Kaputtes Berlin? Kai Wegner soll der Aufräumer sein
Die Silvesternacht hat den Wahlkampf gedreht. Die Berliner empfinden ihre Stadt als kaputt. Und davon profitiert die CDU. Und zwar massiv. Ein Kommentar.

Dieses Ergebnis fühlt sich wie ein Wechsel an. Christdemokraten weinen bei den ersten Hochrechnungen. Besser als in jeder Umfrage vor der Wahl hat die CDU abgeschnitten. Die Bürger strafen SPD und Grüne ab, bescheren ihnen Ergebnisse klar hinter denen von vor anderthalb Jahren. Die Liberalen werden es wohl nicht mehr schaffen, was eine der Bedingungen für die Möglichkeit einer CDU-geführten Regierung war. Viel ist noch offen, aber der CDU-Sieg ist eindeutig. In den Live-Sendungen müssen sich Giffey und Jarasch rechtfertigen, werden gefragt, ob es „anständig sei“, bei diesem Ergebnis weiterzumachen. Ein Abend aus dem Bilderbuch für Kai Wegner.
Der Union ist es gelungen, die Unzufriedenheit der Bürger über den extrem angespannten Wohnungsmarkt, die chaotische Verkehrssituation, die verkorkste Abstimmung vor anderthalb Jahren und die Silvester-Krawalle in Stimmen für sich umzuwandeln. In einer Infratest-Erhebung für den RRB nannten Bürger am Vorabend der Wahl erstmals seit Jahren Sicherheit und Ordnung als ihr wichtigstes Anliegen; noch vor Bauen und Wohnen. Das hat auch mit den dramatischen Schlagzeilen nach der Silvesternacht zu tun. Sie hatte sicherlich einen entscheidenden Einfluss auf die Stimmung der Berliner Wähler.
Ideologisch aufgeladene Abneigung von Grünen und SPD gegenüber der CDU
Dabei ist klar, dass Stimmen für die CDU in sehr vielen Fällen vor allem Stimmen gegen die herrschenden Verhältnisse und die regierenden Parteien und deren Bürgermeisterin Franziska Giffey waren. Kai Wegner hat sich an die Spitze dieses Trends der Empörung gesetzt. Er hat das Ding ohne Fehler ins Ziel gebracht.
Und doch, wenn man genau hinsieht, muss man konstatieren, dass die amtierende Regierungskoalition weiterhin eine komfortable Mehrheit im Abgeordnetenhaus hätte. Bei drei Parteien ist das auch gar nicht so ungewöhnlich. Fast überall in Deutschland könnten Dreierkoalitionen regieren. Ungewöhnlich ist, dass Parteien Dreier- und nicht Zweierkoalitionen vorziehen. Es ist die besondere, ideologisch aufgeladene Abneigung von Grünen und SPD gegenüber der CDU, dass keine von beiden Rot-Grün-Rot verlassen möchte – selbst, wenn sie im Dreierbündnis auch die zweite Geige spielen würden.
Die Regierungsparteien haben kein Rezept gegen den Bildungs-Gau
Aber auch, wenn es keinen Wechsel gibt, ist diese Wahl doch der Beginn des Endes von Rot-Grün-Rot. Denn die Probleme beim Bauen, Wohnen, im Verkehr, bei der Bildung und der Sicherheit, deretwegen die Regierungsparteien abgestraft wurden, werden nicht kleiner. Ganz im Gegenteil: Es wird schlimmer werden. Es wird auch mit Enteignungen noch weniger Wohnraum geben, die Verkehrssituation wird dank Straßensperrungen chaotischer werden, die Sicherheitslage wird sich nicht bessern. Noch immer stand kein einziger Silvester-Randalierer vor Gericht, geschweige denn, dass einer verurteilt wurde.
Die Regierungsparteien haben kein Rezept gegen den Bildungs-Gau, den knappen Wohnraum oder Gewalt. Es sind ja gerade die Entscheidungen aus 20 Jahren SPD, Grünen und Linken, die uns genau dorthin geführt haben, wo wir uns jetzt befinden. Und der Senat wird in Zukunft auch nicht mehr so viel Geld haben wie in den fetten Jahren bis zum Beginn des Ukrainekriegs.
Noch ist die CDU nicht stark genug
Franziska Giffey hatte schon vor der Wahl versucht, die Sozialdemokraten in vielen Feldern näher an die CDU-Linie zu bringen, weil ihr klar war, dass eine Politik, die vor allem auf Experimente wie Mietendeckel, Enteignungen oder Bullerbü-Verkehr ausgerichtet ist, die realen Probleme der Berliner nicht lösen kann und dazu führen wird, dass die Menschen sich von der SPD abwenden. Aber ihre Partei will das nicht. Wer so lange regiert, glaubt zu sehr an die eigenen Visionen für einen Kurswechsel. Es wäre auch ein Eingeständnis des Scheiterns.
Noch ist die CDU nicht stark genug, als das keine Regierung gegen sie gebildet werden könnte, aber dreieinhalb Jahre Weiter-So dürfte sie dorthin führen. Sicher, auch die Union könnte nicht alles besser machen und vor allem nicht schnell. Aber einen Wechsel, der verkrustete Strukturen aufbrechen und verstaubte Anschauungen hinwegfegen würde, wäre zumindest ein Anfang. Es wird lange dauern die Fehler aus 20 Jahren wieder zu korrigieren, wobei ja auch nicht alles falsch war.
Und unabhängig vom etwas uneindeutigen Wahlergebnis hatte dieser Tag ja auch eine ganz klare Nachricht: Berlin kann doch Demokratie. Es ist gelungen, eine problemarme und im besten Sinne langweilige Wahl durchzuführen. Die Mindeststandards gelten wieder. Unter perfekten Bedingungen, also ohne Marathon, ohne Bundestagswahl und Volksentscheid gleichzeitig, mit genügend Stimmzetteln und für 240 Euro pro Wahlhelfer war es dem Souverän möglich, das grundlegendste seiner demokratischen Rechte auszuüben.
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