Jahrestag der russischen Invasion: Berliner Schüler demonstrieren für Frieden
Der Krieg in der Ukraine hat auch das friedliche Weltbild vieler Schüler erschüttert. Hunderte organisierten ihre eigene Demo für „weltweiten Frieden“.

Knapp vor zwölf Uhr verwandelt sich am Freitag der menschenleere Platz am Neptunbrunnen in ein Meer von Schülern. Sie schwänzen jedoch nicht den Mathematikunterricht, sondern haben von ihren Schuldirektoren extra freibekommen. Unter dem Motto „Frieden für die Ukraine und weltweit“ haben sich Schüler verschiedener Berliner Gymnasien versammelt, um unterdrückten Menschen zu gedenken. Der Nieselregen und die kühlen zwei Grad Celsius machen den meisten Schülern jedoch nichts aus. Vielmehr freuen sie sich auf ihren selbstorganisierten Friedenszug. Für viele ist es die erste politische Demonstration im Leben.
Bei der Kundgebung geht es jedoch nicht explizit um das Leiden der ukrainischen Bevölkerung, auch wenn Ukraine-Fahnen am häufigsten von den Schülern geschwenkt werden. So sind auf der Demo kurdische Fahnen, venezolanische Botschaften und Solidaritätsplakate der iranischen Revolution zu sehen. „Im Mittelpunkt unserer Demonstration steht der Frieden“, sagt Florian Bublys, Versammlungsleiter der Kundgebung und Politiklehrer am Lilienthal-Gymnasium in Lichterfelde. Insbesondere das Menschliche solle auf dem Friedenszug im Vordergrund stehen, während die „technischen Diskussionen über Kampfpanzer und Waffen den Experten überlassen“ werden.

Bis elf Uhr fand für alle Schüler noch regulärer Schulunterricht statt. „Ich hatte heute Morgen Englisch und Bio“, sagt Mia, eine Schülerin des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in Wilmersdorf. „Nun fallen Mathe und Physik aus, doch für die Demonstration ist es das wert“, sagt sie.
Für sie ist der Friedenszug sehr spontan gewesen, denn erst vor zwei Tagen hatten Lehrer von der Kundgebung berichtet. Federführend für die Organisation ist der Politik-Leistungskurs des Lilienthal-Gymnasiums. „Vor über einem Monat überlegten wir im Kurs, wie wir diesen Tag begehen möchten“, sagt Bublys. Dann entstand die konkrete Idee eines Friedenszuges. Weitere Schulen wurden später miteingebunden. Am Ende sind es um die 1000 Menschen, die bei der Demo mitlaufen. Die überwiegende Mehrheit sind Berliner Gymnasiasten.
Profit aus Kosten einer Friedensdemo?
Inmitten des Treffpunktes am Neptunbrunnen kommt es dann jedoch zu einer kurzen Meinungsverschiedenheit. Zwei Personen zwischen 40 und 50 Jahren, die untereinander polnisch sprechen, verkaufen in der Menge Ukraine-Flaggen – kleine Fahnen für drei Euro, große für fünf Euro – und einen gelb-blauen Haarkranz für sieben Euro. „Wer sind Sie und wieso verkaufen Sie Ihre Fahnen hier“, fragt eine Schülerin. Die Schülerin regt sich darüber auf, dass Menschen Profit von einer Friedensdemo erzielen wollen. Einer der Verkäufer versteht die Frage offenbar nicht und lächelt nur. Viele Ukraine-Flaggen wird das Verkäuferpaar nicht los, die meisten der Schüler hatten selbstgebastelte Banner und Ukraine-Flaggen mitgebracht.

Es sind jedoch nicht nur Jugendliche bei der Kundgebung. Auch Eberhard (81) und Marianne (76) Loewens aus Wandlitz unterstützen die Schüler-Demo. „Wir finden das super, wie sich die Jugend politisch engagiert“, sagt Eberhard Loewens, „wir stehen voll hinter dem Friedenszug heute.“ Das Brandenburger Ehepaar hat sich viele Gedanken darüber gemacht, bei welcher der vielen Demonstrationen am Jahrestag der russischen Invasion sie dieses Wochenende teilnehmen wollen. Mit der „Manifest für den Frieden“-Demo von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer stimme das Paar nicht überein. „Es kann doch keinen Frieden geben, wenn die Ukraine diesen Krieg verliert und von Russland unterjocht wird“, sagt Marianne Loewens.
Das in Deutschland spaltende Thema der Waffenlieferungen hat auch unter den Schülern für Diskussionen gesorgt. „Es hört sich natürlich erst einmal absurd an, dass mit mehr Waffen Frieden geschafft wird“, sagt Florian Bublys. „Unser Friedenszug bedeutet jedoch nicht, dass wir gegen Waffenlieferungen an die angegriffene Ukraine sind“, sagt er. Im Gegenteil: Die Mehrheit seiner Klassen unterstütze die Ukraine auf jede erdenkliche Art und Weise. Der russische Angriffskrieg habe bei vielen Schülern ein friedliches Weltbild erschüttert.
Vor dem Reichstag angekommen bildet der Friedenszug auf der Wiese einen großen Kreis. Da die Akkus der Mikrofone leer gingen, musste Bublys die Schweigeminute schreiend ankündigen: Damit auch alle der knapp 1000 Menschen ihn erhörten. Zum Abschluss sangen die Schüler noch die ukrainische Nationalhymne, einige weinten.