Interview mit Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther: „Fahrverbote sind das letzte Mittel“

Das große Zittern geht weiter. Im Frühjahr befasst sich das Verwaltungsgericht mit einem heiklen Thema: Muss die Innenstadt für Dieselfahrzeuge mit schlechten Abgaswerten gesperrt werden? Rund 300.000 Dieselfahrzeuge sind in Berlin zugelassen, und ihre Besitzer blicken auf Verkehrssenatorin Regine Günther. Im Interview erklärt sie, wie ihr Plan aussieht. Die von den Grünen nominierte aber parteilose Politikerin setzt sich auch mit Kritik auseinander. Zum Beispiel, dass von einer Verkehrswende noch nichts zu spüren sei, was Radaktivisten wie auch die die Grünen-Basis bemängeln.

Sie sind jetzt ein Jahr im Amt. Haben Sie gefeiert?

Für eine Feier hatte ich keine Zeit. Aber das Datum war natürlich ein Einschnitt.

Haben Sie am Anfang nicht gedacht, dass Sie so lange aushalten?

Doch, davon bin ich natürlich ausgegangen. Aber es war wichtig für mich, Rückschau zu halten: Was hat gut geklappt? Wo muss nachgesteuert werden?

Was hat Sie positiv überrascht?

Mittlerweile ist es ja Mode geworden, mit Häme auf die Berliner Verwaltung zu blicken. Das finde ich nicht richtig. Ich habe in meiner Verwaltung unglaublich engagierte und sehr kompetente Menschen kennengelernt, die mit sehr viel Herzblut ihre Arbeit leisten. Richtig ist aber auch, dass wir für viele Aufgaben zu wenig Personal haben. Das werden wir jetzt verändern, das dauert aber seine Zeit. Wenn dieses Tal durchschritten ist, wird Berlin wieder eine funktionierende Verwaltung haben.

Radlobbyisten und andere bemängeln, dass in Ihrem ersten Jahr wenig passiert ist. Nervt sie die Kritik?

Ich kann die Ungeduld verstehen. Doch ich finde, dass sehr viel passiert ist in diesem Jahr. Es entstehen neue Strukturen, vollkommen neue Programme wurden aufgesetzt, und die Finanzierung ist durch den neuen Doppelhaushalt gesichert. Nicht zuletzt haben wir das Mobilitätsgesetz erarbeitet, das Mitte Dezember im Senat war. Das Gesetz entstand in Rekordzeit innerhalb eines Jahres, mit einer breiten Beteiligung der Öffentlichkeit. Normalerweise dauert so ein Gesetzgebungsverfahren zwei bis drei Jahre.

Eine der häufigsten Kritikpunkt lautet: Im ersten Jahr von Rot-Rot-Grün wurden kaum neue Radwege geschaffen.

Zum Glück ist es nicht so, dass eine Senatorin herrschaftlich mit einem Federstrich bestimmen kann, wo wie gebaut wird. Es gibt in Deutschland Planungsprozesse und definierte Bauphasen. Wir müssen Vorgaben und Verfahren einhalten. Wir machen viel Tempo, aber auch hier ist Beteiligung gefragt. Das braucht seine Zeit. Wir werden, nur weil es sich um Radwege handelt, die Beteiligungsprozesse und Abstimmungen mit den Bezirken nicht abkürzen können und wollen.

Bei einer ADAC-Umfrage gaben Berliner Auto- und Radfahrer ihrer Stadt besonders schlechte Noten. Sind die Berliner zu kritisch?

Städte wie Leipzig und Dresden, die bei der ADAC-Umfrage gut abschnitten, haben in den vergangenen Jahren den Schwerpunkt auf den Ausbau des Nah- und Radverkehrs gelegt. In dieser Konsequenz wurde das in Berlin nicht gemacht, da werden wir jetzt nachziehen. Ich kann schon verstehen, dass die Infrastruktur für Radfahrer schlecht bewertet wird. Das gilt auch für die augenblickliche Situation bei der S-Bahn, wo es zu viele Verspätungen und Ausfälle gibt. Auch die Straßen und Brücken müssen saniert werden. Unser Ziel ist ein Mobilitätssystem, mit dem alle Menschen schnell, sicher und bequem von A nach B kommen.

Gut, aber werden davon auch die Berliner Autofahrer profitieren?

Auch die Autofahrer profitieren. Wer in Berlin Auto fahren muss, kommt umso schneller voran, je mehr Menschen mit dem Umweltverbund unterwegs sind – zu Fuß, per Rad, mit Bus und Bahn. Ein gut ausgebauter Nahverkehr sorgt dafür, dass die Straßen leerer werden, dass es weniger Staus gibt und dass die Luft sauberer wird.

Auch ein anderer Aspekt Ihrer Politik soll Autofahrern nutzen. Auf fünf Straßen soll der Verkehr flüssiger gestaltet werden, mit Tempo 30.

Tempo 30 soll zusammen mit angepassten Ampelschaltungen an fünf Hauptverkehrsstraßen pilotweise eingeführt werden, um durch ein Verstetigung des Verkehrs die gesundheitsschädlichen Stickstoffemissionen zu verringern.

Autoverkehr flüssiger gestalten – ist das nicht eine ADAC-Forderung?

Warum sollte ich mich unwohl fühlen, wenn wir ein gemeinsames Ziel verfolgen?

Welchen Stand hat die Vorbereitung der Tempo-30-Versuche erreicht?

Die Messungen haben begonnen. Wir erheben die aktuelle Situation in den fünf ausgewählten Straßen, bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde. Es wird analysiert, wie viel Stopp-and-Go es gibt und wie viele Stickoxide und andere Luftschadstoffe frei gesetzt werden. Nächstes Frühjahr werden wir dort Tempo 30 einrichten, dann gehen die Erhebungen und Messungen weiter.

Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen das Land Berlin, sie fordert Dieselfahrverbote für die Innenstadt. Warum wollen Sie ein solches Verbot vermeiden? Sie könnten doch froh darüber sein, dass ein Gericht Ihnen die leidige Entscheidung abnimmt.

Für uns sind Fahrverbote das letzte Mittel. Wenn sie angeordnet werden, sollten sie aber rechtssicher umgesetzt werden können. Da habe ich bei den uns zur Verfügung stehenden Instrumenten erhebliche Zweifel. Im Rechtsstaat sollte es so sein, dass Akteure, die betrogen haben, zur Rechenschaft gezogen werden. In diesem Fall wären das die Dieselautohersteller, die den Käufern falsche Produkte verkauft haben. Mit einem Fahrverbot würden wir die Betrogenen belasten. Sie haben im guten Glauben daran, dass sie ein umweltfreundliches Auto erwerben, viel investiert. Deshalb fordern wir von den Herstellern, die Autos auf ihre Kosten mit Soft- und Hardware nachzurüsten.

Können Sie sich ein Berlin ohne Autos mit Verbrennungsmotor vorstellen?

Sehr gut! Berlin würde leiser und sauberer sein als heute, es würde wohl weniger Autos geben. Die Lebensqualität in der Stadt steigt, ohne dass die Bürger auf Mobilität verzichten müssen.

Bislang hat die BVG schlechte Erfahrungen mit Elektrobussen gemacht.

In China gibt es Millionenstädte, in denen ausschließlich Elektrobusse unterwegs sind. Und Berlin soll es nicht einmal schaffen, 30 Elektrobusse einzusetzen? London hat viele Elektrobusse aus China im Einsatz, wir haben uns den Betrieb angeschaut. Wir müssen endlich starten, um auch in Berlin in die Lernkurve zu kommen.

Wann schafft das Land Berlin für seine Senatorinnen und Senatoren Elektro-Dienstwagen an?

Wenn die Reichweite von bezahlbaren Autos ausreicht. Aber auch in diesem Bereich wird mit übertriebenen Angaben gearbeitet. Bei einem Plug-in-Hybrid hieß es: Das Auto schafft mit einer Batterieladung 45 Kilometer, faktisch sind es häufig nur rund 17. Deshalb gilt es auch hier, vor der Anschaffung genau zu prüfen.

Sie haben noch genug Kraft für die nächsten vier Jahre?

Da geht bestimmt noch sehr viel.