Kampf um Freiflächen: Start-ups konkurrieren immer häufiger mit Kulturmachern
Es ist, als hätten Berlins Kulturmacher die Nachricht, die am Montagmorgen die Runde macht, eigens zu diesem Termin bestellt: Der Bassy Club an der Schönhauser Allee wird zum Sommer schließen. Eine Mieterhöhung und ausbleibende Gäste machen dem alteingesessenen Rocklokal den Garaus. „Wir werden uns dem Verlangen des Marktes nicht beugen“, kommentiert Betreiber Tammi Torpedo. Um dieses Verlangen – explodierende Mieten, Investorengier und die Verantwortung von Eigentümern gegenüber der Kultur – geht es am Montagmorgen auch im Kreuzberger Privatclub. Auch hier droht einer Institution des Nachtlebens das Aus durch Verdrängung.
„Wenn Orte wie Bassy und Privatclub wegfallen, hat Berlin bald keine Bühnen mehr, auf denen sich junge Musiker ausprobieren können“, sagt Katja Lucker, Geschäftsführerin des Musicboards Berlin. Die landeseigene Gesellschaft zur Förderung von Popmusik hat am Montag zusammen mit der Clubcommission, dem Zusammenschluss der Macher aus dem Nachtleben, in den Privatclub geladen. Adressaten ihrer Botschaft sind Start-ups, die in Berlin immer schärfer mit Kulturschaffenden um Gewerbeflächen konkurrieren – und dabei oft höhere Preise bieten können.
„Bewusste Täuschung“
So wie im Fall des Privatclubs, über den die Berliner Zeitung schon berichtete: Auf den Etagen über der Tanzfläche in der Skalitzer Straße sind nach einem Eigentümerwechsel 2016 junge Firmen eingezogen. Sie zahlen den geforderten Quadratmeterpreis von 22 Euro, den der Privatclub sich nicht leisten kann. Gleichzeitig leiden sie unter dem Lärm, der unter ihnen durch Proben und Soundchecks entsteht. „Ich denke, der Eigentümer hat sie bewusst getäuscht und ihnen beim Einzug erzählt, hier würden nur zweimal pro Woche Konzerte stattfinden“, sagt Norbert Jackschenties, der den Privatclub seit 1999 betreibt. Die Mitarbeiter der Firma über dem Privatclub sind zerknirscht über den Streit, sagt Jackschenties.
Der Hausbesitzer bestreitet, die junge Firma getäuscht zu haben. Es ist Marc Samwer, der vor zehn Jahren in eine kleine Firma namens Zalando investierte, sie zu einer milliardenschweren Aktiengesellschaft ausbaute und sich mit dem Geld ein Immobilienimperium schuf.
„Wir sind keine Gegenspieler“
Lutz Leichsenring, Sprecher der Clubcommission, fordert von jungen Unternehmen mehr Problembewusstsein. Er strebt einen runden Tisch an, um mit Start-ups, dem Senat, der Industrie- und Handelskammer sowie Immobilienverbänden über die Aufteilung von Flächen zu sprechen. „Zum Beispiel eine Selbstverpflichtung für Grundstücksbesitzer, zehn Prozent ihres Areals für Kultur zur Verfügung zu stellen“, sagt er. Auch eine jährliche Spende an eine Stiftung zur Rettung von Haus- und Kulturprojekten sei denkbar. Leichsenring will die Gründer bei der Moral packen, Positivbeispiele öffentlich loben anstatt bloß zu geißeln.
Bei den jungen Firmen stoßen die Vorschläge auf offene Ohren. „Kultur und Start-ups sind keine Gegenspieler“, sagt Paul Wolter, Sprecher beim Bundesverband Deutsche Start-ups. „Das Nachtleben hilft uns, Mitarbeiter nach Berlin zu ziehen.“ Man könne zum Beispiel über gemeinsame Mietmodelle nachdenken. Bei finanziellen Zugeständnisse ist Wolter skeptisch. „Auch Start-ups bangen stets um die nächste Finanzierungsrunde.“ Eher sieht er den Senat in der Pflicht, eine Gesamtstrategie für Gewerbeflächen zu entwickeln.
Jedoch ist hier der Handlungsspielraum begrenzt, denn das Gewerbemietrecht obliegt dem Bund. Die Bundesratsinitiative für einen Milieuschutz für Gewerbetreibende hat es bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen schwer. Immerhin für den Privatclub wurden Kultursenator Lederer (Linke) und Wirtschaftssenatorin Pop (Grüne) aktiv: In einem Brief appellieren sie an Marc Samwer, mit Betreiber Jackschenties eine Einigung zu suchen. Eine Antwort haben sie seinen Angaben zufolge bisher nicht.