Interview zur Falschparker-App: Berufene Bürger als Hilfssheriffs

Berlin - Herr Kühne, wie sind Sie in der Stadt unterwegs? Mit dem Rad oder mit dem Auto?

Ich bin vorwiegend Radfahrer und Fußgänger, aber auch engagierter Beifahrer.

Sie fahren kein Auto?

Nein.

Weil Sie keinen Führerschein haben?

In der Tat, ich habe keinen Führerschein. Das hat sich bei mir als gebürtiger Berliner noch nicht dringend ergeben.

Können Sie trotzdem sagen, worüber die Leute klagen, wenn es um den Straßenverkehr geht?

Jeder beschwert sich über jeden. Autofahrer beschweren sich darüber, dass es zu wenige Parkplätze gibt. Fußgänger und Radfahrer melden sich, weil es zu viele Parkplätze für Autos gibt und weil Gehwege, Radwege und abgesenkte Bordsteine zugeparkt sind. Eltern schreiben uns, weil Autos vor Kitas und Schulen die Wege für ihre Kinder versperren.

Es ist der alte Streit: Gibt es zu wenige Parkplätze oder zu viel Autos?

Das Problem ist eine gewisse Anspruchshaltung mancher Autofahrer. Die denken, wenn sie ein Auto haben, muss es auch vor ihrer Haustür einen kostenlosen Parkplatz geben. Sie zahlen ja schon Kfz-Steuer und Mineralölsteuer, in diesem Sinne müsse der Staat dafür sorgen, dass es genug kostenlose Parkplätze gibt.

Was antworten Sie?

Dass es dieses Anrecht nicht geben kann. Wir haben zum Beispiel in Prenzlauer Berg einige Parkhäuser, die sind längst nicht ausgelastet. Für 50 bis 60 Euro im Monat kann man dort einen Stellplatz mieten. Doch das ist vielen zu teuer und zu weit von der Wohnung entfernt.

In den Parkzonen zahlen Anwohner Geld für eine Vignette, kurven abends aber ewig durch ihr Viertel, um einen Parkplatz zu finden.

Wir haben eben nur einen begrenzten öffentlichen Straßenraum und den müssen wir fair aufteilen. Nutzungskonflikte sind das Alltagsgeschäft des Ordnungsamtes. Denn ich kenne keine Pläne, dass wir die Straßen untertunneln wollen.

Nun sorgt die App Straßensheriff für neuen Ärger. Gegner sagen, das Ordnungsamt rekrutiere Hilfssheriffs.

Ich habe mit Protesten gerechnet. Die Vergleiche reichen auch bis in die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte. Gerade in Deutschland ist so ein Thema emotional aufgeladen. Doch es ist auch jetzt schon so, das berufene Bürger uns anonym Fotos zuschicken mit dem Hinweis: „Da müssen Sie jetzt mal durchgreifen!“ Manchen Bürgern reichen nicht mal die Kontrollen im Rhythmus von zwei bis drei Stunden in den Parkzonen.

Wozu dann noch die App?

Denunziantentum kann man nie ganz verhindern. Und auch die App können wir nicht verhindern. Zu jeder Ordnungswidrigkeit habe ich schon jetzt einen berufenen Bürger, der sich als Hilfsmitarbeiter aufspielt, es gibt Spezialisten für Spätverkaufsstellen, für Fahrradleichen, für Altkleidercontainer… Ich sehe den Vorteil der App vor allem darin, dass es mehr Bürger geben könnte, die nicht denunzieren, sondern die wirklich auf Missstände hinweisen wollen.

Schon jetzt bekommt Ihr Amt täglich bis zu 100 Beschwerden. Jede muss beantwortet, jedem Hinweis nachgegangen werden. Mit der App wird es sicher noch mehr. Wie sollen das die Mitarbeiter schaffen?

Mit der App sollte es auch möglich sein, dass Radfahrer und Passanten notorische Falschparker per Handy ans Ordnungsamt melden. Damit können wir im Ordnungsamt nichts anfangen. Den Hinweisen können wir gar nicht so schnell nachgehen. Und die Möglichkeit, sich auf elektronischem Weg zu beschweren, die gibt es doch schon. Sinnvoller ist es, dass Nutzer der App Ordnungswidrigkeiten anonymisiert auf einer Karte eintragen können. Wir sehen dann, wo stehen die meisten Falschparker? Wie viele Beschwerden gibt es in welchen Kiezen? Solche detaillierten Infos haben wir zurzeit nicht.

Ist es nicht Aufgabe Ihrer Mitarbeiter, solche Verstöße zu registrieren?

Natürlich, aber nicht ausschließlich. Für mich ist es eine Form der Bürgerbeteiligung, wenn die Bürger selbst sagen, welchen Verstößen wir nachgehen sollen. Was sind die Schwerpunkte? Worum sollen wir uns kümmern? Die App ist eine sinnvolle Ergänzung unserer Arbeit…

… und die Benutzer liefern Ihnen kostenlos alle Daten.

Es geht auch um Transparenz. Die Bürger sehen, es ist nicht nur das Ordnungsamt, das sich aus eigenem Antrieb um Verstöße kümmert, es sind die Bürger selbst, die wollen, dass das Ordnungsamt handelt. Oft gilt ja die Meinung: Das Ordnungsamt geht Verstößen nur nach, um Geld zu kassieren. Die App könnte zeigen, dass Ordnungswidrigkeiten viele Mitbürger stören.

Die App beschäftigt jetzt das Bezirksparlament. Die Linksfraktion fordert, die Zusammenarbeit mit dem Entwickler sofort zu beenden. Sie kritisiert, innovativ daran sei nur die elektronische Untersetzung des bösen, alten Blockwartsystems.

Ich kann die Sorge völlig nachvollziehen. Wir befinden uns mitten in der NSA-Debatte, natürlich spielen Datenschutz und die technischen Möglichkeiten eine Riesenrolle. Und auch die Verwaltung muss sich mit diesen Möglichkeiten auseinandersetzen. Aber noch mal ganz deutlich: Ich will auch nicht fotografiert werden, wenn ich mal aus Bequemlichkeit oder Ignoranz mit dem Rad auf dem Gehweg fahren sollte.

Das Gespräch führte Stefan Strauß.