Interview: Architekt Michael Mackenrodt sieht in Berliner Schulbauoffensive „Die Kapitulation öffentlichen Bauens“

Berlin - Die Berliner Schulbauoffensive des Senats will rund 5,5 Milliarden in den Schulbau investieren. Die Einbindung der Wohnungsbaugesellschaft Howoge sollte es schneller und billiger machen. Eine Studie, über die die Berliner Zeitung exklusiv berichtete, errechnete Kostensteigerungen von über 800 Millionen Euro. Michael Mackenrodt von der Berliner Architektenkammer beobachtet die Pläne kritisch.

Sie sind bei der Architektenkammer für den Bereich öffentlicher Ausschreibungen zuständig, haben sich mit der Schulbauoffensive beschäftigt und sich ein Bild gemacht. Wie ist Ihr Eindruck?

Bedenklich ist die inzwischen überall spürbare Panik, den Bürgern nun doch noch schnell das liefern zu wollen, was man davor jahrelang vertrödelt hatte anzufangen. Die daraus mittlerweile entstandene Tendenz der Bauverwaltung, alles am liebsten nur noch in möglichst großen Gesamtpaketen zu vergeben, ist letztendlich natürlich sehr viel teurer als der normale Weg – also erst zu planen und dann die Bauaufträge auszulösen.

Der Senat kalkuliert mit viel zu hohen Schülerzahlen, was sich auf die Kosten auswirkt. Die müssten eigentlich deutlich, bis zu einer Milliarde Euro, reduziert werden, kritisiert der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Zu Recht?

Die erstaunlich hohen Kostenansätze der Howoge liegen nicht an dem Hin und Her der prognostizierten Schülerzahlen. Wenn Angebotsabfragen aber aus Panik quasi nur noch „blind“ und zudem gleich in einem Stück vergeben werden sollen, erhält man eben Kalkulationen mit tausend Sicherheitszuschlägen zurück. Die vielen Reserveeinpreisungen kann man daher gar nicht der Howoge vorwerfen.

Die eigentliche Ursache ist, dass jemand am Anfang offenbar so ungeduldig, statt des üblichen schrittweisen Vorgehens gleich einen ganz großen Satz zu machen. Da kann man halt schnell auch auf die Nase fallen.

Bei der Schulbauoffensive wurde zu groß ausgeschrieben?

In den Planungsabläufen bei Einzelvergaben gibt es immer wieder Prüf- und Optimierungsmöglichkeiten, die den Bauherren mit fortschreitender Planungsschärfe immer wieder Kontrolle und Nachsteuern erlauben. Nach der Vorplanung, nach dem Entwurf, in der Ausführungsplanung, vor der Vergabe der Bauleistungen und so weiter. Wenn in diesen Prüfschritten also festgestellt wird, dass es mit dem Budget eng werden könnte, besteht beim normalen Vorgehen die Möglichkeit, Kosten und Termine durch Nachjustieren wieder einzufangen.

Das wird bei der Schulbauoffensive durch die Einbindung der Howoge nicht möglich sein?

Vermutlich nein, denn der endgültige Preis wird dort ja bereits ganz am Anfang ausgemacht und alles danach bleibt eine Blackbox. Die Steuerungsinstrumente von Einzelverfahren gibt die öffentliche Hand mit dieser neuen Ideologie der „schlüsselfertigen Vergabe“ also grundsätzlich auf und man sieht inzwischen auch bei anderen Projekten die Tendenz, dass die öffentlichen Ausschreibungen in viel zu große Einheiten zusammengefasst werden; am liebsten nur noch ein Bauunternehmen, dass alles gleich mitbringt.

Wenn die öffentliche Hand aber am Anfang nicht einmal mehr die Zeit nimmt, die Aufgabe selbst hinreichend zu durchschauen, dann ist so viel noch offen, dass der Generalübernehmer in seinem Angebot erhebliche Gewinnreserven einpreisen muss.

Warum?

Es könnte ja später etwas Unvorhergesehenes reinkommen. Vielleicht findet man im Untergrund später sogar noch Felsen, etc. All diese Unwägbarkeiten aus der zu frühen Gesamtvergabe stecken dann also irgendwo als Puffer in den Angeboten der Gesamtvergabe. Falls die Reserven nicht nötig werden, verschwinden sie eben im Gewinn.

Wieso geht man so vor?

Es wurden lange Zeit Kompetenzen in den Berliner Bauverwaltungen abgebaut. Nun ist offensichtlich bald niemand mehr da, der noch weiß, wie man als öffentliche Hand eigentlich bauen sollte. Als Architektenkammer kann man da eigentlich nur sagen: wie kann man nur so einen Weg gehen? Gerade wenn Berlin nicht so viel Geld hat, denn als Begründung für dieses seltsame Vorgehen wird ja die Schuldenbremse benannt. Wieso geht man dann aber einen besonders teuren und schlechten Weg, anstatt es so zu machen, wie es der öffentlichen Hand aus gutem Grund sogar gesetzlich vorgegeben ist?

Das Problem ist, dass das Land zu pauschal eine Milliardensumme an die Howoge für einen bestimmten Zeitraum vergibt?

In normalen Abläufen geht man schrittweise vor. Das führt dazu, dass die jeweiligen Ausschreibungen immer präzise Grundlagen haben und dass bei jedem Gewerk ein Wettbewerb um das beste Angebot möglich wird. Letztendlich führt das aber auch dazu, dass das ausgegebene Geld in Berlin bleibt, also über Steuern wieder an die Stadt zurückgeht, während Zahlungen an die großen „Allheilsbringer“ natürlich irgendwohin abfließen.

All diese wirtschaftlichen und terminlichen Vorteile werden bei der neuen Ideologie aufgegeben. Man kann das gegenwärtige Vorgehen daher durchaus auch als eine Kapitulation des öffentlichen Bauens in Berlin bezeichnen.

Die aktuelle Studie vergleicht die Kosten pro Schulplatz mit dem BKI. Ist das zulässig?

Den Ansatz, über die Schülerzahlen die Anzahl der benötigten Schulen zu errechnen und dann nachzuschauen, was nach BKI im Bundesdurchschnitt pro Schule für Kosten entstehen dürften, ist absolut legitim. Der Index ermittelt bundesweit und jährlich die Vergleichspreise, ist also eine Kostensammlung aus vielen konkreten und tatsächlich gebauten Projekten.

Die Howoge ist rund 200 Prozent teuer als ein Schulneubau im Durchschnitt in Deutschland .

Man könnte angesichts der Preissteigerung im Bau zur Sicherheit noch mal 10-15 Prozent draufschlagen, aber auf 200 Prozent wird man damit nicht kommen. Das Ergebnis wirft natürlich schon erhebliche Fragen auf.

Müsste das ein Auftraggeber nicht vorher durchrechnen?

Ja, normalerweise würden derartige Abweichungen jedem Auftragnehmer um die Ohren geworfen, nämlich dann, wenn man sie planerisch noch nachjustieren kann. Weil das aber bei diesen „Pauschal-Komplett-Vergaben“ fehlt, lässt sich nur noch orakeln, warum es denn nun so teuer sein soll. Die öffentliche Hand als eigner Bauherr wäre jedenfalls aufgefordert, so etwas zu prüfen.

Mit der Auslagerung der öffentlichen Bauaufgaben an Dritte geht das nicht mehr?

Die Howoge gilt formal zwar als öffentlicher Auslober, aber sie unterliegt eben nicht mehr allen Gesetzen. So ist sie zum Beispiel nicht mehr dem Informationsfreiheitsgesetz unterworfen. Wir haben als Kammer inzwischen schon bei einigen zweifelhaften Ausschreibungen dort nachgefragt und bekamen als Antwort immer nur: Nein, wir müssen ja nichts sagen.

Es wird nicht wie angekündigt billiger, sondern dramatisch teurer. Wird es denn mit dieser Vergabepraxis wenigstens schneller, wie der Finanzsenator hofft?

Bei der Zusammenfassung von vielen Einzelprojekten in ein künstlich erschaffenes Großprojekt entstehen natürlich Synergien, aber damit eben auch erhebliche Risiken. Wenn es dort dann mal an einer Stelle mal hakt, zum Beispiel wegen Nachträgen, Lieferschwierigkeiten oder auch einer Insolvenz, dann hängt eben das ganze Projekt fest.

Wenn man aber 20 Schulen im Einzelverfahren vergibt, dann hängen dort vielleicht mal zwei, drei Schulen, aber alle restlichen kommen trotzdem pünktlich ins Ziel. Ganz grundsätzlich ist die Konzentration vieler normal großer Einzelprojekte in ein Megaprojekt also kein Weg, die Schulbauoffensive schneller zu machen.

Was wäre nötig?

Das genaue Gegenteil wäre aus praktischer Sicht angebracht: die Aufgaben möglichst zu streuen und damit parallel viele Teams mit jeweils einer Schule loszuschicken.

Warum all diese Versäumnisse?

Dazu wüsste ich auch gerne mal eine Antwort. Die unnötige Bündelung und das anscheinend fast grenzenlose Vertrauen auf wenige supergroße Akteure erzeugt im Grunde nur zuzügliche Risiken und Abhängigkeiten, bietet demgegenüber aber gar keinen Vorteil. Kein vernünftiger Mensch würde so vorgehen.