Berlin - Seine Position ist exponiert, aber Leeor Engländer wirkt schlagfertig und entspannt. Er sitzt in einem Glaskasten. Wie ein Zootier. Leeor Engländers Glaskasten steht im Jüdischen Museum, es ist eine Art Vitrine. Mit ihr und Leeor Engländer darin treibt das Museum jene Kritik künstlich auf die Spitze, die jüdischen Museen weltweit immer wieder gemacht wird. Nämlich die, Juden auszustellen. Das sei exhibitionistisch und voyeuristisch, heißt es. In diesem Fall ist es der Jude Leeor Engländer, der ausgestellt wird. Er findet das nur konsequent. „Diese Ausstellung zeigt, wie es ist: Juden sind selten“, sagt er.
Leeor Engländer ist 30 Jahre alt, in Heilbronn geboren und lebt in Berlin. In seiner Vitrine im Museum sitzt er nicht nur herum, Besucher dürfen ihn auch ansprechen. Er beantwortet Fragen. Alle Fragen? „Versuchen Sie es“, sagt er. Es geht natürlich um jüdische Fragen. Und es sind auch Fragen erlaubt, die Besucher bisher vielleicht nie gewagt haben, einem Juden zu stellen. Ob Juden krumme Nasen haben, vielleicht. Leeor Engländer hat jedenfalls auch auf diese Frage eine Antwort. Die einen haben krumme Nasen, die anderen nicht.
Der Mann in der Vitrine ist Teil der Ausstellung „Die ganze Wahrheit ... was Sie schon immer über Juden wissen wollten“, die das Museum am Donnerstag eröffnet. „Es geht um die Frage, was ist das denn eigentlich, ein Jude“, sagt Cilly Kugelmann, die Programmdirektorin des Museums. Die Entstehung dieser Ausstellung lasse sich auf den etwas kuriosen Umstand zurückführen, dass jene Frage bei den Millionen Besuchern offenbar selbst dann noch irgendwie unbeantwortet bleibt, wenn sie durch das ganze Museum gelaufen sind. Das zeigten Kommentare auf Zetteln und in Gästebüchern. Die Museumsmitarbeiter haben die Kommentare gesichtet. 32 Fragen haben es in die Ausstellung geschafft.
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Es sind oft Fragen, die es in sich haben. Woran erkennt man einen Juden? Wie wird man Jude? Sind Juden besonders geschäftstüchtig? Darf man über den Holocaust Witze machen? „Wir geben nicht eine einzige Antwort, wir zeigen viele Perspektiven“, sagt Cilly Kugelmann.
Abstimmung mit Münzen
Zur Frage nach den Holocaust-Witzen zum Beispiel sind in der Ausstellung Ausschnitte aus Comedy-Shows zu sehen. Da hört man etwa Oliver Polak aus seiner Show „Ich bin Jude, ich darf das“ frei nach Helge Schneider singen „KZ-Klo, KZ-Klo macht den Schlomo gar nicht froh“. Der Besucher muss sich selbst eine Meinung bilden. Bei der Frage „Wer ist Jude“, stellt die Ausstellung die große Bandbreite möglicher Antworten heraus.
Israels erster Premier David Ben Gurion wird zitiert, weil er jeden als Juden anerkennen wollte, „der meschugge genug ist, sich selbst einen zu nennen“. Daneben liegt das Ergebnis eines Gen-Tests von Cilly Kugelmann, den eine Firma angefertigt hat, die sich auf derartiges spezialisiert hat. „Urvolk: Juden“, steht auf dem Dokument, „Verbreitungsgebiet: Osteuropa, Litauen, Ukraine“. Daneben hat Kugelmann ihren Stammbaum aufgemalt: Großeltern ermordet, Eltern ermordet.
Die Ausstellung greift mit der Frage „Darf ein Deutscher Israel kritisieren?“ auch die Antisemitismus-Debatte um Jakob Augstein auf und antwortet mit einem ironischen Taz-Artikel: „10 Tipps für einen israelkritischen Text“. Und sie präsentiert mit dem Duft „moslbuddjewchristhindao“ ein Parfum als Antwort auf die Frage, ob Frieden zwischen den Religionen möglich ist. Es geht auch um Stereotypen. Mit Münzen dürfen die Besucher am Ende abstimmen, ob sie Juden für besonders geschäftstüchtig, intelligent, schön oder tierlieb halten.
Leeor Engländer ist nicht der einzige jüdische Gast, der während der Ausstellungszeit in der Vitrine Platz nehmen wird. Aber der zierliche junge Mann passt auf jeden Fall hervorragend in diese unkonventionelle Schau mit ihrem unorthodoxen Umgang mit oft provokativen Fragen. „Ich fühle mich wie immer“, sagt Engländer zum Beispiel, wenn man wissen will, wie er es ihm in seinem Glaskasten geht. „Ich war der einzige Jude in meiner Schule. Ich musste mein ganzes Leben lang, die Frage beantworten, was eigentlich ein Jude ist.“ Eine seltene Spezies.
„Die ganze Wahrheit ...“ ist im Jüdischen Museum, Lindenstraße 9-14 bis zum 1. September täglich 10-20 Uhr, montags bis 22 Uhr zu sehen.