„Ich war ein verwöhntes Muttersöhnchen“: Fast sechs Jahre Haft für Kokain-Dealer
Student aus Berlin verdient 5000 Euro brutto in seinem Job – aber das reicht nicht für die Rolex. Er handelt mit illegalen Drogen und muss jetzt ins Gefängnis.

Mit diesem harten Urteil hat Koray S. wohl nicht gerechnet. Er starrt ungläubig vor sich auf den Tisch. Und auch seine Mutter, die im Gerichtssaal unter den Zuschauern sitzt, stöhnt hörbar auf, als der Vorsitzende Richter Wolfgang Dobrikat an diesem Freitagnachmittag den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Der 30-Jährige habe sich in 25 Fällen schuldig gemacht, sagt Dobrikat.
Koray S., der seit sechs Monaten in Untersuchungshaft sitzt, hat nach Ansicht der 27. Strafkammer des Berliner Landgerichts im Jahr 2020 in nur dreieinhalb Monaten 30 Kilogramm Marihuana und Haschisch verkauft. Zudem sei er in derselben Zeit am Vertrieb von 336 Kilogramm Drogen beteiligt gewesen, erklärt Dobrikat. Zwar sei diese hohe Menge nicht geliefert worden. Aber Koray S. habe darüber mit seinen Kunden ernsthaft gechattet. Zudem hat sich der Angeklagt auch wegen des Handels mit Kokain schuldig gemacht.
Der Student der Betriebswirtschaftslehre, der zudem seit Sommer vergangenen Jahres bis zu seiner Inhaftierung in einem Berliner Steuerbüro arbeitete, hatte für seine kriminellen Geschäfte Enchrochat benutzt, einen Kryptomessengerdienst. „Sie sind sehr konspirativ vorgegangen und im sicheren Vertrauen, dass Enchrochat-Handys nicht zu knacken sind“, sagt der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung. Das sei ein Irrtum gewesen. Das Schicksal, auf der Anklagebank zu landen, teile Koray S. nun mit einer ganzen Reihe anderer Leute.
Über Jahre hatten viele Kriminelle ihre illegalen Geschäfte über die Krypo-Software Encrochat abgewickelt, die lange Zeit den Ruf hatte, nicht geknackt werden zu können. Im Frühjahr 2020 war es französischen und niederländischen Ermittlern jedoch gelungen, das von 60.000 Nutzern verwendete Netzwerk zu hacken.
20 Millionen Nachrichten lasen die Fahnder mit. Ein Dutzend europäischer Länder erhielt diese Daten. Die für Deutschland relevanten Nachrichten konnte das Bundeskriminalamt offenbar zwischen April und Ende Juni 2020 transferieren. Sie betrafen 4500 Handys. Auch das Mobiltelefon von Koray S.
Der 30-Jährige gab am Ende der Beweisaufnahme noch eine persönlichen Erklärung ab. Unter Tränen sagte er, er sei momentan seelisch am Ende, fühle sich am Abgrund seines Lebens. Er habe Fehler gemacht, sitze zu Recht auf der Anklagebank. Er könne nicht begreifen, wie dumm er gewesen sei. Er sei „leider an der falschen Straße abgebogen“, habe das Studium schleifen lassen.
Koray S. erzählte von seiner großen Angst vor dem geschlossenen Vollzug und auch vor der Geldstrafe, „die mir mein komplettes Leben zerstören kann“. Er sehne sich nach einem „normalen Leben“. Deswegen habe er auch Sachen zugegeben, die nicht angeklagt gewesen seien. Kein Risiko der Welt sei es Wert, seine Freiheit aufs Spiel zu setzen, sagte er. Er schäme sich, möchte seinen Eltern nie wieder Kummer machen.
Koray S. kommt aus gutem Hause, wie es gemeinhin heißt. Er wuchs in Zehlendorf auf, besuchte eine Privatschule, studierte BWL, verbrachte ein Semester in den USA. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, wovon er während des Studiums – und vor den Straftaten – eigentlich gelebt habe, erwiderte Koray S.: „Wenn Sie so wollen, war ich ein Muttersöhnchen.“ Die Mutter habe ihm auch eine Wohnung finanziert. „Ich muss sagen, dass ich von meinen Eltern verwöhnt worden bin.“ Die Mutter des Angeklagten saß jeden Verhandlungstag im Gerichtssaal.
Der Angeklagte erzählte auch, dass er nur noch ein paar wenige Prüfungen bis zum Bachelor gehabt hätte. Daher nahm er in Berlin einen Job in einem Lohnsteuerbüro an. Er war dort beliebt und verdiente nach eigenen Angaben 5000 Euro Brutto. Die Antwort darauf, warum er dann kiloweise mit Drogen gehandelt habe, blieb er schuldig.
Er erklärte lediglich, er habe cool sein wollen. Von dem Drogengeld – der Richter geht von einem Gewinn in Höhe von 127.700 Euro aus – kaufte sich Koray S. Luxusgüter. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden eine Rolex-Uhr, vier hochwertige Taschen, eine Winterjacke für 1000 Euro und mehr als 5000 Euro Bargeld sichergestellt. Die Sachen wurden eingezogen, sodass Koray S. nun laut Urteil noch für 104.540 Euro aufkommen muss.
Mit seinem Urteil bleibt das Gericht unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von sieben Jahren und acht Monaten Haft. Der Anwalt von Koray S. hatte keinen konkreten Antrag gestellt, aber gehofft, die Kammer würde unter vier Jahren Haft bleiben.
Am Ende seiner Urteilsbegründung erklärt Richter Dobrikat, Koray S. habe gute Chancen, seine Strafe im offenen Vollzug abzusitzen. Immerhin könne er einen Arbeitsplatz nachweisen, zu dem er tagsüber gehen könne. Der Chef des Steuerbüros hatte erklärt, er sei bereit, den jungen Mann weiter zu beschäftigen.