Kai Wegner führt die CDU zum Sieg, aber kann er auch regieren?

Die Wahl ist geglückt, die CDU ist der Gewinner. Aber immer weniger Menschen interessiert das. Wird es besser oder gibt es ein Weiter-so? Ein Kommentar.

Am Wahlsonntag: CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner mit seiner Frau Kathleen
Am Wahlsonntag: CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner mit seiner Frau KathleenEmmanuele Contini

Berlin kann doch Demokratie. Das ist die beste Nachricht des Tages. Allem Anschein nach ist es gelungen, eine problemarme und im besten Sinne langweilige Wahl durchzuführen. Die Mindeststandards gelten wieder. Unter perfekten Bedingungen, also ohne Marathon, ohne Bundestagswahl und Volksentscheid gleichzeitig, mit genügend Stimmzetteln und für 240 Euro pro Wahlhelfer war es dem Souverän möglich, das grundlegendste seiner demokratischen Rechte auszuüben.

Die enorm niedrige Wahlbeteiligung tat das Übrige. Offenbar sank sie unter die Werte von 2016. Bis zum Mittag hatten laut Wahlleitung gut 100.000 Menschen weniger ihre Stimme abgegeben als vor sechseinhalb Jahren. Das führte in Wahllokalen immer wieder zu Szenen, in denen mehr Wahlhelfer als Wähler zugegen waren.

Der Schaden ist da

Dafür, dass die Berliner sich in Umfragen extrem unzufrieden mit der Regierung zeigten, schienen sie geringes Interesse daran zu haben, diese abzuwählen. Oder haben viele sogar das Gefühl bekommen, ihre Stimme könne nichts verändern? Haben sie gar das Vertrauen in den ordnungsgemäßen Ablauf verloren? Das ist die schlechte Nachricht des Tages. Und daran ist auch die gescheiterte Abstimmung von 2021 Mitschuld. Auch eine ordnungsgemäß durchgeführte Wahl kann den Schaden einer gescheiterten Wahl nicht tilgen. Es wird lange dauern, dieses verlorene Vertrauen in und Interesse an dem Hochamt der Demokratie wiederherzustellen.

Das dürfte die CDU aber heute kaum besorgen. Sie ist der Sieger dieser Wahl. Der Union ist es gelungen, die Unzufriedenheit der Bürger über den extrem angespannten Wohnungsmarkt, die chaotische Verkehrssituation, die verkorkste Abstimmung vor anderthalb Jahren und die Silvester-Krawalle in Stimmen für sich umzuwandeln. In einer Infratest-Erhebung für den RRB nannten Bürger am Vorabend der Wahl erstmals seit Jahren Sicherheit und Ordnung als ihr wichtigstes Anliegen; noch vor Bauen und Wohnen.

Insgesamt hat sich die Weltlage verschlechtert

Dabei ist klar, dass Stimmen für die CDU in sehr vielen Fällen vor allem Stimmen gegen die herrschenden Verhältnisse und die regierenden Parteien und deren Bürgermeisterin Franziska Giffey waren. Kai Wegner hat sich an die Spitze dieses Trends der Empörung gesetzt. Auch wenn Wegner nicht mit charismatischen Auftritten oder weltbewegenden Konzepten aufwartete, muss man ihm zugutehalten, dass er den Sieg nicht verstolpert und den Vorsprung aus den Umfragen auch in Stimmen umwandeln konnte.

Er hat das Ding ohne Fehler heimgefahren. So sehen am Ende auch Sieger aus. Wegner half auch nicht nur die Situation in der Stadt. Insgesamt hat sich die Weltlage verschlechtert. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen haben Menschen verständlicherweise verunsichert. Zwar argumentierte Giffey im Wahlkampf, „in schwerer See wechselt man nicht den Steuermann und auch nicht die Steuerfrau“, doch steht die rot-grün-rote Koalition in Berlin kaum für ruhige Verhältnisse, sondern im Gegenteil für Experimente wie den Mietendeckel, Enteignungsfantasien und Bullerbü-Verkehr. Vielleicht tauscht man die Steuerfrau doch gegen den Mann aus der Partei, deren Markenkern die Stabilität ist, wenn man sie für eine Abenteuerfahrt gebucht hatte, aber nun das Wetter umgeschlagen ist und plötzlich die Wellen eines Sturms gegen den Bug peitschen.

Kommt der Regierungswechsel?

Nach dem Sieg der CDU wird es komplizierter. SPD und Grüne liegen eng beieinander. Sollte Franziska Giffey am Ende die Nase vor Bettina Jarasch haben, dürfte Berlin eine Neuauflage der bisherigen rot-grün-roten Koalition erleben, so es denn für die drei bisherigen Partner reicht. Giffey hatte im Wahlkampf voll auf die Rolle der SPD als Kümmerer gesetzt und präsentierte den Menschen in Form des 29-Euro-Tickets ein klares Zeichen dieser Unterstützung. Doch spielte im Wahlkampf die Frage nach diesen Entlastungen dann doch eine geringere Rolle, als man im November und Dezember noch vermutet hatte. Sollte Giffey aber an dritter Stelle landen, sind ihre Tage als Regierende – und wohl auch ihre Stunden als Berliner SPD-Vorsitzende – gezählt.

Falls aber Jarasch die letzte der drei Großen werden sollte, werden auch die Grünen sich fragen müssen, ob es nicht doch noch besseres Personal gibt. Immerhin schnitt sie im direkten Vergleich stets schlechter als die beiden Konkurrenten von SPD und CDU ab. Ob die Taktik, mit der erneuten Sperrung der Friedrichstraße so kurz und medienwirksam vor der Wahl auf ein reines Klientelthema zu setzen, wirklich klug war, muss ebenfalls kritisch bewertet werden. Eigentlich wollten die Grünen ja mal Volkspartei werden.

Entscheidend für das gesamte zukünftige Tableau wird am Ende aber die kleinste der Parteien aus dem Abgeordnetenhaus sein. Falls die FDP den Sprung schafft, wird es enger für Wegner und einen möglichen schwarz-roten oder schwarz-grünen Senat. Falls nicht, könnte tatsächlich in Berlin ein Regierungswechsel bevorstehen.

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