Kommentar: Der antisemitische Hass gegen Anetta Kahane

Vor genau 20 Jahren gehörte Anetta Kahane zu den Begründern der Amadeu Antonio Stiftung und blieb bis heute dabei. Weil die Stiftung gegen Rassismus und neonationalistische Ressentiments anarbeitet, wird Frau Kahane seit Jahren zum Ziel des Hasses, der sich immer stärker gegen sie als Jüdin richtet.

Amadeu Antonio, Namensgeber der Stiftung, wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde wegen seiner Hautfarbe zu Tode geprügelt. Er war das dritte Todesopfer rechtsextremer Gewalt nach dem Fall der Mauer. Seither wurden in Deutschland mindestens 190 weitere Menschen aus rassistischen Motiven gezielt ermordet oder zu Tode getreten und geschlagen, manche erstickten in ihren Häusern, weil rechtsnationalistische Verbrecher diese in Brand gesteckt hatten. Die Statistik ist unvollständig, die Dunkelziffer hoch.

Schmähbriefe, -posts, -tweets und Morddrohungen

Jetzt steigerte der AfD-Bundestagsabgeordnete Petre Bystron das Wutgeschrei gegen Frau Kahane. Unter der Überschrift „Merkels Kandidatin für neuen Verfassungsschutzpräsidenten“ verbreitete er eine Fotomontage der bekennenden Jüdin, die so funktioniert: Ihr Kopf ist auf die uniformierten Schultern eines sowjetischen Politkommissars gesetzt, ihr rötliches Haar schrill und bedrohlich ins Löwenhafte überzeichnet, ihre ebenmäßige Nase stark vergrößert und gekrümmt, stechende Augen, fette Lippen, heruntergezogene Mundwinkel – eine widerwärtige antisemitische Karikatur, versendet aus der Mitte der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Mit ebensolcher Propaganda ließ Joseph Goebbels die angebliche „judeo-bolschewistische Weltgefahr“ beschwören. Wer heute derartige Hetze verbreitet, ruft zwar nicht zum Massenmord auf, provoziert jedoch Gewalt gegen einzelne Menschen, die sehr wohl tödlich enden kann. In den vergangenen 20 Jahren hat Anetta Kahane ungezählte Schmähbriefe, -posts, -tweets und Morddrohungen erhalten. Sie steht auf den Listen rechter Terroristen. Das wissen die Präsidenten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter. Sie bagatellisieren die Gefahr. Der AfD-Abgeordnete Bystron steigert sie absichtsvoll.

Der neue deutsche Rechtsradikalismus

In der DDR aufgewachsen, geriet Anetta Kahane 1973, als 19-jährige Studentin, in die Fänge der Stasi. Sie hatte einer Freundin Hilfe zur Flucht in den Westen geleistet und wurde, als diese scheiterte, zur Spitzeltätigkeit erpresst. Ihr Führungsoffizier charakterisierte sie als „unzuverlässig, politisch-ideologisch unausgereift und schwer zu führen“. 1982 löste sich Kahane aus der geheimdienstlichen Umklammerung und von der DDR. Sie verlor ihre Stellung an der HU in Berlin. Es entstand ihre zweite Stasi-Akte: die der ausspionierten Ausreisewilligen. Anetta Kahane hat sich zu all dem sofort nach der Wende bekannt und 2004 die lesenswerte Autobiographie „Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten“

veröffentlicht. Sie berichtet darin auch, wie Micha Brumlik schrieb, unter welch schwierigen Umständen sie in der DDR zu einem neuen, zu einem deutsch-jüdischen Selbstverständnis fand. All das erforderte enormen Mut, ebenso die Arbeit gegen den so lange verharmlosten neuen deutschen Rechtsradikalismus. Angesichts der neuen, auf ihre Person gerichteten antisemitischen Attacken, bedarf Anetta Kahane der öffentlichen Verteidigung. Anerkennung für ihre Leistungen hat sie längst verdient, sehr geehrter Herr Bundespräsident!