Ja, es fehlen die Touristen in Berlin
Nicht nur wegen des Geschäfts, sondern auch wegen möglicher interessanter Begegnungen, findet unsere Autorin.

Mit wem man gerne mal ein Bier trinken gehen würde, lautet eine beliebte Frage, wenn man das Gegenüber besser kennenlernen will. Die Entscheidung fällt schwer, blättert man durch Bücher, die sich mit all den Großen und Verkannten beschäftigen, die zu Berlins Glanz beitrugen und es noch tun. Die Literaten und anderen Künstlerinnen in dem feinsinnigen Band „Berlin – Was nicht im Baedeker steht“ sind zwar größtenteils nicht mehr unter uns, doch das kostet die Fantasie nur ein herzhaftes Gähnen. Ihre Worte und Werke haben sie unsterblich gemacht, das weiß jedes Kind. Also nehmen wir diese Binse auch wörtlich.
Die Stadt kann ein paar Leute mehr in den Straßen gerade gut gebrauchen, erst recht, da jetzt die Lokale wieder langsam öffnen. Jeder Gast zählt. „Wir brauchen Mann und Maus“, sagte eine Verkäuferin, als sie mich trotz fehlendem Tests das Geschäft betreten ließ. Der verstaubte Satz trippelte im Laden hinter mir her und begleitete mich bis nach Hause. Auf seinem Rücken trug er die Frage: „Wo sind denn alle hin?“ Besonders das Fehlen der Touristen hat ihn bekümmert.
Und ja, sie fehlen. Ihr Überschwang, ihre Neugier. Ihre Aufregung über alles, was ich viel zu häufig mit der Gleichgültigkeit der hier Lebenden nehme. Die fremden Sprachen, die neuen Wörter, welche die Atmosphäre mit Welt füllen. Mit Farbe, Farbe! Die Abfälligkeit mit der früher viele über die Besucher aus anderen Ländern und Städten gesprochen haben, war mir immer schon zuwider. Wie eng muss der Blick, das Herz sein, dass man sich über Rollkoffer und Orientierungslosigkeit mokiert. Welch ein Geiz spricht aus der Annahme, an der Haltestelle sei nur Platz für Berliner. Berliner, die so viel von ihrer Weltläufigkeit halten. Doch die zeigt sich nicht darin, ein Bier auf Englisch zu bestellen. Sondern darin, eine auf Kroatisch gestellte Frage in welcher Sprache auch immer zu beantworten. Oder eine, die mit bayerischem Akzent gestellt wird.
Denn bald wird der Umgang mit Gästen wieder Akzente setzen. Der kleine Teil der Welt, der sich das Unterwegssein leisten kann, rutscht auf dem Stuhl hin und her und studiert Landkarten und Reiseportale. Der Sommer breitet bereits seine Arme aus und an seiner Brust ist Platz für viele. Man muss also gar nicht auf die Prominenz zurückgreifen in der Frage, mit wem man gerne mal ein Bier trinken gehen würde. Interessante Gegenüber gibt es genügend und freie Stühle sicher auch.