Berlin: Erste schwul-lesbische Kita weckt Begeisterung – und Widerstand
In Schöneberg soll Deutschlands erste Regenbogen-Kita gegründet werden. Geplant ist, dass der Großteil des Personals aus der LGBTI-Community stammt.

Im nächsten Frühjahr soll in Schöneberg eine schwul-lesbische Kita ihre Türen öffnen, deutschlandweit das erste Projekt dieser Art. Träger der neuen Einrichtung ist die Schwulenberatung Berlin. Die Kita, die 93 Plätze bietet, heißt Rosaroter Tiger und gelbgrüner Panther. Im Tagesablauf und im pädagogischen Konzept soll sich die Kita nicht von anderen Kitas unterscheiden. Besonders aber wird sein, dass die Leitung und die meisten Erzieher Mitglieder der LGBTI-Community sein werden.
Im Flyer der Kita steht, um einen Platz in der Kita zu bekommen, müsse man selbst nicht Teil der LGBTI-Community, aber damit einverstanden sein, „dass neben allen anderen pädagogischen Maßnahmen die Lebensweisen von LGBTI sichtbar und ansprechbar sein werden“.
Die Kita wird Teil des Lebensortes Vielfalt, eines großen Mehrgenerationenhauses am Südkreuz. Dort entstehen nicht nur neue Räume für die Schwulenberatung Berlin, sondern auch Wohnungen für Angehörige der Community, die vielleicht keine Familie haben und im Alter dort eine Art Wahlfamilie finden können. Es wird ein Café geben, einen Versammlungsraum – und außerdem zwei Wohngemeinschaften für Menschen, die Pflege und Therapie benötigen.
Der Mehrgeschosser soll Ende des Jahres fertiggestellt werden. Am Rohbau ist ein Plakat angebracht, das die neue Kita ankündigt. „60 Anmeldungen haben wir schon“, sagt Jörg Duden von der Schwulenberatung Berlin. „Die meisten stammen von jungen Familien, die in die Nähe gezogen sind und unser Plakat gesehen haben. Aber etwa ein Viertel stammt von Eltern, die in der Anmeldung betonen, dass sie als Schwule oder Lesben in anderen Kitas schlechte Erfahrungen gemacht haben.“
Auch habe sich ein Elternpaar gemeldet, dessen Sohn gerne Kleider und Haarspangen trägt. „Und nun haben sie die Hoffnung, dass ihr Sohn bei uns auf mehr Verständnis trifft als in seiner früheren Kita.“
Bilderbücher, in denen am Ende der Prinz den Prinzen heiratet
Bei der Auswahl der Materialien wolle man darauf achten, dass nicht ausschließlich konservative Rollenbilder transportiert werden. Neben den vielen Bilderbüchern, in denen am Ende der Prinz die Prinzessin heiratet, soll es einzelne Bücher geben, in denen beim Happy End zwei Prinzen zusammenfinden. „Auch bei der Auswahl von Liedern und Gedichten wollen wir niemanden diskriminieren“, sagt Duden.
Eine Mutter, die mit ihrer Partnerin gemeinsame Kinder hat, begrüßt die Gründung der neuen Regenbogen-Kita: „So einen Schutzraum haben sich die Regenbogenfamilien in unserem Bekanntenkreis schon lange gewünscht. Denn etliche haben in Kitas durchaus schon Diskriminierungserfahrungen gemacht.“ Diskriminierend sei, wenn nur die leibliche Mutter als Mama anerkannt und die andere vor dem Kind als „die Frau deiner Mutter“ tituliert werde. Oder wenn das Kind, das mithilfe einer anonymen Samenspende gezeugt wurde, von den Erzieherinnen immer wieder nach dem Namen des Vaters gefragt werde.
Die Mutter, die ihren eigenen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, nimmt jeden Tag weite Fahrwege auf sich, um ihren Sohn in eine Kita zu bringen, die für ihre soziale und queere Durchmischung bekannt ist. „Lieber fahre ich jeden Tag eine halbe Stunde länger, als dass ich meinen Sohn in eine Kita gebe, wo diese mentale Offenheit gar nicht oder nur halbherzig gelebt wird. Fehler passieren in jeder Familie. Und wir alle verstören unsere Kinder auf die eine oder andere Weise. Umso wichtiger ist es mir, dass diese Voraussetzung schon mal stimmt: dass mein Sohn sich in der Kita keine blöden Kommentare anhören muss.“
Zu einem früheren Coming-out ermutigen
Die Idee, eine schwul-lesbische Kita zu gründen, hatten Jörg Duden und Marcel de Groot, beide seit Jahren in der Schwulenberatung Berlin engagiert, schon im Jahr 2014. Sie entwickelte sich aus der Beratungsarbeit, in der sie täglich mit Menschen tun haben, die erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in ihrem Leben den Mut finden, zu ihrer Identität zu stehen. „Warum muss man erst 40 Jahre alt werden oder älter, bevor man sich outet? Die meisten haben schon kurz vor Beginn der Pubertät – im Alter von zehn, elf oder zwölf Jahren – klare Zeichen gespürt, dass sie eher Jungen oder eher Mädchen mögen.“
Nach wie vor gingen viele durch eine lange Phase der Einsamkeit, in der sie sich fragen: „Was ist nur los mit mir? Und wo sind die anderen, die so fühlen wie ich?“ Warum ist das so? „Weil die Lebensweisen von LGBTQ zu wenig sichtbar sind“, vermutet Duden.
Nachdem am 1. Oktober in der Bild-Zeitung ein Artikel über die Kita zu lesen war, bekam die Schwulenberatung Berlin eine Flut von E-Mails von erbosten Schreibern. Der Grundtenor: „Hände weg von unseren Kindern!“ Oder „Muss das sein? Dass unsere Kinder damit auch noch konfrontiert werden!“
Die Frage, ob Kinder in ihrer sexuellen Orientierung verwirrt werden
In den sozialen Netzwerken wird jetzt die Frage diskutiert, ob Kita-Kinder in ihrer sexuellen Orientierung verwirrt werden können, wenn die meisten der Kita-Erzieher Schwule, Lesben oder Transpersonen sind. Könnte es sein, dass bei den Kindern dann der Druck entsteht, sich an die neue Mehrheit anzupassen? Jörg Duden glaubt, dass das kein Problem sei. Weil die Kinder ja von Montag bis Sonntag überwiegend in einer Welt leben, die „heteronormativ“ geprägt ist.
Gemutmaßt wird auch, dass es gefährlich sei, Kita-Kinder dauernd mit Fragen nach Geschlecht und Sexualität zu konfrontieren in einem Alter, in dem das eigentlich nicht im Vordergrund steht. Duden ist empört darüber, dass ihr Projekt in den Medien „so stark sexualisiert“ wird. „Weil es weniger um die sexuellen Komponenten geht als um die Repräsentation einer Vielfalt verschiedener Lebensweisen.“
Aufgeladen wurde die Debatte über die Kita-Gründung durch den Hinweis der Bild-Reporterin, dass ein gewisser Rüdiger Lautmann (86) seit vielen Jahren im Vorstand der Schwulenberatung Berlin sitze. Der Jurist und Soziologie-Professor, der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit für die Entpathologisierung der Homosexualität eingesetzt hat, wird von der Bild-Zeitung als „Pädophilie-Verfechter“ eingeführt.
Die Bild-Zeitung bringt das Wort „Pädophilie“ ins Spiel
Tatsächlich hat er wohl im Jahr 1994 ein Buch mit dem Titel „Die Lust am Kind. Portrait des Pädophilen“ geschrieben, das nach eigenen Eingaben die Motivation der Täter wissenschaftlich erklären möchte. Da das Buch aber offenbar von einigen als Plädoyer für eine Legalisierung der Pädophilie verstanden oder missverstanden wurde, hat der Autor das Buch inzwischen zurückgezogen.
Eine lesbische Mutter ärgert sich, dass die neue Kita jetzt medial sofort mit dem Stichwort „Pädophilie“ kurzgeschlossen wird. „Das ist die alte Keule der Rechten, die immer funktioniert!“
Vor zwei Jahren wurde das Konzept der neuen Kita bereits mit der Bildungsverwaltung und der Kita-Aufsicht abgestimmt. Ende dieses Jahres, kurz vor der Erteilung der Betriebserlaubnis, wird es eine finale Abstimmung geben. Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend und Familie, antwortete der Berliner Zeitung auf eine entsprechende Nachfrage: „In den Angeboten der Schwulenberatung Berlin – von Kitas bis hin zu Mehrgenerationenhäusern – werden ausdrücklich Kinder aus Familien jeglicher Orientierung willkommen geheißen und in ihrer kindlichen Entwicklung wertfrei und offen unterstützt. Ich begrüße dieses Engagement grundsätzlich und halte es für einen wertvollen Baustein für unser offenes Zusammenleben. Gleichzeitig steht bei jeder Kita das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Dieses müssen wir schützen. Jegliche Faktoren, die zu einer Kindeswohlgefährdung führen, werden wir konsequent aus dem Weg räumen.“