Kolumne 60 Tage Berlin: In Berlin werden Radfahrer respektiert
Eines war schon zu Beginn meines Berlin-Aufenthaltes klar: Ich würde die Stadt nicht verlassen, ohne mit dem Fahrrad durch ihre Straßen gefahren zu sein. Nachdem ich so viele Leute damit gesehen habe - egal ob bei Regen, Sonne oder Kälte - wollte ich unbedingt auch diese Erfahrung machen.
Also habe ich versucht, mir bei Freunden ein Fahrrad zu leihen. Es ging nicht – alle benutzen ihre eigenen Räder jeden Tag. Ein eigenes zu kaufen, lohnt sich aber für mich nicht. Und es zu mieten, fand ich zu teuer. Glücklicherweise bot sich noch eine andere, sehr schöne Lösung, als ich erfuhr, dass es in Berlin geführte Radtouren gibt. So würde ich einerseits mehr über die Geschichte Berlins erfahren und gleichzeitig von erfahrenen Radfahrern lernen, wie man in der Stadt sicher fährt.
Ich habe mich gründlich auf die Tour vorbereitet. Am Vorabend bin ich sehr früh ins Bett gegangen und am Morgen versuchte ich, mich nicht ganz so brasilianisch wie sonst zu verhalten. Anders gesagt: Ich versuchte, pünktlich zu sein. Also stand ich früh auf und fuhr mit der Bahn zum Treffpunkt - weil ich ihn nicht gleich finden konnte, kam ich aber trotzdem erst um kurz nach zehn an.
Die Gruppe war schon weg und ich sollte ganz schnell ein Fahrrad auswählen. Ich nahm das erstbeste und fuhr schnell den anderen Radfahrern hinterher. Als ich sie erreicht hatte, rief ich: "Hallo, Entschuldigung für die Verspätung. Ich heiße Bruna, so wie der Bär, aber mit ‘A’ am Ende, und ich komme aus Brasilien." Alle lachten.
Bei der Fahrradtour stellte sich mal wieder heraus, wie leichtsinnig ich bin. Weil ich mich beeilen musste, hatte ich vergessen, die Handschuhe mitzunehmen, die alle Tour-Teilnehmer bekommen. Meine Hände wurden blau, denn es war unglaublich kalt. Meine Jacke war viel zu dünn, die Schuhe noch viel mehr und eine Mütze hatte ich auch nicht dabei. Ich war sicherlich die Unvorbereitetste in der Gruppe.
Alle Radfahrer sollten außerdem vor dem Hintermann mit der orangefarbenen Weste bleiben – aber auch das habe ich nicht geschafft, weil ich nicht so schnell fahren konnte, wie die anderen. Die Situation war nicht so leicht für eine Brasilianerin, die kein Talent zum Fahrradfahren hat.
Berlin war an diesem Tag in Nebel gehüllt. Das Thermometer zeigte gerade einmal zehn Grad an - für Berlin im März ist das vielleicht genug, aber für mich als Südländerin wurde es zum echten Härtetest. Mein Gehirn war - wie auch der Rest meines Körpers - eingefroren. Und deshalb konnte ich nur sehr wenig über die Geschichte der Berliner Mauer verstehen, um die es bei dieser Radtour von "Berlin On Bike" eigentlich ging.
Trotz der Umstände verstand ich, was Berlin so einladend für Radfahrer macht. Die Stadt ist fast überall flach. Zusätzlich gibt es Radwege, die fast alle Regionen der Stadt verbinden. Und vor allem gibt es eine Kultur der Achtung im Straßenverkehr: Die Autofahrer respektieren die Radfahrer – wahrscheinlich, weil sie selbst auch öfters mit dem Fahrrad unterwegs sind.
In der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre, wo ich lebe, ist das ganz anders. Einmal im Monat gibt es eine große Demonstration, bei der für die Nutzung von Fahrrädern als Verkehrsmittel protestiert wird. Denn die Möglichkeit, täglich auf zwei Rädern zu fahren, ist hier immer noch weit entfernt. Es gibt nur 20 Kilometer Radwege - und diese sind nicht miteinander verbunden. Aber vor allem werden Radfahrer als Feinde der Autofahrer betrachtet. Weil es auf der Straße nicht genug Platz für beide gibt.
Einige Freunde von mir sind von Autos angefahren worden, als sie mit dem Rad unterwegs waren. Sie hatten geglaubt, das Fahrrad sei eine gute Alternative, um sich in der Stadt zu bewegen. Auch als Journalistin musste ich schon oft über Familien berichten, die ihre Kinder bei Verkehrsunfällen verloren hatten. Deshalb steige ich selbst in Brasilien nur sehr ungern auf einen Drahtesel.
Beim Radfahren in Berlin bekam ich aber wieder Hoffnung. Ich wünsche mir, dass auch Brasilien den Radfahrern so viel Sicherheit bietet. Es wäre doch schön, wenn Radfahren auch in meiner Heimat mehr als ein seltenes Hobby wäre. Und wenn das berühmte Motto Brasiliens "Mehr Liebe, weniger Motor" auch in der Realität umgesetzt würde.
Nur wie? Die einfachste Lektion habe ich schon gelernt: In der Kälte zu radeln, dann aber mit Handschuhen, dicker Jacke und Mütze, beziehungsweise einem Helm auf dem Kopf. Das geht auch im brasilianischen Winter.