Kirchenstift in Berlin-Wedding: Warum müssen die Senioren raus?
Das Altenheim „Pflege & Wohnen Schillerpark“ wird zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewandelt. Über die Motive gibt es unterschiedliche Angaben.

Die Konfusion um Lörrach ist noch in vollem Gange – da gibt es schon einen neuen Aufreger über Bewohner, die Geflüchteten weichen sollen, diesmal in Berlin. Und diesmal handelt es sich nicht schlicht um alteingesessene Bewohner, sondern gar um eine besonders vulnerable Gruppe, die zugunsten einer Flüchtlingsunterkunft ihr Zuhause räumen soll: Das Altenheim „Pflege & Wohnen Schillerpark“ soll offenbar noch in diesem Jahr geschlossen werden, um dort künftig mehrfach traumatisierten Geflüchteten ein Zuhause zu bieten, wie der Focus am Montag zuerst berichtete.
Besonders pikant: Das Nachrichtenmagazin äußert über eine nicht näher genannte Quelle „aus Kirchenkreisen“ den „Verdacht“: Es gelte als offenes Geheimnis, dass der Betrieb eines Flüchtlingsheimes „finanziell ungleich attraktiver“ als der eines Pflegeheimes sei. Der Grund: „Für Flüchtlingsheime zahlt das Land so viele Zuschüsse, dass sie im Gegensatz zu kostenintensiveren Pflegeheimen schnell schwarze Zahlen schreiben.“
Nachgefragt im Altenheim selbst und beim Betreiber Johannesstift Diakonie, meldet sich nur die Diakonie zurück – mit einer Reihe vorgefertigter Antworten, um dem Ansturm der Anfragen Herr zu werden. Bei dem Gebäude in der Müllerstraße handele es sich um eine „sehr komplexe Situation“.
2006 habe der Betreiber des „Pflege & Wohnen Schillerpark“ als heutiger Teil der Johannesstift Diakonie (JSD) die Immobilie per Pachtvertrag gemietet. Der Vertrag sei auf 25 Jahre ausgelegt gewesen mit der Option zur Verlängerung. Also ging man von einer Nutzung der Immobilie als stationäre Pflegeeinrichtung bis mindestens 2031 aus.
Vermieter ist das Paul-Gerhardt-Stift zu Berlin (PGS). Betreiber und Vermieter gehören als kirchliche Einrichtungen zur evangelischen Berliner Diakonie. Das PGS schloss damals weitere Miet- und Pachtverträge mit den Tochterunternehmen der Johannesstift Diakonie an der Müllerstraße ab, etwa für eine ambulante Pflege, eine Kita und weitere Angebote sozialer Arbeit und Beratung.
Doch schon im Jahr 2021, so das JSD, habe das PGS den Wunsch geäußert, die Immobilie künftig selbst nutzen zu wollen – laut Johannesstift Diakonie „nach unterschiedlichen Vorstellungen bezüglich der nach den Miet- und Pachtverträgen vereinbarten Pachtzinserhöhungen“.
Die Hälfte der Bewohner ist schon raus
Nach „intensiven Gesprächen“ sei deshalb eine vorzeitige Beendigung der Miet- und Pachtverträge mit dem PGS vereinbart worden – für den Mietvertrag des Pflegewohnheims sei eine gemeinsame Befristung bis zum 30. Juni 2025 ausgemacht worden mit der Möglichkeit, jeweils zu einem Monatsende, beginnend zum 30. Juni 2024, den Mietvertrag früher zu beenden. Auch die anderen Verträge der Tochterunternehmen der JSD auf dem Gelände des PGS in der Müllerstraße seien sukzessive beendet worden. Für die Kita und das Sozialunternehmen für Bildung und Beratung sei ein gesellschaftsrechtlicher Übergang ins PGS vereinbart worden.
Die Johannesstift Diakonie habe sich danach intensiv darum bemüht, eine alternative Immobilie zu finden – nach eigenen Angaben erfolglos. Eine Schließung des Pflegeheims sei somit „unumgänglich“ geworden. Auf die Frage, warum den Bewohnern nun aber schon vor dem eigentlichen Ende des Pachtvertrages gekündigt wurde, antwortet die JSD: „Als sich abzeichnete, dass man keine alternative Immobilie für einen Umzug finden würde, wurden ab dem Frühjahr 2022 keine frei werdenden Plätze mehr nachbelegt. Bewohnende, Angehörige und Mitarbeitende sind in einem solchen Setting grundsätzlich an einer längerfristigen Bindung interessiert als wir unter diesen Umständen anbieten könnten. Nach der Information über die stehende Schließung hatten viele ein Interesse daran, sich neu zu orientieren.“
Trotzdem gab es zum Zeitpunkt der schriftlichen Kündigung noch etwa 100 Bewohner im Schillerpark. Den Bewohnern der oberen zwei von vier Wohnetagen sei „nach Informationsgesprächen“ schon zum Jahresende 2022 gekündigt worden. Alle Bewohner seien durch die Heimleitung und den Sozialdienst der Einrichtung „intensiv“ bei der Suche und Vermittlung von passenden Einrichtungen begleitet worden.
Außerdem habe es das Angebot gegeben, in die unteren Etagen umzuziehen. Ende 2022 seien dann diese zwei oberen Etagen „an das PGS übergeben“ worden. Den Bewohnern der unteren zwei Etagen wurde zum Ende 2023 gekündigt. Auch sie würden aktuell bei der Suche nach neuen Pflegeplätzen von der Heimleitung „eng unterstützt“.
Ein Teil der Bewohner habe das Angebot angenommen, in andere Pflegeinrichtungen der JSD umzuziehen. Da sich diese Einrichtungen nicht in räumlicher Nähe befinden, sei das aber nicht für alle Bewohner und deren Angehörige von Interesse. Den Pflegeheim-Mitarbeitenden würden Arbeitsplätze in den anderen Einrichtungen der JSD angeboten.
Warum wurde schon 2021 die Kündigung vereinbart?
Die Fragen zur Nachnutzung des Pflegeheimes und der künftigen Nutzung als Flüchtlingsunterkunft könne die JSD als Mieter der Immobilie nicht beantworten, da sie damit nichts zu tun habe. Sie verweist auf den Eigentümer Paul-Gerhardt-Stift.
Dieser äußerte sich auch zu der Causa – auf seiner Homepage, wo unter dem Motto „Sinn stiften seit 145 Jahren“ bereits für das „Zukunftshaus Wedding“ („der Ort für Menschen, die Neuem mit Offenheit und Freude begegnen“) geworben und um Spenden für unter anderem „Freizeitangebote für geflüchtete Kinder aus den unterschiedlichen Kriegs- und Krisenregionen der Welt“ gebeten wird.
In einer Stellungnahme zur „Schließung des Pflege & Wohnen Schillerparks“ heißt es dort, es sei „festzuhalten, dass es seitens des Paul Gerhard Stifts keine Kündigung des Mietvertrages gegenüber der Johannesstift Diakonie ausgesprochen worden“ sei. Die Aussage der Kündigung wegen Eigenbedarfs werde ebenfalls zurückgewiesen. Die „Umnutzung des Pflegeheims“ sei keine wirtschaftliche Entscheidung gewesen, sondern „rührt aus den bestehenden Strukturen sowie den Bedarfen des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)“.
Im Sommer 2022 sei es „auf Bitten der Johannesstift Diakonie“ zu einer „vorzeitigen Änderung des bestehenden Mietvertrages“ gekommen, nachdem im Dezember 2021 zusammen mit der JSD eine Vereinbarung zur Gebäudenutzung bis Ende 2024 geschlossen worden sei. Nach der vorzeitigen Änderung sei die Schließung des Pflegewohnheims „im gegenseitigen Einvernehmen“ in zwei Etappen bis zum Jahresende 2023 beschlossen worden. Ein geplanter Neubau der JSD auf dem Gelände des Evangelischen Geriatrie-Zentrums Berlin (EGZB) in Mitte sei „nicht realisierbar“ gewesen.
Traumatisierte alte Menschen vs traumatisierte Geflüchtete
„Durch unsere jahrzehntelange Erfahrung in der Geflüchteten-Arbeit wird das PSG das Land Berlin bei der Frage zur Unterbringung von Geflüchteten unterstützen“, so das Paul-Gerhardt-Stift. Und weiter: „Das Refugium wird ab 2022/2023 die Plätze für mehrfach traumatisierte Schutzbedürftige erweitern.“ Die Entscheidung zur Umnutzung sei erst nach dem vorzeitig veränderten Vertrag getroffen worden.
Damit widerspricht das PSG dem Vorwurf seiner Motivation aus dem Focus, mit Geflüchteten sei mehr Geld zu machen als mit Alten.
Auf die konkretere Frage der Berliner Zeitung, warum dann überhaupt im Jahr 2021 eine vorzeitige Beendigung des Pachtverhältnisses vereinbart wurde, obwohl der Vertrag ursprünglich bis mindestens 2031 laufen sollte, hat das Paul-Gerhardt-Stift zunächst nicht geantwortet. Auch die Frage, ab wann dort Geflüchtete einziehen sollen, blieb offen.
Genau wie generell die Frage offenbleibt, welche der beiden Bevölkerungsgruppen nun eigentlich die traumatisiertere ist: die der Alten, die womöglich in ihrer Kindheit auch schon einen Krieg sowie den Umzug ins Pflegeheim und zuletzt auch noch im hohen Alter Corona überlebt hat – oder die der Geflüchteten.