Kommentar zur Brexit-Abstimmung: Europa amputiert sich selbst
Theresa May hat verloren. Aber das ist das Unwichtigste. Großbritannien hat verloren. Europa hat verloren – das ist entscheidend, historisch entscheidend. Man muss an diesem Abend der Niederlage Europas noch einmal daran erinnern, dass es gar nicht darum ging, ob die Briten die Europäische Union verlassen, sondern nur darum: Wie.
Also ob sie mit einem Mindestmaß an Verbindlichkeit aus einer Wirtschafts- und Wertegemeinschaft ausscheren oder sich völlig unkontrolliert verabschieden. Vieles deutet jetzt auf einen Kontrollverlust hin, wenngleich man erwarten kann, dass sich die Briten nach diesem Ergebnis noch ein paar Monate mehr Zeit geben werden, um das Schlimmste, nämlich eine Rezession in Großbritannien, zu verhindern.
Bedauerlich und historisch falsch
Und trotzdem: auch eine weitere Verzögerung des Brexits ändert wohl nichts daran, dass er beschlossen ist. Europa amputiert sich selber, Europa schwächt sich, Europa hat vergessen, dass erst mit dieser Gemeinschaft eine Nachkriegsordnung möglich war, die tatsächlich eine Ordnung auf dem Kontinent erschuf. Dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa, dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer in Deutschland, spaltet sich der Kontinent wieder.
Und warum? Weil diese Europäische Gemeinschaft nur noch als eine Wirtschaftsgemeinschaft gesehen wird, nicht nur in Großbritannien. Weil die Wertegemeinschaft nicht mehr als Wert gesehen wird. Das ist bedauerlich und historisch falsch, wenn man ein großes Wort dafür finden will. Und in kleinen Worten ist es auch falsch, weil selbst eine Wirtschaftsgemeinschaft noch wichtig genug wäre, um für sie zu kämpfen. In Zeiten, in denen die transatlantische Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft mit den USA schon zerbrochen ist. In dreißig Jahren wird man sich noch erinnern, was man an Europa hatte.