Kita Warnstreik in Berlin: Jede vierte landeseigene Kita bleibt geschlossen

Berlin - Die Kita Fredersdorfer Straße in Friedrichshain, in Sichtweite des weltweit bekannten Berghain-Clubs, wird am Dienstag bis zum Mittag geschlossen bleiben. „Wir sind rumgegangen und haben die Kollegen gefragt, wer streikbereit ist“, erzählt die stellvertretende Kita-Leiterin Claudia Barton, eine zupackende Frau. Die meisten wollten sich an dem Streik beteiligen und ein Zeichen setzen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat zu dem halbtägigen Warnstreik aufgerufen, an dem sich etliche der 276 landeseigenen Kita-Eigenbetriebe beteiligen. Die meisten Kitas dürften aber geöffnet bleiben. Im Zuge der gerade angelaufen Tarifverhandlungen der Länder (TdL) wollen die Gewerkschafter mehr Lohn für Erzieher durchsetzen. Die zentrale Kundgebung findet schon um 9 Uhr direkt am Bahnhof Friedrichstraße statt.

„Wir werden so gegen 12.30 Uhr wieder öffnen, wenn wir uns in die Streiklisten eingetragen haben“, sagt Claudia Barton. Sie und ihre Kollegen haben die Eltern vor einigen Tagen umgehend über die bestehenden Mail-Verteiler und durch Aushänge über den Arbeitskampf informiert. Die allermeisten hätten viel Verständnis für den Warnstreik gehabt, heißt es in der Kita.

Pädagogischer Auftrag

Normalerweise tollen in dem Flachbau in Friedrichshain morgens 210 Kinder umher. Es ist eine richtig große Kita, die ihren Auftrag sehr ernst nimmt. „Wir orientieren uns am Berliner Bildungsprogramm und betrachten uns als BegleiterInnen der uns anvertrauten Kinder“, heißt es auf der Homepage der Kita. Und das ist es auch, was viele Erzieher auf die Straße bringt. Ihre Einrichtungen sind offiziell längst Bildungseinrichtungen mit ausformuliertem pädagogischen Auftrag. Sie sollen den Umgang mit Zahlen ebenso einüben wie Sprachförderung betreiben und Grundlegendes aus den Naturwissenschaften vermitteln.

Doch währen jüngst erst das Gehalt der Berliner Grundschullehrer an das der Studienräte am Gymnasium angeglichen wurde – etwa 5400 Euro brutto im Monat sind das bei voller Stelle –, verdienen die Erzieher in Berlin im bundesweiten Vergleich weiter schlecht. Mehr Geld in Form einer tarifliche Höhergruppierung war bisher nicht drin. Deshalb der Warnstreik.

Es mangelt an ausgebildeten Erziehern

„Die Aufgabenfelder sind immer mehr geworden“, sagt Claudia Barton, die 1997 anfing, als Erzieherin zu arbeiten. „Inklusion, Integration, Bildungsprogramm“, zählt sie auf. „Dazu schriftliche Dokumentation des Entwicklungsstandes eines jeden Kindes, Elterngespräche oder auch Entwicklungsstandberichte für das Jugendamt.“

Seit Jahren schon mangelt es in Berlin an ausgebildeten Erziehern – und das in einer Zeit, in der die Stadt wächst, die Kinderzahlen steigen und überall mehr Kitaplätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr überhaupt noch einlösen zu können.

Nur mit Notmaßnahmen weiß sich der Senat noch zu helfen: Bis zu 33 Prozent Quereinsteiger kann eine Kita inzwischen voll auf den vorgegebenen Personalschlüssel anrechnen. Auch soll das Abitur womöglich nicht mehr Voraussetzung für die derzeit dreijährige Erzieherausbildung sein. Tausende von genehmigten Kitaplätzen können wegen Personalmangels nicht angeboten werden.

„Das Gehalt ist die wichtigste Stellschraube“

„Wer heute das Abitur hat, überlegt sich natürlich dreimal, ob er Erzieher wird“, sagt Claudia Barton. Viel lukrativer sei es jedenfalls, gleich fünf Jahre lang Grundschullehramt zu studieren.

„Das Gehalt ist die wichtigste Stellschraube, um mehr Fachkräfte für die Kitas gewinnen zu können“, sagt auch Silke Gebel, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die dreifache Mutter soll wie auch die Fraktionsspitzen von SPD und Linker bei der zentralen Kundgebung am Bahnhof Friedrichstraße sprechen. Das Abgeordnetenhaus hat bereits ausdrücklich beschlossen, dass das Berliner Erziehergehalt angehoben werden muss.

Denn bereits hinter der Stadtgrenze in Brandenburg werden Erzieher nicht nach dem Tarifvertrag der Länder (TdL), sondern wie in den meisten Bundesländern nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvöD) bezahlt. Das sind bis zu 330 Euro mehr im Monat.

Gewerkschaft wünscht sich eigene Entgeltverordnung

Strittig ist aber, wie eine Besserstellung der gut 30.000 Berliner Erzieher ausfallen könnte, zumal die breite Mehrheit bei freien Kita-Trägern beschäftigt ist, für die der TdL nicht unmittelbar gilt. Im Gespräch sind eine Höhergruppierung von der derzeitigen Entgeltstufe 8 (etwa 2600 Euro brutto Einstiegshalt) auf E9.

Dort wären aber weitere Gehaltssteigerungen auf lange Sicht nur in sehr überschaubarem Maße möglich, sagte GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik. Die Gewerkschaft wünscht sich deshalb eine eigene Entgeltverordnung für Erzieher, was aber umstritten ist. Ansonsten könnte mehr Lohn auch über eine Zulage gewährt werden, was aber nicht wirklich dauerhaft wäre.

Gewerkschaften sind sich uneins

Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite ist der Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD). Das könnte den Berliner Erziehern durchaus nützen, weil der hiesige Senator die berlinspezifische Problematik kennt. Generell geht es bei den Verhandlungen um eine mögliche Lohnerhöhung für rund eine Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, darunter auch viele Lehrer. Die Gewerkschaften fordern sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens 200 Euro mehr.

Die GEW will mit ihrem recht überraschend verkündeten Streikaufruf die Aufmerksamkeit möglichst früh auf die Berliner Erzieher und Jugendamtsmitarbeiter richten. Es ist der erste Warnstreik im Rahmen der gerade erst gestarteten Tarifrunde. Der Ausstand dürfte auch deshalb nicht so heftig ausfallen, weil die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Dienstag nicht mitmacht. Viele Erzieher sind statt Verdi- GEW-Mitglied und würden somit kein Streikgeld erhalten.

Sollten sich die Tarifparteien nicht bald einigen, drohen in den kommenden Wochen jedenfalls noch massivere Streikmaßnahmen in den Berliner Kitas.