzlage und Maßnahmen informiert würden, erhoffe man sich dementsprechend Rückendeckung, „auch wenn die eine oder andere Tonne in Friedrichshain-Kreuzberg oder Neukölln mal etwas länger brennt“.