Internet-Plattform change.org: Die Weltveränderer
Berlin - Der Ort, von dem aus die Welt mit lauter Klicks verändert werden soll, ist ein schmales Büro in einem Altbau am Rosenthaler Platz in Mitte. Abgewetzter Dielenboden, drei weiße Tische, jeweils ein Laptop. Auf einem Tisch liegt der Band „Empört Euch!“ von Stéphane Hessel. Es ist der Schreibtisch von Paula Hannemann. Sie trägt ein graues T-Shirt, auf dem in knallroten Buchstaben change.org steht. Das ist der Name der Kampagnenplattform, Paula Hannemann leitet sie. Das 2007 in den USA gegründete Unternehmen gibt es seit Mitte vergangenen Jahres auch in Deutschland, in Berlin.
„Was wollen Sie verändern?“, wird man gefragt, wenn man die Webseite von change.org aufruft. Mit ihrer Hilfe kann jeder eine Online-Petition starten. Man muss nur drei Fragen beantworten: An wen soll sich die Petition richten? Was soll diese Organisation oder Person tun? Worum geht es? Rund 650.000?Nutzer hat change.org in Deutschland bereits. Sie setzen sich für Rentengerechtigkeit ein, dafür, dass durch Hiddenhausen keine Lkw fahren oder für die Mufflons im Teutoburger Wald. Jede Woche starten etwa hundert neue Petitionen.
18 Büros weltweit
Dass sich das Netz dafür eignet, Menschen zu mobilisieren, haben auch andere erkannt. Es gibt die deutsche Plattform Campact, es gibt die Plattform Avaaz, die aber eigene Ziele verfolgt. Sogar der Bundestag hat ein Petitionsportal. Paula Hannemann erzählt, dass sie schon 2004 an einer Online-Plattform für Greenpeace mitgearbeitet hat. Damals studierte sie Kommunikation an der UdK in Berlin. Die Plattform ging dann nicht ans Netz, aber Paula Hannemann blieb dabei. „Das ist einfach eine unfassbare sinnvolle Nutzung des Internets“, sagt sie. Sie hat dann beim World Wildlife Fund (WWF) das Social Media Campaigning aufgebaut. Bis die „nette E-Mail“ von Ben Rattray, dem Gründer von change.org kam, en das Time Magazine zu einem der wichtigsten Menschen der Welt gekürt hat. Und dann ging alles ganz schnell. Paula Hannemann flog nach Washington, und bald darauf in das change-Büro in London. „Super-Campaigner“ habe sie dort getroffen. Ende Juni eröffnete sie das Berliner Büro, eines von 18 weltweit. Sie ist 30 Jahre alt.
Von den Campaignern hat sie gelernt, dass change.org auch aktiv werden kann. Dass sie Beratung beim Umgang mit der Presse geben können, oder bei der Beantwortung der Frage, ob derjenige, an den man die Petition richtet, wirklich zuständig ist. Solche Hilfe bekommen aber nur die wenigsten Petitionssteller. „Es müssen Petitionen sein, die besonders gut erzählen, dass man sich wehren kann“, sagt Paula Hannemann. „Es muss eine klare Ungerechtigkeit vorhanden sein und eine andere Lösung möglich.“
Das alles kostet nichts, man muss sich nur an bestimmte Richtlinien halten, also niemanden diskriminieren, nicht zu Hass und Gewalt aufrufen. „Man muss sich innerhalb der Grenzen bewegen, die die Meinungsfreiheit vorgibt“, sagt Sergius Seebohm, einer der beiden Kollegen von Paula Hannemann. Er hat Politologie und Philosophie studiert und ist seit November dabei. Jeannette Gusko, die Kommunikationsmanagerin, kam einen Monat später dazu. Sie fügen sich gut ein in das weltweite Team, das aus lauter jungen, gut aussehenden Menschen besteht.
Aber vergangenen Juni war Paula Hannemann noch alleine, und das erste, was sie unternahm, um change.org in Deutschland auf die Beine zu bringen, war ein Anruf bei den Rentnern in der Stillen Straße. „Haben Sie schon mal was von Online-Petitionen gehört?“, fragte sie. Die Online-Petition, die die Rentner dann starteten, ist bis heute eine der erfolgreichsten Petitionen von change.org in Deutschland. Fast 12.000 Menschen unterschrieben dafür, dass der Seniorentreff in Pankow erhalten bleibt. Auf der Webseite von change.org steht die Petition nun in der Rubrik „Erfolge“. Wobei schwer zu sagen ist, was das Netz dazu beigetragen hat, die Schließung des Treffs zu verhindern.
Öffentlichkeit für das Kleine
Wahrscheinlich sind es die Aktionen, die Paula Hannemann als „klein und nischig“ beschreibt, bei denen allein das Internet den Erfolg bringt. Paula Hannemann fällt die Mutter ein, die sich mit Hilfe von change.org an den Supermarkt in ihrer Nachbarschaft im Prenzlauer Berg wandte. Sie wollte erreichen, dass ihre Kinder an der Kasse nicht mehr Alko-Pops und Gummibärchen ausgesetzt würden. 688 Unterstützer, wie die Unterzeichner bei change.org heißen, bekam sie. Damit ging sie zur Filialleiterin, und nun gibt es in dem Markt an der Winsstraße eine Familienkasse, wo nur Gesundes liegt.
Das Coca-Cola-Plakat ist auch so ein Beispiel. Es hing an einer Fassade in Prenzlauer Berg und verdunkelte die Wohnungen. Einer der Mieter startete eine Petition, die 3500 Menschen unterschrieben. Coca Cola nahm das Plakat ab. „Wir sind durch die Petition aufmerksam geworden“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. „Vor zwanzig Jahren hätten es diese Menschen wahrscheinlich niemals in die Öffentlichkeit geschafft“, sagt Seebohm.
87.000 Unterschriften für die East Side Gallery
Die erfolgreichste deutsche Petition von change.org wendet sich gegen den Abriss der East Side Gallery und die Bebauung des Todesstreifens. Fast 87.000 Menschen haben sie unterschrieben. Doch diese Petition warf auch Fragen auf, zog Kritik nach sich. Der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß erschien dort als Twitter-Unterstützer, war aber weder gefragt worden, noch hatte er sich in seinem Tweet gegen die Bebauung ausgesprochen. Er hatte nur gegen den Abriss der Mauer protestiert. Eine SPD-Abgeordnete monierte, ihr Name erscheine in der Liste der Unterstützer, obwohl sie nie unterschrieben habe. „Sicher kann man eine Petition bei uns mit falschem Namen unterschreiben“, sagt Sergius Seebohm. Das sei aber bei einer Papier-Petition auch möglich. Gegen das massenhafte Fälschen von Unterschriften gebe es technologische Sperren.
Paula Hannemann ist wichtig, dass change.org kein kommerzielles Interesse hat. Finanzieren muss sich die Organisation trotzdem. Das tut sie mit Hilfe von gesponserten Petitionen. Eine Organisation kann auf der Webseite von change.org eine Anzeige schalten, mit deren Hilfe sie für eine Petition wirbt. Für jede Unterschrift, die ein Unterstützer dann leistet, gibt es 1,50 Euro. In Deutschland wird dies erst getestet.
Faulpelzaktivismus
Wer eine Petition unterstützen will, muss nur seinen Namen und seine E-Mail-Adresse eintragen. Kritiker nennen den Aktivismus, der auf Kampagneplattformen entfaltet wird „slacktivism“. Das ist eine Zusammensetzung aus Aktivismus und „slacker“, also Faulpelz. Sie sprechen von Sofa-Aktivismus, der sich nicht in realen Protestaktionen äußert. Dass all das hip wirkt, aber nichts nützt. Paula Hannemann dagegen schwärmt von dem „digitalen Band“ zu den Unterstützern. Sie können per E-Mail zu Demonstrationen eingeladen werden. Oder man kann sie bitten, das Anliegen über ihre eigenen sozialen Netzwerke zu verbreiten. „Online-Kampagnen sind dynamisch“, sagt sie. Es kann Aktualisierungen geben, Beschreibungen von Entwicklungen, neue Ansprechpartner.
Paula Hannemann sagt, dass sie auch deshalb so gerne hier arbeitet, weil es so viel Positives gibt. Jeden Tag seien weltweit 9,6 Petitionen erfolgreich. „Menschen bekommen eine Stimme, die nicht glaubten, dass sie eine hatten“, sagt sie. „Das freut einen sehr.“ Und wenn einem etwas nicht gefalle, dann könne man seine Unterschrift ja wieder löschen. Es sei nur ein Klick.