Hilfe, es ist Karneval! Warum man einmal im Jahr froh sein kann, in Berlin zu leben

In den Hochburgen am Rhein sind die Jecken wieder unterwegs. In Berlin wird man mit der knallbunten Fröhlichkeit kaum behelligt. Es lebe die „Alaaf“-freie Zone! Ein Kommentar.

Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte: Viel Spaß beim Feiern, fernab von Berlin!
Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte: Viel Spaß beim Feiern, fernab von Berlin!Rolf Vennenbernd/dpa

In Berlin ist die Welt noch in Ordnung. Hier gibt es vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Bist du „jeck“, das fragt man höchstens adjektivisch, wenn jemand etwas vollkommen Verrücktes vorhat. Man bescheinigt ihm damit, einen kleinen Knall zu haben, ein leiser Tadel versteckt sich darin, und keinesfalls ein Kompliment.

Anders in den Karnevalshochburgen der Republik, wo der Jeck ein humorvoller Mensch ist, nicht nur in Karnevalszeiten, sondern so ganz grundsätzlich, als Lebenseinstellung. Der Jeck nimmt die Dinge und auch sich selbst nicht allzu ernst, tolerant ist er auch noch, Sie wissen schon: „Jeder Jeck ist anders“ und so.

Der Berliner an sich ist natürlich auch tolerant („Dit is mir schnurz“) und grundsätzlich dem Humor zugetan, nur wird's ihm schnell zu bunt. Also mir jedenfalls, Berlinerin qua Geburt, wird immer leicht schwummerig, wenn ich die quietschfidele Fröhlichkeit sehe, die schunkelnden, singenden Massen in ihren Kostümen und Narrenkappen.

In den kommenden Tagen jedenfalls bleibt der Fernseher aus, denn nun wird man auf allen Kanälen wieder mit geballter guter Laune bombardiert, mit Büttenreden und Sitzungsdallerei, mit Guido Cantz, Bernd Stelter und den Bläck Fööss. Die Stimmung wird ausgelassen sein, auch auf den Straßen. Jetzt, wo die Umzüge erstmals wieder ohne Corona-Auflagen stattfinden können.

Und während am Donnerstag mit „Alaaf“ und „Helau“ zehntausende Menschen in Köln, Düsseldorf und Mainz den Beginn des rheinischen Straßenkarnevals feiern und ein tagelanges närrisches Treiben beginnt, startet für mich die kurze Phase im Jahr, in der ich einfach mal uneingeschränkt froh sein darf, in Berlin zu leben.

Der einzige Karneval, der zu Berlin passt: der Karneval der Kulturen in Kreuzberg.
Der einzige Karneval, der zu Berlin passt: der Karneval der Kulturen in Kreuzberg.dpa

Von wegen „Failed City“: Berlin ist Spitze und macht alles richtig. Kein närrisches Treiben, keine schunkelnden Menschenmengen, keine Küsschen an Wildfremde. So muss es sein. Wer hier „für einige Stunden abschalten und die Sorgen beiseitelegen“ will – so begründet NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Wichtigkeit des Karnevals – der geht ins Berghain oder kauft sich was im Görlitzer Park. 

Es gab ja durchaus mal die Versuche, einen Karnevalsumzug auch an der Spree zu etablieren, vorangetrieben von Exil-Rheinländern, die ihre Tradition schmerzlich vermissten. Glücklicherweise blieb es bei Versuchen, als Lokalreporterin hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, an einigen dieser Veranstaltungen teilzunehmen.

Es waren recht klägliche Importbemühungen, durchgeführt von ehrlich bemühten Karnevalisten, skeptisch beäugt von irritierten Berlinern. Ein Krampf, wenn man ehrlich ist. Allein schon der eigens entwickelte Narrenruf schmerzte: „Heijo“, abgeleitet von Heiterkeit und Jokus. Schlimm!

In Berlin sind zwei Ausnahmen erlaubt: Kinderfasching und Karneval der Kulturen. Ansonsten, bitte: Feiert gern da drüben in Köln und Düsseldorf, lasst es krachen, schneidet Schlipse ab. Hauptsache, Berlin bleibt Alaaf-freie Zone.