Kleingarten: Wie der Traum von der eigenen Parzelle zum Albtraum wurde

Es war vor fünf Jahren, als ich den Garten zum ersten Mal sah. Ich wollte eigentlich gar kein Grundstück in Brandenburg. Schon gar keinen Schrebergarten in einer Kolonie, mit Nachbarn, die einen darauf aufmerksam machen, dass die Hecke nachgeschnitten werden müsse. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, ich habe mein Erwachsenenleben damit verbracht, von dort wegzukommen, das Provinzielle abzulegen. Ein Kleingarten schien mir eng und piefig.

Aber es hatte sich viel verändert. Kleingärtnern spießig zu finden, war altmodisch geworden, etwas, was man in den Siebzigerjahren gedacht hatte, als auch Heiraten als spießig galt. Viele Freunde kauften sich Grundstücke in Brandenburg und posteten auf Facebook Bilder von selbst gezogenen Möhren, Tomaten und Kartoffeln. Bekannte DJs und Künstler hielten seltene Schweinerassen, schwärmten von der Freiheit und Einfachheit des Lebens auf dem Land. Die Provinz war cool geworden, Unkrautjäten das neue Yoga.

Mein Vater hatte mir erzählt, dass eine Bekannte ihr Pachtgrundstück abgeben wolle. „Wäre das nicht was für dich?“, fragte er. Er meinte es gut, er machte sich Sorgen, dass ich in meiner dunklen Berliner Hinterhofwohnung nicht genug Sonne bekäme. Das Grundstück lag am Rand einer kleinen Stadt am See, zu der man eine Stunde Richtung Süden fuhr. Zum See waren es vom Grundstück fünf Minuten, hieß es. Ich solle es mir wenigstens mal ansehen, sagte mein Vater. Er würde auch mitkommen. Wir vereinbarten einen Termin.

Ein Haus mitten im Wald

Ich mochte den Ort, weil er nicht in diese stille, reizlose Gegend passte. Die kleine Stadt war angeberisch, schamlos, fast lächerlich. An der eleganten Seepromenade reihten sich die alten Villen, in den Einfahrten standen italienische Rennwagen, im Hafen lagen protzige Jachten. Es gab einen Golfplatz. Man hörte öfter Russisch, ein russischer Dichter hatte hier vor hundert Jahren ein Haus, viele andere Künstler verbrachten ihre Sommerfrische in der kleinen Stadt.

Die Kleingartenanlage befand sich mitten im Wald weitab von der Seepromenade, als müsste sie sich verstecken, weil sie nicht zu der kleinen, mondänen Stadt passte. Sechzig Gärten lagen hinter den Kiefern. Ich spazierte an den gestutzten Hecken vorbei, die genau die richtige Höhe hatten, um die perfekten Salatreihen zur Schau zu stellen. Auf jedem Grundstück stand eine identische Laube aus Fertigbauteilen und mit Flachdach. Einige Besitzer hatten ihre Laube rosa oder gelb angestrichen. In manchen Gärten sah ich Gartenzwerge, in anderen flatterte eine schwarz-rot-goldene Fahne. Ansonsten sah alles so aus, wie es wohl auch vor dreißig Jahren ausgesehen hatte. Die Kleingartenanlage hatte sich gegen Veränderungen offenbar gewehrt.

Draußen war die Welt kompliziert, fremd, unübersichtlich, hier war jedes Beet akkurat mit Rasenkantensteinen eingefasst. Es war ein Wochentag im Juli, und in den Gärten arbeiteten Menschen, die scheinbar nicht zur Arbeit mussten. Mürrische Männer in Dreiviertelhosen mähten Rasen, und unzufrieden aussehende Frauen mit kurzen dunkelroten Haaren krochen auf allen vieren in der Erde herum, ich fühlte mich sofort heimisch. Wenn die Leute miteinander redeten, sprachen sie den Dialekt, den auch meine Familie spricht. Ich dachte an die Seepromenade, und aus den beiden Orten ergab sich eine Spannung, die mich in den Bann zog.