Extrem niedrige Wahlbeteiligung: Die Schuld liegt definitiv nicht beim Wahlvolk
Die Beteiligung bei dieser Berlin-Wahl ist niedriger als befürchtet, etwa 63 Prozent. Das ist ein klares Zeichen der Enttäuschung und des Frusts bei den Bürgern dieser Stadt. Ein Kommentar.

Es war perfektes Wahlwetter: Nicht zu sonnig-warm, als dass zu viele Berlinerinnen und Berliner einen Ausflug gewagt hätten, nicht zu kalt und stürmisch, als dass sie sich nicht vor die Tür getraut hätten.
Das Wetter war definitiv kein Grund für die schlechte Wahlbeteiligung. In vielen Wahllokalen herrschte gähnende Leere, obwohl draußen vor der Tür die Straßen ordentlich mit Leuten gefüllt waren. Die einen drängelten sich auf dem Flohmarkt, die anderen saßen im Straßencafé. Im Wahllokal langweilten sich die Wahlhelfer.
Berlin war bei der bundesweit ersten Wiederholung einer Wahl für ein Landesparlament sehr wahlmüde. Kein Bock auf Urnengang. Es war ein Wahldebakel der speziellen Art und auch noch ein Debakel mit Ansage.
Und dabei gibt es definitiv keinen Grund zur Wählerschelte: Das Wahlvolk kann beileibe nichts dafür. Die Schuld tragen allein die Organisatoren der vorherigen Wahl und die Politik, die sich wenig für die vorherigen Warnungen interessiert hat. Und auch nach der Wahl im September 2021, als die meisten Berlinerinnen und Berliner über die unzähligen kleinen und großen Skandale vom Wahlabend ungläubig die Köpfe schüttelten, taten die Parteien noch lange Zeit so, als wäre die Wahl irgendwie doch in Ordnung gewesen. All das sorgte für Frust beim Volk und auch dafür, dass erstmals in der Bundesrepublik ein Verfassungsgericht eine Wahl für ungültig erklären musste.
Dieses Mal hat die Wahl offensichtlich organisatorisch gut funktioniert, aber das Versprechen einer guten Vorbereitung reichte nicht, um den Wahlwillen des Volkes zu wecken. Natürlich sind zweite Wahlgänge fast immer enttäuschend, jedenfalls wenn es um die Beteiligung geht. Das zeigt sich meist auch bei Stichwahlen, wenn zum Beispiel Bürgermeister direkt gewählt werden. Da ist die Beteiligung beim zweiten Wahlgang meist niedriger.
Dabei hatte es auch im Westen dieser Stadt einst Wahlbeteiligungen gegeben, die fast an DDR-Verhältnisse erinnerten: 1958 mit mehr als 90 Prozent. Nach dem Tiefpunkt von 2006 mit 58 Prozent nun also der aktuelle Wert. Er ist sehr viel niedriger als bei der Wahl 2021, als noch 75 Prozent erreicht wurden. Damals war allerdings zusätzlich auch Bundestagswahl am selben Tag. Aber die Beteiligung liegt dieses Mal offenbar auch unter dem Wert von 2016, als fast 70 Prozent erreicht wurden.
An der geringen Beteiligung zeigt sich, wie tief die Enttäuschung sitzt über das Organisationsdebakel der vergangenen Wahl. Dass sich das Wahlvolk nicht aufgerufen fühlte, zur Wahl zu gehen und sein demokratisches Grundrecht als Citoyen wahrzunehmen, ist ein Beleg für tiefe Frustration. Und das sollte die Berliner Politik sehr ernst nehmen. Bleibt zu hoffen, dass sich die Parteien nun nicht im Nachgang dieser Wahl eine Koalitionsbildung erlauben, die allein an den Interessen ihrer Parteien ausgerichtet ist, sondern an den Interessen dieser Stadt. Sonst wächst der Frust weiter und die Wahlbeteiligung sinkt beim nächsten Mal ebenfalls weiter.
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