Kommentar zum Parteitag: Die CSU hat den Verlust absoluter Mehrheiten akzeptiert
Es gibt eine Revolution in der CSU und die heißt nicht Markus Söder. Es ist nicht der Personalwechsel, obwohl der dieses Mal immerhin mal nicht mit einem offenen Putsch eingeleitet wurde, sondern nur durch beständiges Treten und Schubsen. Die Revolution trägt auch nicht den Namen Söderhofer.
Zwar treten da nun zwei als inniges Paar auf, die sich gerade noch inbrünstig bekämpften. Aber der Schaden, den die Auseinandersetzung in der Partei angerichtet hat, ist durch ein paar Liebesschwüre kaum zu beseitigen. Die Tatsache, dass es nun erstmals mehr Frauen als Männer gibt als Vize-Chefs der CSU, ist zwar bemerkenswert, ändert aber nichts daran, dass die Partei sonst männerdominiert ist.
Die Revolution ist eine andere: Die CSU hat sich abgefunden mit der Möglichkeit, die absolute Mehrheit zu verlieren. Das ist eine wahrhaft spektakuläre Entwicklung. In der Parteiführung gilt es mittlerweile als Allgemeingut, dass man von einem Erfolg der CSU schon reden will, wenn bei der Landtagswahl ein Ergebnis deutlich über 40 Prozent erreicht werde und die CSU zwar eine Koalition eingehen muss, das aber als besonders starker großer Partner.
Der Realismus ist taktisches Kalkül
All das geschieht mit einem Schulterzucken, ohne Geschrei und Wehklagen. Noch 2008 mussten ein Parteichef und ein Ministerpräsident gehen, als die CSU in einer Landtagswahl etwas unter die 50 Prozent-Hürde rutschte. Die Koalition mit der FDP galt nicht nur als lästiges Übel, sondern als Schmach.
Ein Verlust der absoluten Mehrheit, so hieß es bislang, sei der Anfang vom Ende der Partei. Die CSU, die seit 60 Jahren den bayerischen Ministerpräsidenten stellt und die meiste Zeit davon alleine regieren konnte, rutsche auf diese Weise ab ins Unspektakuläre, ins Normale, ins Gewöhnliche.
Schon die Frage nach der Möglichkeit glich einem Frevel. Und nun kommt dieser Gedanke fast nebenbei daher, als wäre er das Normalste der Welt in der Partei der Breitbeinigen. Ausgerechnet mit einem wie Söder, der als deren Prototyp aufgetreten ist, wird es nun anders.
Der Realismus hält also Einzug in die CSU. Das Bundestagswahlergebnis und der folgende weitere Absturz in den Umfragen haben eine absolute Mehrheit in ziemlich weite Ferne gerückt. Der Realismus ist da auch taktisches Kalkül: Wenn die Partei ihre Prozentziele zurückschraubt, muss die Führungsriege sich nach einem nur mittelprächtigen Wahlergebnis keine neuen Jobs suchen. Die Idee von der Unersetzbarkeit der Partei wird also geopfert, da man selbst sonst schnell ersetzbar wird. Die Entwicklung wird Folgen haben, vor denen sie sich in der CSU bislang zu Recht gefürchtet haben.
Wer lange alleine regiert, tut sich besonders schwer, Kompromisse einzugehen
Die Macht der CSU in Bayern wie im Bund beruht auf einer Wechselwirkung: Die Stärke in Bayern sicherte der CSU beträchtliche Abgeordnetenzahlen im Bundestag und der Union auf diese Weise gerne den Status als größte Partei. Und der Einfluss im Bund wirkte zurück auf den Ruf, den man zwischen Zugspitze und Bayerischem Wald zu verbreiten suchte: den des brüllenden Löwen, der nicht nur am Berliner Kabinettstisch, sondern selbst noch in Fernsehrunden zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein zu hören war.
Innerhalb der Union war das zuweilen als Ausgleich willkommen. Aber vor allem der unnötig dramatische und ausdauernde Streit um die Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren hat die Nachsicht strapaziert: Und wer in der CDU laut überlegte, man werde sich langsam nach einer Immobilie in München umsehen für die Gründung eines CDU-Landesverbands, meinte das nicht mehr nur scherzhaft. Auch in den Jamaika-Sondierungsverhandlungen hat sich gezeigt: Wer lange alleine regiert, tut sich besonders schwer, Kompromisse einzugehen.
Wenn nun der Mythos von der Unbesiegbarkeit langsam dahinschmilzt, vergeht diese Macht. Nordrhein-Westfalen als mächtigster CDU-Landesverband dürfte sich bereits die Hände reiben – die Gewichte in der Union würden sich verschieben. Söder könnte damit einer der machtlosesten Ministerpräsidenten der jüngeren bayerischen Geschichte werden.
Die Aussicht darauf wird nicht dazu führen, dass die CSU die Bundespolitik der kommenden Monate besonders ruhig begleitet. Denn die Lässigkeit ist eine mühsam antrainierte, genauso wie die neue Freundschaft zwischen Söder und Seehofer. Sie ist genährt durch die Hoffnung, dass es in den kommenden Wochen Schritt für Schritt nach oben gehen wird in den Umfragen. Die CSU-Spitze wird das begleiten durch Getöse, getreu dem Motto: Hauptsache auffallen. Das wiederum wäre keine Revolution, sondern absolute Normalität.