Kehle aufgeschlitzt: Opfer bricht Doktorarbeit ab und verlässt Berlin für immer

Fünf Zentimeter tiefer Halsschnitt – im Prozess wegen versuchten Mordes erzählt der Geschädigte, welche psychischen Folgen der Messerangriff hat.

Moataz B. ist derzeit im Maßregelvollzug untergebracht.
Moataz B. ist derzeit im Maßregelvollzug untergebracht.Pressefoto Wagner

Die Narbe ist auch nach acht Monaten noch sichtbar – ein roter Strich, der sich über dem Kragen des Pullovers an der Vorderseite des Halses von Philipp F. von links nach rechts zieht. Der 28-Jährige wissenschaftliche Mitarbeiter einer Hochschule hat seine Doktorarbeit abgebrochen und wird demnächst aus Berlin wegziehen. Hier gebe es „zu viele Erinnerungen daran“, wie er am Donnerstag als Zeuge vor Gericht erzählt. Sein Schicksal zeigt, was Gewalttaten mit Opfern machen.

„Daran“, damit meint Philipp F. das Geschehen in der Nacht zum 29. Juni vergangenen Jahres, bei dem der junge Mann nur knapp dem Tode entkam. Als ihn ein Angreifer von hinten mit einem Messer den Hals aufschlitzte. Fünf bis sechs Zentimeter tief, wie der behandelnde Krankenhausarzt an diesem zweiten Verhandlungstag berichtete. Nur ein bis zwei Millimeter fehlten demnach bis zur Halsschlagader und Halsvene. Wäre die Schlagader verletzt worden, hätte es Philipp F. nach Angaben des Mediziners nicht mehr in die Klinik geschafft.

Philipp F. habe reines Glück gehabt, sagt der Arzt. Da keine großen Blutgefäße verletzt wurden, war die Verletzung nicht lebensbedrohlich. Allerdings hat der 14 Zentimeter lange Schnitt den Halsmuskel vollständig durchtrennt. Es sei ein langwieriger Reha-Prozess, bis der Muskel wieder voll funktionsfähig sei, erklärt der Mediziner. Eine bleibende Schluckschwäche oder Probleme bei der Kopfdrehung kann er nicht ganz ausschließen.

Halsmuskel bei OP zusammengefügt

Der Halsmuskel sei ihm bei der Operation wieder zusammengefügt worden, Philipp F., anfangs habe er seinen Kopf halten müssen. Er ist ein sportlicher Mann, seit seinem sechsten Lebensjahr betreibt er intensiv Sport. Er hoffe, dies wieder tun zu können, sagt er vor der Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts.

Dann beschreibt der Zeuge die Nacht, die sein Leben „drastisch verändert hat“: Er hatte eine Freundin zur U-Bahn gebracht, dann gegen 1.30 Uhr an der Haltestelle Berliner Straße in Wilmersdorf auf den Bus gewartet. Hin und her lief er, um sich die Zeit zu vertreiben. Dabei sah er einen ganz normal aussehenden und normal gekleideten Mann mit Rollkoffer.

Was dann geschah, beschreibt der Zeuge so: Er sei zurückgeschlendert, habe dann sehr schnelle Schritte hinter sich gehört und etwas am Hals gespürt. Sofort habe er sich umgedreht, den Angreifer weggestoßen. Dabei sei er zu Boden gefallen, habe das Blut sowie das Messer in der erhobenen rechten Hand des Mannes mit dem Rollkoffer gesehen und gedacht: „Ich will jetzt hier nicht sterben.“

Philipp F. rappelte sich nach eigenen Worten hoch, rannte auf die andere Straßenseite, schrie um Hilfe, versuchte erfolglos, Autos anzuhalten. Im Fitnessstudio brannte noch Licht. Doch auch dort bemerkte offenbar niemand die Not des an die Tür hämmernden Mannes, der die linke Hand auf die blutende Wunde am Hals drückte. Endlich hielt ein Autofahrer an, der die Polizei sowie den Rettungsdienst rief.

Messer beim Beschuldigten gefunden

Der verletzte Mann konnte der Polizei noch den Angreifer beschreiben, bevor er in die Klinik gefahren wurde. Der mutmaßliche Täter Moataz B. konnte kurz darauf in der Nähe des Tatorts festgenommen werden. Bei ihm sollen die Beamten auch die Tatwaffe, ein Küchenmesser mit einer zwölf Zentimeter langen Klinge, gefunden haben.

Moataz B. sitzt auf der Anklagebank und hört Philipp F. aufmerksam zu. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 26-jährigen Beschuldigten versuchten Mord vor. Der in Süddeutschland studierende Mann soll Philipp F. im Zustand der Schuldunfähigkeit mit dem Messer attackiert haben. Schon jetzt sitzt er im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter. Moataz B. leide an einer paranoiden Schizophrenie, heißt es in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft.

Eigentlich war Moataz B. nach Berlin gekommen, um nach Kairo zu fliegen. Den gebuchten Flug in seine Heimat trat er jedoch nicht an, fühlte sich offenbar verfolgt. Da er für die Allgemeinheit gefährlich sein soll, strebt die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in der Psychiatrie an.

Moataz B. schweigt auch an diesem zweiten Verhandlungstag zu den Vorwürfen. Er sagt auch kein Wort zu dem Mann, den er verletzt haben soll und der in eindringlichen Worten erzählt, wie sich das Geschehene auf seine Psyche gelegt hat. Seit der Tat müsse er immer wissen, wer hinter ihm laufe, häufig drehe er sich um, berichtet Philipp F., der noch immer in Therapie ist.

Nachts wacht er auf und hat die Bilder von der Tatnacht im Kopf. Wenn ihm Menschen entgegenkommen, stellt er sich vor, wie sie ein Messer ziehen und ihn umbringen wollen. Philipp F. sagt, er hoffe, alles hinter sich lassen zu können, wenn er nicht mehr in der Stadt lebe.