Das neue Oben-Ohne in den Berliner Bädern: Wem nutzt es wirklich?

Die Debatte offenbart ein Dilemma: Medien zeigen zurecht immer weniger nackte Frauen, doch was bewirken nun nackte Brüste im Schwimmbad? Ein Kommentar.

Auch zu diesem Thema zeigen die meisten Medien keine Frauen mit nackten Brüsten.
Auch zu diesem Thema zeigen die meisten Medien keine Frauen mit nackten Brüsten.imago images

Berlin ist eine Stadt der Freiheit. Das wurde nun wieder bewiesen, als verkündet wurde: Frauen dürfen in den öffentlichen Bädern ebenfalls oben ohne baden. Was Männern erlaubt ist, müssen auch Frauen dürfen. Das sorgt weiter für Schlagzeilen in Berlin und bundesweit, aber auch in der Schweiz, in London und anderswo.

Ein Politikum. Ein Aufregerthema. Wieder ein Punkt mehr, bei dem die Frauen nun das gleiche Recht haben wie Männer. So weit ist die Sache eindeutig, so weit ist die Sache einfach. Nun wird es kompliziert.

Denn die Frage ist, was das Ganze bedeutet. Dabei geht es nicht so sehr um die Frage, ob Frauen mehrheitlich oder minderheitlich ihre Brüste in Schwimmbädern zeigen wollen? Es geht auch nicht darum, wie Männer das finden und ob die Spanner-Fraktion mit erwartungsvollen Blicken nickt. Es geht darum, ob das Ganze dem Kampf für mehr Frauenrechte dienlich ist?

Die Befürworter sagen: Die „weiblich gelesene Brust“ soll entsexualisiert werden. Deswegen sollten Frauen auch oben ohne baden dürfen, dies sei ein Akt der Gleichberechtigung, der Befreiung. Frauen werde vom Patriarchat noch immer vorgeschrieben, was schicklich ist oder anständig.

Ein weiterer Punkt der Befürworter: Warum soll eine weiblich aussehende Person, die sich aber als Mann fühlt, die Brüste im Schwimmbad verhüllen? Warum aber muss ein dicker Mann seine schwabbligen Brüste nicht verdecken, selbst wenn die größer sind als die der Frau neben ihm?

Soweit die Theorie, nun zur Praxis; und die zeigt einen verqueren Ist-Zustand. Es ist ungerecht, dass sich ein Mann an einem heißen Hochsommertag mitten in Berlin einfach das Shirt vom Leib reißen und mit nackter Brust über den Alexanderplatz spazieren kann. Daran nimmt kaum jemand Anstoß. Wenn aber eine Frau es ihm gleich täte, würde sie schnell mit der Polizei in Konflikt geraten. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Auch wenn die Polizisten privat vielleicht gar nichts gegen nackte Frauen haben.

Iggy Pop oder Nippel-Gate

Wenn der Altrocker Iggy Pop oder der Sänger der Red Hot Chili Peppers seit Jahrzehnten mit nackter Brust über die Bühne springen, ist das der Öffentlichkeit schlichtweg egal. Wenn aber im US-Fernsehen eine weibliche Brust sekundenschnell zu sehen ist, gibt es endlose Nippel-Gate-Schlagzeilen.

Männerbrüste sorgen meist nicht für gesellschaftliche Aufregung. Die Vermarktung weiblicher Brüste ist hingegen ein uraltes Geschäftsmodell. Mit Sex-Heften wie dem Playboy wurden Milliarden verdient, und angeblich macht die Pornoindustrie in Deutschland im Internet ähnlich viel Umsatz wie die deutschen Autobauer mit ihren Fahrzeugen.

Es gehört auch zur Realität, dass die allermeisten Straftäter Männer sind. Erst Recht bei Sexualstraftaten, bei denen die übergroße Mehrheit der Opfer Frauen sind. Es ist absurd, dass von allen Frauen – als potenzielle Opfer – verlangt wird, dass sie sich züchtig verhüllen sollen, weil einige Männer – als Täter – ihre Triebe nicht im Griff haben wollen.

Außerdem gibt es einen wichtigen Punkt, bei dem der neue Oben-ohne-Kampf mit alten feministischen Erfolgen kollidiert: Seit Jahren wird dafür gekämpft, dass Frauen in der Werbung und in den Medien nicht mehr zu Sexobjekten degradiert werden. Dass sich zum Beispiel für das Reklameplakat eines grauen Sofas nicht mehr eine halbnackte Frau lasziv auf dem Möbelstück räkeln muss. In den Medien zeigt der Kampf wahrnehmbare Erfolge: Selbst aus der Bild-Zeitung sind die Pin-up-Girls vor zehn Jahren verschwunden.

Wie soll nun mit nackten Tatsachen in Berichten über die aktuelle „Gleiche Brust für alle“-Bewegung umgegangen werden? Derzeit lässt sich Lotte Mies, die Berliner Frau, die für das Oben-Ohne in den Bädern kämpft, für Zeitungsberichte und TV-Beiträge am Beckenrand mit nackten Brüsten fotografieren. Sollen die Medien die Bilder benutzen?

Die Berliner Zeitung zeigt bei solchen Berichten auf ihrer Online-Seite keine nackten Frauenbrüste – auch wenn das die Klickzahlen erhöhen würde –, sondern Bikinioberteile am Beckenrand.

Spätestens im Sommer wird sich zeigen, wie der Realitätscheck in den Bädern Berlins ausfallen wird. Dort gibt es nun die ganz große Bandbreite der Möglichkeiten: Da liegen bald barbusige neben vollverhüllten Frauen im Burkini. Beides gilt als Ausdruck gesellschaftlicher Toleranz.

Egal, wie die Debatte laufen wird, eines ist sicher: Auch reaktionäre Männer, die ihren Frauen oder Töchtern vorschreiben, wie die sich in einem Schwimmbad zu verhüllen haben, müssen nicht fürchten, dass über die Art ihrer Badehose eine gesellschaftliche Debatte geführt wird.