Englisch ist das neue Französisch: Wie Berlin von anderen Sprachen geprägt wird

Früher machte man „allet aus de Lameng“ oder „pö a pö“. Heute gehts ums „Einchecken“, „Recyceln“ oder „Downloaden“. Das Prinzip ist das gleiche geblieben.

Auch der Gendarmenmarkt deutet mit seinem Namen auf das Erbe der Hugenotten in Berlin.
Auch der Gendarmenmarkt deutet mit seinem Namen auf das Erbe der Hugenotten in Berlin.H. Tschanz-Hofmann/imago

Was für Berlin heute das Englische ist, war früher das Französische. Ich habe ja neulich geschrieben, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts deutschtümelnde Sprachreformer bei Post und Bahn bemüht haben, alle französischen Begriffe aus dem Alltag zu tilgen, also etwa  „Couvert“,  „Perron“, „Billet“ und  „Coupé“.

Doch noch 1937 – so schrieb mir ein Leser – hätten seine Berliner Großtanten ganz bewusst und vornehm die verpönte „welsche Sprache“ genutzt und so geredet: „Neulich ging ich auf dem Trottoir der Chaussee zur Station, dort auf den Perron, suchte meinen Waggon, setzte mich ins Coupé, und da kam der Conducteur und fragte nach dem Billet.“ Der Berliner sagte übrigens „Trittoar“ oder sogar „Trittewar“.

Bis heute wird das Berlinische vom Französischen geprägt, das im 17. und 18. Jahrhundert hier einzog. Wir machen Dinge „imma pö a pö“ oder „aus de Lameng“, gehen mal „ums Karree“, essen „Buletten“, machen „Fisimatenten“, sitzen „in de Bredullje“, sagen „tschö“ (von „adieu“). Doch manches ist auch wieder verschwunden.

Die „janze Bagasche“ gab „ihre Kledasche in de Jadrobe“ ab

Einst gehörte es „zum Bongtong“ (guten Ton), „in de Belletasche“ zu wohnen. Wenn „Madamken“ die Nase voll hatte, hatte sie „de Neese pleng“. Die „janze Bagasche“ gab „ihre Kledasche in de Jadrobe“ ab. Der Spruch „chacun à son goût“ (jeder hat seinen Geschmack) wurde verkorkst zu „Jeder nach seinem Schaköng“. Und es entstanden unzählige französisch klingende Eigenschöpfungen: „schauderös“, „schikanös“, „sachtemang“, „spendabel“, „Schmierage“, „Kneipier“.

Der Einfluss kam von hugenottischen Einwanderern, französischen Besatzern, Adligen, dem Militär und anderen. Französisch war in Mode wie heute das Englische. Die preußischen Könige „kujonierten“, „verunjenierten“,  „verprobiantierten“. Und wenn ein König etwas verkünden musste, dann klang das so: Hiermit werde einer Dame „concediret, ihre hierein Specifizierte Limonade und andere liqueurs, zur refraichirung der daselbst promenierenden Personen öffentlich feil zu haben“. Wow, was für ein Satzgebilde für eine simple königliche Schankgenehmigung.

Sprängen wir allerdings heute wieder zurück ins Jahr 1727, dann würde der König das Pesthaus vor den Toren der Stadt wohl nicht „Charité“ (Barmherzigkeit) nennen, sondern „Berlin Friedrich Wilhelm Center for Plague and Other Diseases“ – natürlich konsequent ohne Bindestriche. Auch dies ist eine Mode.

Fremde Wörter werden zu etwas ganz Vertrautem

Wie damals gibt es auch heute diese eine Hauptsprache – neben anderen –, aus der man lauter Bruchstücke in den eigenen Sprachgebrauch einführt. Ob es richtig ist oder nicht. Vieles wird auch einfach eingedeutscht. Irgendwann wurde niemand mehr stutzig, wenn man als Ur-Berliner zum Beispiel sagte: „Jenier dir mal nich.“ – „Du sollst dir nich echauffieren.“ – „Möblier endlich mal deine Bude!“ – „Du kannst eenen aber ooch deprimieren.“ – „Damit musste dir arrangieren!“ In solchen Sätzen sah man nicht mehr die einstigen Fremdworte. Sie hatten sich in vertraute Verben verwandelt.

Es war in den 1970er-Jahren, als ich im Radio zum ersten Mal die Worte  „antörnen“ und „ausflippen“ hörte. Das klang ganz neu und fremd. Heute nutzt man ganz selbstverständlich aus dem Englischen übernommene Worte wie „einchecken“, „durchstylen“, „aufpeppen“, „recyceln“, „brainstormen“ und „downloaden“. Der Verwurstungsprozess ist überhaupt nichts Neues. Nur die Sprachen wechseln. Wer weiß, welche es in hundert Jahren sein wird. Vielleicht Chinesisch.