Kolumne Offen gesagt: Das Partyvolk und sein Dreck
Früher war mehr Hundekacke. Überall lagen die Häufchen und Würste, oft mitten auf dem Weg. Links und rechts: Ausrangierte Fernseher, aufgeplatzte Sessel, hier und da ein Müllsack. Der Reuterkiez im Norden Neuköllns war ziemlich heruntergekommen. Außer der Kinski-Bar und dem Türkenmarkt gab es nicht viel, weswegen man dort wohnen oder ausgehen wollte. Was dann geschah, ist bekannt: Das kleine Stück Neukölln zwischen Sonnenallee und Landwehkanal wurde schick.
Nach den Künstlern kamen die Kneipen, mit den Kneipen die Szene und mit der wachsenden Attraktivität neue Bewohner. Und siehe da: Es wurde nicht nur teurer in Neukölln, sondern - ein Aspekt, der beim Gentrifizierungs-Gezeter gerne unterschlagen wird - auch schöner. Die Sperrmüllberge wurden weniger, die Abstände zwischen den Hundehaufen größer. Blumenbeete entstanden am Straßenrand, kleine Lädchen voll mit unnützen schönen Dingen, süße Cafés und Küchen aus aller Welt öffneten ihre Türen und Terrassen. Das bunte Leben zog ein, tags und nachts.
Und dann kam - der Dreck. Neuer Dreck. Gentrifizierungsdreck. Szenedreck. Am Samstag- oder Sonntagmorgen ist es besonders ekelig, keine Straßenecke ohne Essensreste in fettigen Tüten oder Kartons, kein Baum ohne einen Kranz von Zigarettenkippen drum herum, kein Fahrradkorb ohne eine bunte Füllung aus Kaffeebechern, Chipstüten, Flaschen und Servietten. Die Straßenränder sind gesäumt von Müll, ebenso die Blumenbeete, die Hauseingänge. Nur in den Mülleimern ist noch Platz.
Man könnte glauben, dass im Reuterkiez jedes Wochenende Silvester ist. Nur dass den wöchentlichen Kater nicht die Partygänger haben, sondern die Kiezbewohner, Ladeninhaber, Fahrradbesitzer. Die Karawane ist weitergezogen.
Viel wird derzeit diskutiert, ob Berlin noch cool ist. Wo der nächste Trendbezirk entsteht. Und wo es zu schön, also: zu brav, zu bieder, zu familienlastig wird. Zu Punkt eins: Wenn das Dreckaufkommen ein Indiz für die Beliebtheit und Coolness eines Ortes ist, dann muss man sich um "Kreuzkölln" keine Sorgen machen.
Zu Punkt zwei: Der nächste Szenekiez entsteht dort, wo jetzt noch Hundekacke und Sperrmüll liegt, denn Dreck zieht Dreck an. Zu Punkt drei: Die Bedeutung von Familien in Partykiezen wird unterschätzt. Schließlich räumen die wenigstens die gefährlichsten und widerlichsten Hinterlassenschaften weg, allein schon wegen der Kinder.
Also, liebes Nachtvolk, mach' Dir bitte keinen Kopp: Berlin ist cool. Neukölln bleibt hip. Denn das sind Deine Regeln: "Ich will Spaß". "Was kümmert mich das Leben der anderen". Und: "Nach mir die Sintflut". Chapeau!