Kommentar: Die Aufarbeitung des BER-Desasters muss weitergehen

Wer ergründen will, warum das Projekt BER zum Desaster wurde, bekommt  in dieser Woche reichlich Lesestoff. 375 Seiten umfasst der Abschlussbericht des Untersuchungsausschuss BER, der am Mittwoch als Drucksache des Abgeordnetenhauses veröffentlicht wird.   Über mehr als dreieinhalb Jahre haben die Abgeordneten Zeugen befragt, Akten gewälzt,  Analysen debattiert. Der offizielle Bericht ist Ergebnis und  Schlusspunkt  einer parlamentarischen Fleißarbeit, die   ihresgleichen sucht, beachtlich und lobenswert ist.

Klar ist aber auch, dass der Abschlussbericht noch mehr hätte leisten können. Es ist nachvollziehbar, dass die Oppositionsfraktionen ihm die Zustimmung verweigert haben. Vor allem die  zusammenfassende Bewertung der Untersuchungsergebnisse am Schluss lässt klar erkennen, das die Regierungskoalition aus SPD und CDU dem vom Ausschussbüro verfassten Bericht ihren Stempel aufgedrückt hat.

Die Koalition des Schweigens und der Vertuschung

Betont wird im Resümee die Schuld der Flughafen-Geschäftsführung, während dem Land Berlin und dem Aufsichtsrat nur wenig Verantwortung  beigemessen werden. Dabei war der langjährige Regierende Bürgermeister und Aufsichtsratschef Klaus Wowereit ein zentraler Akteur jener Koalition des Schweigens und der Vertuschung, die  zu dem Desaster wesentlich beigetragen hat. Wowereit und sein Brandenburger Kollege Matthias Platzeck waren Teil eines Gesamtzusammenhangs, in dem Kritiker abgekanzelt wurden und  überforderte Flughafenmanager ihren fatalen Kurs ungestört verfolgen konnten.
Doch obwohl Koalitionsräson zu Lücken und Unschärfen geführt hat: Der Bericht ist trotzdem das  bislang wichtigste Dokument, das zur Aufarbeitung der Pleiten und Pannen  zur Verfügung steht. Die dargestellten Zeugenaussagen sind lesenswert, ihr Spektrum ist groß. Da sind die Politiker, die darauf beharren: „Ich war zwar zuständig, aber mich hat keiner informiert.“ Da sind die Ex-Geschäftsführer, die jede Verantwortung ablehnen, so dass man sich fragt, an welchem Flughafen sie eigentlich gearbeitet haben. Da sind aber auch Planer und andere Akteure aus der zweiten Reihe, die ihrem Frust freien Lauf lassen und  Einblicke ins Chaos geben.

Kollektiver Wirklichkeitsverlust der Akteure

Wichtig ist der Abschlussbericht auch deshalb, weil er eine  Ursache des Scheiterns darstellt, die in der vorherrschenden Technik-Diskussion ausgeblendet wird. Er spricht Faktoren an, die nichts mit Ingenieurwissenschaften, aber viel mit Psychologie und Soziologie zu tun haben. Berichtet wird von einer Unternehmens- und Projektkultur, die Anzeichen für Fehlentwicklungen und  alarmierende Warnungen externer Stellen ausblendete. Er moniert den kollektiven Wirklichkeitsverlust der Akteure und deren Verantwortungsvakuum.Von diesen Ergebnisse können künftige Projekte am meisten profitieren.

Die Fleißarbeit, die nun in Form des Abschlussberichts vorliegt, birgt aber auch Elemente von Tragik –  wie das gesamte Flughafenprojekt. Tragisch ist vor allem, dass der Bericht zu einer Zeit erscheint, in der sich kaum ein Berliner noch sachlich für den BER zu interessieren scheint. Natürlich reichen die drei Buchstaben weiterhin aus, um Augenrollen und wissendes Grinsen zu erzeugen. Doch die Gesprächsrituale, die mit jedem Jahr der Nichteröffnung routinierter werden, haben eine Distanzierung bewirkt. Es wird gefragt: Braucht diese Region den BER  noch?

Dass er einst geplant wurde, um den Flugverkehr zu konzentrieren, ihm Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und Umsteigeverbindungen zu erleichtern, dass er  Berlin aufwerten und Menschen von Lärm entlasten sollte,  das alles spielt kaum noch eine Rolle.   Längst wird das Projekt  BER nur noch als Last, Risiko, Imageschaden wahrgenommen. Es ist ein  schwarzes Loch, in dem  Karrieren  enden  und Politiker um ihre Zukunft fürchten. 

Tragisch ist die Situation, in der nun der Abschlussbericht erscheint, auch aus einem anderen Grund. Seine  Erkenntnisse über die verpatzte Eröffnung 2012 drohen  unterzugehen, weil wieder mal eine Terminverschiebung droht: von 2017 mindestens auf 2018. Immer klarer wird, dass die Flughafengesellschaft erneut ein wichtiges Technikthema über eine längere Zeit  hinweg nicht richtig erkannt hat, dass die Kommunikation der Beteiligten schlecht  funktioniert, dass Informationen erneut nur häppchenweise ans Licht kommen. Viel hat sich nicht geändert seit jenen Jahren, mit denen sich der Bericht befasst.

Wenn der BER je fertig wird, dann nicht wegen, sondern trotz der Akteure in Politik, Verwaltung und Flughafengesellschaft. Das ist die eigentliche Tragik. Die Aufarbeitung des Desasters muss weitergehen.