Kolumne von Historiker Götz Aly: Staatssekretär Andrej Holm, Teil II
Berlin - Wie von mir bereits gesagt, zähle ich die paar Stasimonate des seinerzeit 19-jährigen Andrej Holm zu den lässlichen Sünden. Auch durfte Holm 2005 etwas schwindeln, als er auf dem Fragebogen nach einer Stasi-Vergangenheit nur das Wachregiment Feliks Dzierzynski angab.
Erstens steht in Bewerbungsunterlagen selten die pure Wahrheit; zweitens, so meine ich, hätte man jungen Leuten, die zur Wendezeit unter 25 Jahre alt waren, solche Fragen nicht stellen dürfen, sondern ihnen pauschal alle Chancen einräumen sollen. Das gilt insbesondere für die ehemaligen DDR-Universitäten, die von westdeutschen Beutemachern heimgesucht wurden, darunter viele emsig netzwerkende Trantüten, die dort ihre letzte Karrieregelegenheit witterten und denen der Stasi-Fragebogen höchst gelegen kam, um Ost-Konkurrenten auszuschalten.
Warum Holm trotzdem fehl am Platz ist
Dennoch ist Andrej Holm als Staatssekretär fehl am Platz, und zwar wegen seiner wissenschaftlich-agitatorischen Veröffentlichungen aus den vergangenen zehn Jahren. Die fallen nicht unter die Rubrik Jugendsünde. Darüber ist zu reden, auch wenn sich der Senat, viele Medien, Die Linke und wahrscheinlich Holm selbst lieber in der Stasi-Gespenster-Debatte verkrallen.
Als theoretisierender Kämpfer gegen die sogenannte Gentrifizierung zog Holm in den vergangenen Jahren immer wieder mit diesem Satz durch die Versammlungshallen der Hausbesetzermilieus: „Die in den Protesten aufblitzenden Momente der Aneignung, der Selbstermächtigung und der Solidarität zeigen: Die Stadt von Morgen entsteht nicht auf Reißbrettern und in Lesesälen, sondern liegt auf der Straße.“
Selbstermächtigung
Selbstermächtigung ist ein zentraler Begriff im ansonsten wenig anspruchsvollen Gedankenbaukasten unseres Staatssekretärs. Er suchte bislang das Heil des wohnungspolitischen Fortschritts „auf der Straße“. Nun ist er – aus der Sicht einstiger Kampfgefährten – zum „Sesselfurzer“ im Senat geworden. Warum soll man einem Menschen diese Persönlichkeitsspaltung zumuten? Mehr noch: Der politische Begriff Selbstermächtigung gehört in die Welt des Kampfes, sei es der RAF, des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) oder der Reichsbürger – Selbstermächtigung läuft den Verfahren einer parlamentarisch geordneten Demokratie und rechtsstaatlicher Gewaltenteilung zuwider.
Gewiss sind die meisten Proteste nicht verfassungswidrig. Doch streifte Holm absichtsvoll rechtliche Grenzen, als er nicht nur einmal aufstachelnd befand, Hausbesetzungen seien „nach wie vor zeitgemäß“ und böten eine „Reihe von Vorteilen im Vergleich zu anderen Formen der politischen Intervention“. Eindeutig missachtete er 2014 das Gewaltmonopol des demokratischen Staates mit dem folgenden, wiederholt und anerkennend gemeinten Hinweis: „Zum Beispiel versuchte die (türkische) Jugendantifa Antifascist Gençlik ganz bewusst, Teile der Kreuzberger Jugendgangs gegen die zunehmende rechte Straßengewalt in Berlin zu mobilisieren.“
Ich weiß nicht, ob Holms Bekannte solchen Gangs nachts gerne allein im Görlitzer Park begegnen. Fest steht jedoch, dass ein Mann, der wie Andrej Holm jungtürkische Heimwehren herbeiwünscht und die Keimzellen solcher Kampfbünde als Vorbilder für andere propagiert, für ein herausgehobenes Staatsamt gänzlich ungeeignet ist. (Fortsetzung folgt)