Krankenhaus Havelhöhe: Hier dauert das Kochen länger
Halb elf ist das Mittagessen fertig. Fünf Stunden lang haben Sebastian Andryzek und Alexander Biesel dafür gebraucht. Die beiden Köche hätten es schneller und einfacher haben können, aber wenn man den Großteil der Mahlzeiten nun mal selbst zubereiten will und dabei Unmengen Gemüse schälen und schneiden muss, dann dauert das Kochen eben länger.
70 Liter Korma, ein indisches Gemüsecurry mit Kokossoße, und Reis werden nun auf Teller gefüllt, ebenso überbackene Tomaten mit Kerbel sowie Blatt- und Wurzelgemüse. Als Nachtisch gibt es Quark mit Bananen und Kakao. Etwa 500 Portionen haben die Köche an diesem Morgen zubereitet. Ein ganzes Krankenhaus wird davon satt.
Dreimal pro Woche Fleisch
Liest man die Gerichte auf dem Speiseplan der Klinik Havelhöhe, gewinnt man den Eindruck, eher in einem Restaurant mit Gourmetküche zu sein als in einem Krankenhaus. Alles, was auf dem Speiseplan steht, ist gesund, das meiste bio und regional. Keine Fertiggerichte, keine Zusatzstoffe. Fleisch gibt es nur dreimal in der Woche. An einem Tag wird Fisch angeboten, ansonsten sind die Mahlzeiten vegetarisch. Chili sin Carne steht dann auf dem Speiseplan, Chili ohne Fleisch.
Die Köche in Havelhöhe haben hohe Ansprüche: Wenn es Fleisch gibt, dann nur Gutes von der Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und von Biohöfen. Lamm und Wild kommt vom Müritzhof, ebenso Fisch, meist Wels und Maränen. Brot und Brötchen haben Demeter-Qualität, Gemüse liefern Höfe aus der Gegend, Salat kommt vom Bauern gleich nebenan.
„Für manche Patienten ist unser Essen ganz schön gewöhnungsbedürftig“, sagt Olaf Budig, der den Speiseplan zusammenstellt und die Zutaten einkauft. Manche Patienten sind nun mal gewohnt, jeden Tag Fleisch zu essen, manche kennen keine Reisbratlinge, Grünkernsuppe und Rübenragout.„Doch es gibt immer weniger Beschwerden“, sagt er.
Eine Ausnahme
Der ruhige Mann mit der Punk-Frisur muss jeden Monat streng kalkulieren. 4,74 Euro darf er für einen Patienten am Tag ausgeben, so viel Geld zahlen die Krankenkassen. Mit Frühstück und Abendbrot bleiben für das Mittagessen nur noch 2,37 Euro. Wie kann denn mit diesem Betrag in Bioqualität und mit frischen Zutaten kochen? „Es ist ein bisschen mehr Aufwand“, sagt Olaf Budig. „Ich muss mir eben mehr Gedanken machen.“ Und so vergleicht er jeden Tag die Preise und verhandelt mit Lieferanten. Ein teurer Braten vom Biorind wird rechnerisch ausgeglichen durch Milchreis oder Kartoffeln mit Quark. So viel wie möglich produzieren die Köche selbst. Indischen Rahmkäse stellen sie selbst her, aus der Molke wird dann Pudding gekocht. Die Pfannkuchen bereiten sie aus selbst gemachtem Sauerteig zu. Mit Tomatenrahm und Mangold werden sie den Patienten serviert.
Olaf Budig kauft, was gerade wächst. Das können auch schon mal 500 Kilogramm Kürbis sein, die ein Bauer ihm angeboten hat. Es gab dann Suppe, Lasagne und gebackenes Gemüse. Kürbis satt. Die Rechnung geht auf.
Seit einem Jahr ist das Krankenhaus Havelhöhe für seine gesunde Küche bekannt. Wohl auch, weil die Klinik mit ihren gesunden Gerichten und engagierten Köchen eine Ausnahme bleibt. Andere Krankenhäuser haben den mühseligen Kampf um Kochen und Kosten längst aufgegeben. Sie lassen sich von Firmen beliefern, das Essenwird nur noch aufgewärmt. „Dafür braucht man keine Köche mehr“, sagt Olaf Budig.
„Der Ansatz hat mir gefallen, wie wir für die Patienten kochen“
Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe ist ein anthroposophisches Akutkrankenhaus. Vor einem Jahr begann die Klinikleitung, die traditionelle Küche in ihre ganzheitliche Betrachtung einzubeziehen. Denn vor allem kranke Menschen sollen sich gesund ernähren.
Das Krankenhaus suchte für seine neue Ausrichtung einen guten Koch, es fand eine Spitzenkraft. Patrick Wodni hatte schon in manchen Nobel- und Sterne-Küchen des Landes gekocht, zuletzt im Kreuzberger Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“. Dann entschied er sich für Havelhöhe. Er entwickelte etwa 200 Rezepte, knallhart kalkuliert, trotzdem mit frischen Zutaten, exotischen Gewürzen und frischen Kräutern. Vor ein paar Wochen zog Wodni aus privaten Gründen fort. Ihm folgten zwei neue Köche: Alexander Biesel (25) hat zuvor im Sets in Charlottenburg gekocht, Sebastian Andryzek (38) hat sich bei Sarah Wiener ausbilden lassen.
Er sagt, er liebe seinen Beruf, doch er habe zunehmend gezweifelt, ob er weiter in Restaurants für einen kleinen Kreis von Gästen kochen wolle, die sich teures Essen leisten können. Das Jobangebot aus Havelhöhe erinnerte in an seinen Krankenhausaufenthalt vor zwei Jahren. „Das Essen war matschig, alles schmeckte gleich. Es sah aus nach Tüte, es schmeckte nach Tüte.“
Drei Angebote hatte Andryzek bekommen, wieder als Restaurantkoch zu arbeiten. Er entschied sich für Havelhöhe. „Der Ansatz hat mir gefallen, wie wir für die Patienten kochen“, sagt er. „Auch wenn alles erheblich arbeitsaufwendiger ist.“ Und das bleibt so. Die Köche wollen sich eine Getreidemühle und eine Kornquetsche für Haferflocken anschaffen.
Der Zeitplan ist eng. Wenn die Tagesproduktion beendet ist, beginnen die Vorbereitungen für den nächsten Tag. Gebackene Süßkartoffeln wird es geben, Buttermilch-Pfannkuchen und Bratwurst mit Kartoffelbrei, selbst gestampft.
Olaf Budig sagt, manchmal fragen Patienten nach Rezepten. Er druckt sie ihnen im Büro aus. Und zeigt dort auf einen Zettel an der Tür. „Vielen Dank für das leckere Essen“ hat eine Patientin den Köchen geschrieben.