Klima-Volksentscheid in Berlin: Was kommt da auf unsere Stadt zu?
Beim ersten deutschen Plebiszit zum Klima können Bürger den neuen Senat unter Druck setzen. Die Auswirkungen wären vielerorts zu spüren – auch am Flughafen BER.

Darf ich mit meinem Verbrenner-Auto auch nach 2030 noch durch Berlin fahren und mein Haus mit Öl heizen? Werden am BER weiterhin Flugzeuge starten, die mit herkömmlichem Kerosin angetrieben werden? Das sind Fragen, die wahrscheinlich mit Nein zu beantworten sind, wenn die Ziele der nächsten Volksabstimmung Wirklichkeit werden. Am 26. März können die Berlinerinnen und Berliner über ein Gesetz entscheiden, nach dem ihre Stadt bereits 2030 klimaneutral werden soll. „Wir sind zuversichtlich, dass wir bei dem Volksentscheid die nötige Zustimmung bekommen“, sagte Michaela Zimmermann vom Bündnis Klimaneustart Berlin am Dienstag. Die Initiatoren warben für ihr Projekt, das den künftigen Senat unter Druck setzen könnte.
„Die heiße Phase hat begonnen“, sagte Rabea Koss, die Sprecherin des Bündnisses. „Der Politik Ziele setzen“, „Berlin will Klima“ – vielerorts in der Stadt weisen Plakate auf das erste deutsche Klima-Plebiszit hin. Der Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ findet in einer Zeit statt, in der sich die Diskussion über Klima, Energie und Mobilität spürbar aufgeheizt hat. Auch in Berlin ist die Erderhitzung nicht für jeden ein Thema.
Wenn sich Menschen auf Fahrbahnen kleben, um für ein Umsteuern zu demonstrieren, werden immer wieder Kraftfahrer gewalttätig. Als im Januar ein gerade mal 500 Meter langer Abschnitt der Friedrichstraße für Autos gesperrt und auf ganzer Breite für Fußgänger geöffnet wurde, war der Aufschrei groß. Bei der Wiederholungswahl am 12. Februar bekam die CDU, die sich als Schutzherrin der Berliner Autofahrer profiliert hatte, mehr als 28 Prozent der Stimmen. Sie ist nun die stärkste Partei in dieser Stadt.
Demonstration am 25. März mit Luisa Neubauer vorm Brandenburger Tor
„Die CDU hat gewonnen, richtig“, sagte Koss am Dienstag. „Aber das war vor allem eine Protestreaktion. Die Vermutung, dass das Ergebnis mit Autos zu tun hat, sei dahingestellt.“ Ragnhild Sørensen von Changing Cities warnte davor, „Fake News und Märchen“ auf den Leim zu gehen. Nur ein Drittel der Berliner sei per Auto unterwegs, zwei Drittel bewegten sich klimafreundlich. „Berlin ist schon jetzt fortschrittlich.“
„Die Menschen sind bereit für den Klimaschutz“, bilanzierte Rabea Koss. Sie wollen, dass Berlin zukunftsfähig wird und lebenswert bleibt, hieß es. Beim Volksbegehren im vergangenen Herbst kamen in kurzer Zeit mehr als die geforderten rund 170.000 gültigen Stimmen zusammen. „Beim Volksentscheid am 26. März brauchen wir rund 613.000 Ja-Stimmen“, so die Sprecherin. Auch das sei machbar.
Jetzt komme es darauf an, die Menschen zu mobilisieren, tatsächlich abzustimmen – gern auch per Brief. Das Bündnis, das nach eigenen Angaben von Spenden und Stiftungen finanziert wird, lädt für den 25. März zu einer Versammlung am Brandenburger Tor ein. Gäste sind die Wissenschaftlerin Maja Göpel und Luisa Neubauer von Fridays for Future, sie gehört zu den 50 Mitgliedern des Bündnisses. Auch Parteien wie die Klimaliste, Volt und die Tierschutzpartei sowie Unternehmen unterstützen das Plebiszit.
Schon in zwei Jahren soll der Ausstoß von Kohlendioxid deutlich sinken
Worum geht in der geplanten Gesetzesnovellierung? Sie soll den Senat dazu verpflichten, dass Berlin bereits in sieben Jahren, im Jahr 2030, klimaneutral wird. 15 Jahre früher, als das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz derzeit vorsieht, sollen in dieser Stadt so gut wie keine klimaschädlichen Gase mehr ausgestoßen werden.
Originalton: „Im Land Berlin ist die Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2025 um mindestens 70 Prozent und bis zum Jahr 2030 um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu der Gesamtsumme der Kohlendioxidemissionen des Jahres 1990 zu verringern. Dies gilt für alle sonstigen Treibhausgasemissionen entsprechend.“
Damit Berlin das ehrgeizige Ziel auch wirklich erreicht, sollen weitere Bestimmungen verschärft werden. So ist anstelle von Klimaschutzzielen, die erreicht werden sollen, von Klimaschutzverpflichtungen, die zu erfüllen sind, die Rede. Damit das novellierte Gesetz nicht zahnlos bleibt, soll es „juristische Wege“ geben, damit es auch tatsächlich befolgt wird, erklärte Michaela Zimmermann. So sollen neue Landesgesetze nur noch dann in Kraft treten, wenn eine Prüfung ergibt, dass sie den Anforderungen gerecht werden.
„Das Problem ist der Privatbesitz am Auto“
Die Initiatoren wissen, dass immer die gleiche Frage kommt: Klimaneutralität – was heißt das konkret für mich? Die Antwort bleibt bewusst unkonkret. „Das Gesetz gibt die Richtung und die Zielzahlen vor“, sagte Rabea Koss. Maßnahmen, die daraus folgen, werden nicht genannt. Sie sollen „in engem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern“ umgesetzt werden. Ein „Klimabürger:innenrat“ könnte ein geeignetes Gremium sein.

Immerhin wurden am Dienstag einige Handlungsfelder skizziert. So wies Ragnhild Sørensen darauf hin, dass nach Erkenntnissen des Umweltbundesamts die Motorisierungsrate in Berlin mehr als halbiert werden müsste – von knapp 340 auf rund 150 Pkw pro tausend Einwohner. „Es geht nicht darum, den Menschen die Autos wegzunehmen. Das Problem ist der Privatbesitz am Auto.“ Er führe dazu, dass Fahrzeuge im Schnitt 96 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen. Der Verkehr müsse effizienter, der öffentliche Verkehr massiv ausgebaut werden. Die Zahl der Kiezblocks, die Durchgangsverkehr aus Wohnvierteln heraushalten, müsse auf 180 steigen.
Der Luftverkehr auf dem Flughafen Berlin Brandenburg, kurz BER, geht in die Berechnungen ein. Sind dort noch Starts von Flugzeugen mit herkömmlicher Technik möglich? Es gehe nicht um Verbote, sondern um die klimafreundliche Umgestaltung des Flugverkehrs, entgegnete Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group. Auf Kurzstrecken ließe sich der Luftverkehr auf elektrische Antriebe umstellen. In Afrika und Asien könnten Ölpflanzen angebaut werden, aus denen sich Biokerosin gewinnen ließe.
Arnold Drewer vom Institut für preisoptimierte energetische Gebäudemodernisierung forderte mehr Anstrengungen, Häuser zu dämmen. Mit Investitionen von 3,8 Milliarden Euro ließen sich in Berlin jährlich 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen, rechnete er vor. Ingo Stuckmann vom Zero Emission Thinktank verwies auf die USA, in denen mit Subventionen und Steuererleichterungen der Klimaschutz vorangetrieben wird. Ein klimaneutrales Berlin könne weltweit als Vorbild und Leuchtturmprojekt dienen.
In Brandenburg sollen neue Solar- und Windfarmen für Berlin entstehen
Es sei „zu hundert Prozent machbar“, Berlin in wenigen Jahren vollständig auf die erneuerbaren Energien Sonne und Wind umzustellen, sagte Hans-Josef Fell. Damit der Strombedarf kostengünstig aus regionaler Herstellung gedeckt werden kann, müsse Berlin mit Brandenburg kooperieren. Im Nachbar-Bundesland gebe es den Platz, der für die zusätzlichen Solar- und Windkraftanlagen benötigt wird. In zehn Jahren wären 112 Milliarden Euro zu investieren. „Es ist machbar, wenn der politische Wille artikuliert wird – und die Bürger beim Volksentscheid ebenfalls diesen Willen artikulieren“, so Fell.
„Die Technik ist da, die Lösungen sind da, das Geld ist da“, sagte Lu Yen Roloff von Ansvar 2030, einer Organisation, die den Klimaschutz vorantreiben will. „Wir haben ein Umsetzungsproblem.“ Doch wo sind die Politiker und Verwaltungsleute in Berlin, die dieses Problem anpacken und die verschärften Klimaschutzverpflichtungen durchsetzen würden? Auch wenn Bettina Jarasch, Grünen-Politikerin und Klimaschutzsenatorin, beim Volksentscheid mit Ja stimmen will: Bei den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien sehen die Organisatoren des Plebiszits keine Unterstützer. Dass CDU und Grüne über eine mögliche Koalition sprechen, wollte Klimaneustart Berlin nicht kommentieren.
Unternehmensverbände halten das angestrebte Ziel für unerreichbar
Ragnhild Sørensen hat bereits erfahren, wie es ist, einen Erfolg zu erringen – doch bei der Umsetzung hapert es. Sie war Mitglied der Initiative Volksentscheid Fahrrad, die bereits für den Antrag auf ein Volksbegehren mehr als fünfmal so viele Stimmen sammelte als nötig waren. 2018 wurden die ersten Teile des Mobilitätsgesetzes verabschiedet, das deutliche Verbesserungen der Radinfrastruktur vorsieht. Doch trotz verstärkter Bemühungen in der Verwaltung hat bisher nur ein kleiner Teil des Berliner Hauptverkehrsstraßennetzes geschützte Radfahrstreifen bekommen.
Was also bringt der Volksentscheid? Die Sprecherin von Changing Cities antwortete: „Wir haben keine andere Möglichkeit, als Veränderungen zunächst auf dem Papier herbeizuführen und dann an einer Diskursverschiebung zu arbeiten“ – damit der Klimaschutz immer stärker die Diskussion bestimmt. Sørensen rief dazu auf, den Diskussionsstil zu ändern. „Warum setzen wir uns nicht an einen Tisch, um darüber zu sprechen, was möglich ist – anstatt immer nur zu sagen: Es geht nicht?“
Die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien sind skeptisch, ob sich das Ziel Klimaneutralität 2030 erreichen lässt. Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), schloss sich der Einschätzung an. „Den Berlinerinnen und Berlinern vorzugaukeln, die Hauptstadt könne bis 2030 klimaneutral werden, ist unredlich. Das Ziel ist schlicht nicht erreichbar“, so Amsinck in einer Mitteilung. „Wer mit einem Volksentscheid bei den Wählerinnen und Wählern andere Erwartungen schürt, riskiert einen weiteren Vertrauensverlust in unser demokratisches System.“
Berlins Primärenergie stamme heute zu über 90 Prozent aus fossilen Quellen. Eine Umstellung auf grüne Energie in sieben Jahren sei unmöglich, so der UVB-Chef. „Allein die energetische Sanierung aller Berliner Immobilien würde 100 Milliarden Euro kosten. Hinzu kämen die klimaneutrale Umrüstung von Wärmeversorgung und Stromerzeugung, die Dekarbonisierung der Industrie und die vollständige Umstellung des Verkehrs auf Elektromobilität. Grob geschätzt geht es um Investitionen von mehreren Hundert Milliarden Euro, von den fehlenden Fachkräften ganz zu schweigen. Keine vergleichbare Großstadt in Europa hält die Klimaneutralität bis 2030 für machbar.“