Kommentar zur Reformation: Das Erbe der Reformation taugt nicht zum ungetrübten Feiern
Berlin - Vor 499 Jahren hat Martin Luther seine 95 Thesen „Zur Klärung der Kraft der Ablässe“ an die Holztür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen. Na ja, das stimmt nicht. Er hat sie einem Brief an Erzbischof Albrecht von Mainz beigelegt, um eine lehramtlich noch nicht fixierte Frage zur Diskussion vorzulegen.
Es stimmt ja auch nicht, dass Luther der Befreier aus einem dunklen Mittelalter und die Reformation der Durchbruch in eine moderne Welt ist. Die Forschung hat längst aufgezeigt, dass es nicht die eine, alles verändernde Reformation gab, es gab sie im Plural als ein Bündel reformatorischer Bewegungen.
Historisches Symboldatum
Aber das kulturelle Gedächtnis hat große Beharrungskraft, es will, dass mit dem 31. Oktober 1517 begonnen hat, was erst seit dem 18. Jahrhundert überhaupt Reformation heißt. Der Tag ist zum historischen Symboldatum geworden – und soll mit dem Reformationsjubiläum aufwendig gefeiert werden.
Der Vorlauf ist lang. Bereits 2008 hat die Evangelische Kirche die „Luther-Dekade“ ausgerufen. Margot Käßmann wurde eine emsige „Botschafterin für das Reformationsjubiläum“ und vor zwei Jahren eine Grundlagenschrift zu 500 Jahren Reformation herausgebracht.
„Wir wollen“, steht dort, „in der Freude über die geistlichen Gaben der Reformation das Jubiläum in ökumenischer Weise feiern.“ Feiern will auch der Staat. Die Bundesregierung und mehrere Bundesländer haben die „Staatliche Geschäftsstelle Luther 2017“ geschaffen, sie betreut eigenen Angaben zufolge „die gemeinschaftlichen Aufgaben des allgemeinen und touristischen Marketings“, um das Erbe der Reformation zu vermitteln.
Heikle Reformationsgeschichte
Das ist schwierig. Denn das Erbe der Reformation taugt nicht zum ungetrübten Feieranlass. Historiker sollte man ohnehin nie auf Feiern einladen – sie werden stets Gründe finden, die die Stimmung trüben. Man kann zwar weder den kirchlichen noch den staatlichen Institutionen vorwerfen, sie verheimlichten die heiklen Dimensionen der Reformationsgeschichte.
Gerade Luthers ambivalente Stellung zu den Juden, seine „Türkenpredigten“ oder die hetzerischen Schriften im Bauernkrieg werden nirgends verniedlicht, im Gegenteil. Man gibt sich allseits viel Mühe, nicht mehr wie zum 400. Reformationsjubiläum 1917 einem „deutschen Luther“ als „Mann aus Erz“ zu huldigen.
Dass „Deutschland mit dem Protestantismus steht und fällt“, wie es damals hieß, wird heute gottlob ernsthaft niemand mehr behaupten. Was aber wird dann gefeiert? Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat aus Anlass der großen Luther-Schau „Here I stand ...“ in den USA kürzlich behauptet, Deutschland und die moderne Gesellschaft verdankten „Luther und den anderen Reformatoren die entscheidenden Impulse für unser heutiges Verständnis von Freiheit, Bildung und gesellschaftlichem Zusammenleben“.
Einseitige Darstellung
Das klingt harmlos, ist aber falsch. Die entscheidenden Impulse sind den konfliktreichen Auseinandersetzung von Reformatoren mit Katholiken, Humanisten, Philosophen zu verdanken. Steinmeier betreibt hier eine einseitige Vereinnahmung der Geschichte: Das ist Identitätspolitik, um Deutschland und Europa als modern und fortschrittlich aussehen zu lassen.
Womöglich fiele das weniger auf, wäre eben dieses heutige Freiheits-, Bildungs- und Gesellschaftsverständnis nicht selbst Gegenstand heftiger Diskussionen. Die Reformation ist im Kern eine Debatte über theologische Streitpunkte, nichts ist jedoch derzeit so umstritten wie Religion, keineswegs nur hinsichtlich des Islam.
Die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit, ihr Spannungsverhältnis zum säkularen Staat und das der Religionen untereinander werden mit viel Schärfe, oft auch mit Häme diskutiert. Die Reformation in diesem Umfeld als Impulsgeber zu feiern, zudem im kommenden Jahr den Reformationstag als bundesweiten Feiertag zu begehen – das weckt den Eindruck, als schlage sich der Staat auf die Seite einer Religion.
Die Evangelische Kirche agiert hier weitaus vorsichtiger, sie hat mit Triumphalismus schlechte Erfahrungen gemacht. Sie spricht von der Reformation als „offene Lerngeschichte“. In einer Gesellschaft voller religiöser Auseinandersetzungen, in der das gelebte Christentum zudem zur Minderheitenreligion geworden ist, gibt es mehr zu lernen und ist mehr offen, als der Jubiläumstrubel glauben macht.
Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott
Die Ursprungsfrage aller reformatorischen Bewegungen, die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott, ist ohnehin nichts, das sich in Museen und Kulturstätten feiern lässt. Sie stellt sich für jede Einzelnen neu. Der Rest ist Tourismus.