Interview zum neuen Album „Homage“: Was Freiheit für Jimmy Somerville bedeutet
Mit seinen Bands Bronski Beat und The Communards zählte Jimmy Somerville zu den Stars der Achtziger. „Smalltown Boy“, „Don’t Leave Me This Way“ und das Bee-Gees-Stück „To Love Somebody“ gehörten zu seinen größten Hits. Mit „Homage“ hat der 54-jährige Schotte im März ein neues, von Kritikern gelobtes Soloalbum veröffentlicht. Auf dem Cover des Werks trägt der griechische Titan Atlas die Welt in Form einer Discokugel auf seinen Schultern. Beim Interview in Hamburg erzählt Somerville, wie ihm das Disco-Genre als Heranwachsender half, warum Killers-Sänger Brandon Flowers neuerdings seine Songs klaut, und weshalb er kein Berliner ist.
Mr. Somerville, stimmt es, dass Sie eine Weile in Berlin gelebt haben?
Nein, das ist nur ein urbaner Mythos, der durch das Internet geistert.
Das kommt wohl durch das Youtube-Video, das im vergangenen Jahr zum viralen Hit wurde. Es zeigt, wie Sie spontan bei einem Berliner Straßenmusiker einstimmten, als er Bronski Beats „Smalltown Boy“ sang.
Die Aktion war nicht ganz so spontan, wie es aussah. Der Straßenmusikant wusste, dass ich anwesend war und ihn begleiten würde. Jemand filmte die Szene und stellte es ins Netz – das war der ungeplante Teil an der Sache. Verrückt, wie rasch der Clip auf eine Million Klicks kam.
Irgendwann waren es sogar mehr als drei Millionen Klicks. Es ist ein Video, das Leuten ein gutes Gefühl gibt, deshalb kam es wohl so gut an. Und es war auch perfekt im Timing, denn „Smalltown Boy“ feierte 2014 sein 30-jähriges Jubiläum.
Singen Sie das Stück nach der langen Zeit trotzdem noch gerne?
Das ist verschieden. Es ist wirklich merkwürdig mit dem Song. Es gibt Zeiten, da denke ich, dass ich das Lied weder hören will noch singen kann, weil es so alt ist. Aber dann plötzlich erwacht das Stück wieder zum Leben, und ich kann wieder eine Verbindung dazu aufbauen. Am Ende des Tages ist es immer noch ein fantastischer Song.
Und er ist nicht totzukriegen: Brandon Flowers, Sänger der US-Band The Killers, hat den Song für sein neues Soloalbum gesampelt. Haben Sie die Version schon gehört?
Oh ja. Sein Produzent und er hatten mir vorab eine Demoversion des Stücks geschickt. Da war mir schon klar, dass das echt gut wird und Brandon die Emotion des Songs verstanden hat. Ich war wirklich bewegt und empfinde es als Ehre, dass ein so junger Künstler von mir beeinflusst ist. Die Art, wie er das Lied benutzt hat, indem er es mit etwas Melancholischem verbindet, ist so clever. Und ich liebe seine Stimme! Auf bestimmte Art ist es nun gar nicht mehr mein Song. „Smalltown Boy“ hat längst sein eigenes Leben. Das ist großartig.
Ich habe Sie neulich live gehört. Ihr Falsett-Gesang klingt immer noch so gut wie in den Achtzigern.
Danke, meine Stimme ist noch ganz okay, darüber bin ich selbst überrascht. Zeitweise habe ich viel getrunken in meinem Leben, aber das hat meinen Stimmbändern offenbar nicht geschadet. Ich fühle mich sehr privilegiert, was das betrifft. Mein Kollege Boy George musste sich jüngst einer Stimmband-Operation unterziehen. Ich hoffe, er hat es ausgestanden. Auf meine SMS hat er jedenfalls noch nicht geantwortet.
Ihr neues Album „Homage“, mit dem Sie dem Disco-Genre Tribut zollen, haben Sie auch in Hamburg aufgenommen. Haben Sie dort die richtigen Disco-Vibes gefunden?
Ich war früher viel im Hamburger Nachtleben unterwegs, weil einer meiner besten Freunde dort wohnt. Aber das ist schon eine Weile her. Es spielt aber auch gar keine Rolle, wo ich gerade bin, der Disco-Vibe ist immer bei mir. Ich habe das Genre schon mit 14 für mich entdeckt.
Ich denke immer an die vielen Eurodisco-Platten von dem guten, deutschen Plattenlabel Hansa, die ich besitze. Als ich dieses Album aufgenommen habe, war das gleichzeitig eine Reise in meine Jugend. Wir haben es wie eine Hommage an die Disco-Ära kreiert und sind zurückgegangen zu der Musik, die mich als Heranwachsender beeinflusst hat.
Was ist anders, wenn Sie ein Disco- und kein Pop-Album machen?
Der Prozess der Entstehung. Denn Disco ist sehr aufwendig, es müssen Streicher und Bläser arrangiert und jede Menge Backingvocals aufgenommen werden, die fast genauso wichtig sind wie die Stimme des Sängers. Jeder trägt also etwas sehr Besonderes dazu bei. Musikstile kommen und gehen, aber den Disco-Sound lieben die Leute immer. Es ist das Aufmunternde, das Positive und Grundoptimistische, was mir so gut an Disco gefällt. Es ist so eine reiche, weitgefasste Musik. Wirklich schade, dass viele Leute das Genre abschätzig betrachten.
Hat Disco nicht auch immer die Botschaft vom freien Leben und Selbstverwirklichung transportiert?
Absolut! Als ich jünger war und als schwuler Mann in einer Kleinstadt aufwuchs, war Disco mein Zufluchtsort. Es war der Platz, wo ich der Diskriminierung und Homophobie des Alltags entkommen konnte. Discomusik gab mir Sicherheit, sie lehrte mich auf dem Dancefloor, was Freiheit bedeutet. Dafür werde ich immer dankbar sein.
Das Interview führte Katja Schwemmers.