Knaack, Franz, Duncker: Wie zu DDR-Zeiten in Ost-Berliner gefeiert wurde
Die Erinnerung an eine Ost-Berliner Disco-Nacht fällt Johannes Heretsch nicht schwer, schließlich hat der DJ etliche solcher Nächte erlebt. Damals, in den 80er-Jahren in Berlin, Hauptstadt der DDR. Heretsch war Anfang 20 und staatlich anerkannter Schallplattenunterhalter. So hieß der lukrative Job mit zuvor strenger Prüfung offiziell.
DJ klang den Kulturverantwortlichen in der DDR zu westlich. Trotzdem sagten alle DJ.
Ab 1985 war Heretsch im Nachtleben von Mitte und Prenzlauer Berg unterwegs, in den wichtigsten Clubs der Hauptstadt stand er als DJ Johannes am Pult: Franz, Knaack, Dunckerclub, Wabe, Haus der Jungen Talente, Atelier 89, Sophienclub und Jojo – einige davon gibt es bis heute. Große Unterschiede gab es damals nicht. „Es war laut, es war eng und immer waren extrem viele Leute da“, sagt Heretsch. „Die Luft war schlecht, der ganze Raum verqualmt, daran änderte auch ein rostiger Ventilator nichts.“
Schallplatten spielte Heretsch allerdings nicht ab, sie ohne Auto durch die Stadt zu transportieren, wäre zu schwierig gewesen. Heretsch benutzte zwei tschechische Tonbandgeräte, Marke Tesla, vierspurig, Mono. Er fuhr mit seinem Fahrrad durch Berlin, die jeweils 18 Kilogramm schweren Geräte steckten in Radtaschen, im Anglerrucksack die Bänder. Darauf hatte er mehrere hundert Titel: Rock, Funk und Reggae aus den 70er- und 80er- Jahren. Heretsch mochte Genesis, Bob Marley, Peter Tosh, Police, Earth Wind & Fire.
Zettel mit Musikwünschen
Der DJ war der Mann des Abends, sein Pult stand im Mittelpunkt, alle schauten Heretsch an. Und dicht vor ihm tanzten die jungen Leute. Sie reichten ihm Zettel mit ihren Wünschen oder brüllten ihm Bandnamen und Titel ins Ohr.
Oft lag auf seinem DJ-Pult ein Zettel mit der Telefonnummer eines anderen Clubleiters. Heretsch sollte ihn anrufen, um die Konditionen für einen der nächsten Abende als DJ zu besprechen. Das ging auch ohne Handy. Zwischen 50 bis 100 Mark verdiente Heretsch in einer Nacht, er bekam Freigetränke und Freikarten für Freunde.
1986 absolvierte der gebürtige Sachse seine staatliche Prüfung als Unterhalter, neben der Anmoderation von Titeln gehörten auch organisatorische Ansagen dazu, etwa, dass die Damentoilette verstopft sei, und Frauen doch bitte die Herrentoilette benutzen mögen. Auch auf politische Jugendveranstaltungen sollte ein DJ hinweisen. „Wir sollten das möglichst locker rüberbringen.“
Verlangt war DDR-Musik
Und natürlich verlangten die FDJ- und SED-Funktionäre, dass in den Clubs überwiegend Musik von DDR-Bands und von Gruppen aus sozialistischen Bruderstaaten gespielt wurde, also etwa von den Roten Gitarren aus Polen oder Omega aus Ungarn. 60 zu 40 lautete die politisch korrekte Mischung: 60 Prozent Ost-Musik, 40 Prozent aus dem Westen. Vor jeder Veranstaltung musste Heretsch dafür unterschreiben.
„Doch meines Wissens hat sich niemand an die Quote gehalten. Ost-Musik war verpönt, sie galt als konform und langweilig.“ Es gab Ausnahmen: Pankows Song „Langeweile“ etwa, Citys „Am Fenster“ oder was von Feeling B.
Die Besucher wünschten sich Songs, die auch im Westen gerade aktuell waren. Heretsch schnitt sie aus den Hitparaden von Rias, SFB und AFN mit, er nahm sie auf in den mitschnittfreundlichen Sendungen des DDR-Rundfunks oder kaufte aktuelle Alben in Plattenläden in Hinterhöfen von Budapest.
Lange Warteschlangen
In Ost-Berlin begannen Discos schon gegen 21 Uhr, und sie endeten meist zwischen 1 und 2 Uhr nachts. Schon einige Stunden vor Öffnung standen die ersten Gäste an. „Es gab immer lange Warteschlangen“, sagt Heretsch. Die Musik sei damals lauter gewesen. Und wenn sich, man kennt das ja, Nachbarn wegen wummernder Bässe und nächtlicher Ruhestörung beschwerten, interpretierten herbei gerufene Polizisten die Situation meist zugunsten der Clubs. „Es gab keine Schikane“, sagt Heretsch.
DJs wie er spielten politisch unverfängliche Musik. „Wir wollten keinen Ärger.“
Hätte er etwa den oft gewünschten „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg gespielt, hätte der Clubleiter wegen Propaganda gegen die DDR sicher Ärger bekommen. Nach einer Flugblattaktion zur UN-Menschenrechts-Charta in einem Club hat Heretsch das 1988 selbst erlebt.
Und prüfte doch mal ein Kontrolleur die Einhaltung der Quote, hatte Heretsch immer ein Tonband mit Ost-Musik griffbereit. Einige Male musste er es schnell einlegen.